Rugby-WM in Japan:Bierselige Fans treffen auf stoische Gastgeber

Japan v South Africa - Rugby World Cup 2019: Quarter Final

Bloß weg hier! Der japanische Nationalspieler Michael Leitch beim Versuch, den südafrikanischen Kraftpaketen zu entwischen.

(Foto: Cameron Spencer/Getty Images)
  • Das Viertelfinal-Wochenende hinterlässt unterschiedliche Eindrücke.
  • England kontert effizient, Neuseeland tanzt Gegner aus, Frankreich verschenkt den Sieg - und Gastgeber Japan erhält einen letzten Applaus.

Von Thomas Hahn, Tokio

Zehn Minuten vor dem Ende bildeten die japanischen Spieler noch einmal einen Kreis. Südafrikas Winger Makazole Mapimpi war gerade auf links durchgebrochen, es stand nun 26:3 für die Springboks im letzten Viertelfinale der Rugby-WM in Japan, und der Mannschaft des Gastgebers dämmerte es, dass sich ihre große Reise durchs eigene Land dem Ende näherte. Es war, als wollten sie sich darauf einschwören, diese letzten Minuten eines großen Abenteuers zu genießen, vielleicht noch einen letzten Try zu schaffen, noch einmal das erhebende Gefühl erleben, wenn ein ganzes Stadion jubelt. Sie schwärmten aus.

Die Menschen in der Arena von Tokio riefen "Nihon, Nihon, Nihon", und ein erwartungsvolles Gebrüll ging los, als der Ball wieder durch die japanischen Reihen schnellte. Aber es ging nichts mehr. Der Riegel der südafrikanischen Riesen war zu stark. Kapitän Michael Leitch und sein Team empfingen den letzten Applaus. Südafrika steht im Halbfinale gegen Wales.

Unter großem Ächzen und Stöhnen

Das Viertelfinal-Wochenende bei der Rugby-WM in Japan hat ziemlich unterschiedliche Eindrücke hinterlassen. Es begann am Samstagnachmittag in Oita mit einem 40:16-Sieg Englands gegen Team Australien, das zwar beherzt angriff, aber sich nicht ausreichend gegen Konter schützte. Am Abend tanzte dann Titelverteidiger Neuseeland problemlos die Iren aus, die mal als Mitfavorit angereist waren. 46:14. Mit Tempo, Witz und sicheren Tacklings ließen die All Blacks den Iren keine Chance. "Sie haben uns kaum atmen lassen, und wenn wir die Chance zum Atmen hatten, haben wir ihnen Sauerstoff zurückgegeben", sagte Irlands Chefcoach Joe Schmidt.

Der Sonntagnachmittag, wieder in Oita, erlebte dann eine Schlussphase mit zwei in sich verkeilten Mannschaften, die sich unter großem Ächzen und Stöhnen über den Platz schoben. Die Partie zwischen Wales und Frankreich erzählte die Geschichte eines verschenkten Sieges. Die Franzosen, Gastgeber der nächsten WM 2023, führten nach der ersten Halbzeit schon 19:10. Sie standen kurz davor, ihre Führung auszubauen, als Sébastien Vahaamahina sich mit Hand und Ellbogen gegen einen walisischen Verteidiger wehrte: rote Karte, Frankreich in Unterzahl. Das große Schieben begann, kurz vor Schluss drückten die Waliser Ross Moriarty mit dem Ball zu dem Try über die Linie, der mit der verwerteten Conversion durch Dan Biggar Frankreichs Führung in ein 20:19 für Wales verwandelte. "Die bessere Mannschaft hat verloren heute", analysierte Wales' Coach Warren Gatland nüchtern und treffend.

Und am Schluss erlebte man einen mutigen Gastgeber, den die schiere Kraft seines Gegners überwältigte. In der ersten Halbzeit zeigten die quirligen Japaner zeitweise, warum sie in der Gruppenphase kein Spiel verloren hatten. So schnell kreiste der Ball durch ihre Reihen, dass die Südafrikaner immer wieder ins Leere griffen. Das Spiel der Japaner wirkte versiert und aufregend, mitreißender als das ungestüme Kraftrugby, das viele Großmächte dieses Sports oft anbieten. Aber die Südafrikaner waren aufmerksam. Ihre Defensive überzeugte, letztlich kam kein japanischer Angriff durch. 5:3 führte Südafrika zur Pause durch einen frühen Erfolgslauf von Mapimpi, dem Japan nur einen gelungenen Drei-Punkte-Strafkick durch Yu Tamura entgegensetzen konnte. 5:3 ist eine sehr knappe Führung im Rugby. Südafrika hatte ein paar Chancen ausgelassen, und Coach Rassie Erasmus war nicht zufrieden.

Alle Japaner sahen traurig aus

Allerdings gehörte zu seinem Matchplan ein langer Atem, um die schwindenden Kräfte der anderen auszunutzen. "Geduldig bleiben, war die Botschaft", sagte Kapitän Siya Kolisi. Die Losung wirkte. Mit harter Arbeit erstickten sie das japanische Feuer, Strafkicks brachten die nächsten Punkte. In der 65. Minute schob sich dann ein Pulk von Südafrikanern gegen einen anderen Pulk aus Japanern der Endzone entgegen. Irgendwo in der Mitte des südafrikanischen Pulks war der Ball, irgendwann war dieser Ball wieder frei, landete bei Faf de Klerk, und der Scrum-half brachte ihn über die Linie, 19:3.

"Sie waren nicht zu stark", sagte Japans Kapitän Michael Leitch später, "sie waren in der Lage, ihre Stärke zu hundert Prozent aufs Feld zu bringen." Er sah traurig aus. Alle Japaner sahen traurig aus. Auch die Japaner, die keine Japaner sind, wie Chefcoach Jamie Joseph. Nach der Niederlage sprachen sie viel von Stolz und Dankbarkeit. Eine besondere Geschichte war zu Ende, bei der sie den Japanerinnen und Japanern ein paar besondere Momente geschenkt hatten. Jemand fragte Joseph, was als Nächstes kommen werde. Joseph antwortete kraftlos: "Keine Ahnung."

Die Japaner werden trotzdem die Stars dieser WM bleiben. Vor dem Turnier hatten manche Rugby-Stammgäste Bedenken, ob ihr Spiel und vor allem dessen bierselige Fans die feinen Asiaten nicht überfordern würden. Mittlerweile ist klar, dass es die Menschen im Gastgeberland mit stoischer Ruhe ertragen, wenn zum Beispiel irische Fans in der U-Bahn Lieder singen. Genug Bier gab es wohl auch, und die zugewandte Art des Heimpublikums rührt Spieler und Trainer.

Südafrikas Mannschaft bekam viel Applaus, als sie nach dem Spiel in die weiß-rote Fankurve ging und sich gemeinsam tief verneigte. Und Südafrikas Coach Erasmus musste am Ende des Abends das Wort an alle Japanerinnen und Japaner da draußen im nun doch etwas niedergeschlagenen Land richten. Mit liebevollem Ernst sagte er: "Diese Art, wie Sie den gegnerischen Teams und Ihrer eigenen Mannschaft Respekt zollen, ist etwas Neues für uns."

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