Ein Raunen war auf der sehr gut gefüllten Haupttribüne des Münchner Dantestadions zu vernehmen, es signalisierte: Dieser Querkick von Tim Lichtenberg, er war riskant. Denn es ist ein Leichtes, dass das Rugby-Ei am Boden verspringt und nicht dorthin gelangt, wo es hin soll. Bundestrainer Clemens von Grumbkow beschrieb die Situation hinterher so: "Die Idee war gut, die Ausführung nicht besonders." Er lachte dabei, denn das Entscheidende war, dass es gut ausgegangen war.
Knapp 4000 Zuschauer, viele davon verkleidet, wie es Tradition bei Rugby-Veranstaltungen auf der ganzen Welt ist, goutierten das, was daraus entstand: einen wichtigen Punktgewinn der deutschen 7er-Rugby-Nationalmannschaft. Und einen der Schlüsselmomente des heimischen Qualifikationsturniers am vergangenen Wochenende, bei dem sich das deutsche Team die Teilnahme an der Aufstiegsrelegation zur Weltserie, die vom 31. Mai bis 2. Juni in Madrid ausgetragen wird, sicherte.
Gleich zweimal wurde es dabei sehr eng. Im Viertelfinale, das die Deutschen gewinnen mussten, um überhaupt noch im Rennen zu bleiben, lagen sie gegen Olympia-Teilnehmer Kenia in Halbzeit eins 7:10 zurück, als Ben Ellermann für eine Abwehraktion gegen den gegnerischen Kopf auch noch die rote Karte sah. Mehr als eine Halbzeit lang in Unterzahl zu spielen, das sei "eigentlich nicht möglich", erklärte Trainer Grumbkow. "Von 100 solchen Situationen gewinnt man vielleicht drei oder vier."
Passenderweise war am Sonntag einer dieser seltenen Momente: Ein Versuch von Jakob Dipper kurz vor Schluss, nach dem Querkick von Lichtenberg, ermöglichte dies. "Die Jungs haben Kräfte freigesetzt, von denen sie selbst nicht wussten, dass sie in ihnen stecken", sagte Grumbkow zur "unglaublichen Energieleistung" im Viertelfinale.
Die deutsche Vereinslandschaft hat ihren Fokus eher auf das 15er-Rugby gerichtet
Dadurch war klar: Der Sieger des Halbfinales Deutschland gegen Hongkong würde sich den letzten Startplatz im Relegationsturnier in Madrid sichern. Und auch da strapazierte das deutsche Team die Nerven der Verantwortlichen und Zuschauer gehörig. Makonnen Amekuedi, einer der prägenden Spieler des Turniers, gelang in der Nachspielzeit mit einem beeindruckenden Antritt der entscheidende Versuch. "Wir machen es dieses Wochenende spannend", sagte Grumbkow. Spiele zu gewinnen, auch wenn man nicht so gut spiele, das mache gute Mannschaften aus. Die "Chance auf Madrid" habe im Kopf den Unterschied gemacht, betonte er. Die abschließende knappe 19:21-Finalniederlage gegen Uruguay war zu verkraften, die entscheidende Aufgabe des Teams bestand ja darin, das Ticket für Madrid zu lösen.
Florian Hartmann musste erst einmal kräftig durchatmen, bevor er sich an einen Tisch im Media Center setzte. Nervenaufreibend sei das gewesen, "weil ja eine Menge dranhängt", bekannte der Vorstand für Struktur und Entwicklung des Deutschen Rugby-Verbandes. Die Qualifikation für die Weltserie, die jetzt in Madrid möglich ist, wäre das "i-Tüpfelchen und für uns als Verband auch ein finanzieller Schub", erklärte er. Neben erhöhten Zuwendungen des Weltverbands sind es vor allem die "ganz anderen Vermarktungsmöglichkeiten", die Auftritte in Dubai oder Singapur mit sich brächten.
Für das deutsche 7er-Rugby wäre das doppelt wichtig, da es im Vergleich zum 15er-Rugby hierzulande noch einen "etwas schweren Stand" habe, erklärte Hartmann. Das liege daran, dass die deutsche Vereinslandschaft ihren Fokus eher auf das 15er-Rugby gerichtet hat. Da das 7er-Rugby seit Olympia 2016 in Rio de Janeiro olympisch ist, tut sich in diesem Bereich aber einiges. Für die anstehenden Olympischen Sommerspiele in Paris hat sich das deutsche Team nicht qualifiziert, das große Ziel lautet Los Angeles 2028. Die Qualifikation für die Weltserie wäre ein Meilenstein, sagte Hartmann, das "ultimative" Ziel aber sei die Olympia-Qualifikation, "da hängt die Förderung dran" - vom Deutschen Olympische Sportbund (DOSB) und dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI).
Für das Rugby in Deutschland gehe es darum, "einen Schritt aus der Nische einer Randsportart" zu machen, sagte Rugby-Deutschland-Präsident Michael Schnellbach. "Wir brauchen einfach eine größere Öffentlichkeit." Hartmann verweist darauf, dass das WM-Finale 2023 in Frankreich im deutschen Free-TV in der Spitze 800 000 Zuschauer hatte. Die Herausforderung bestehe jetzt darin, "diesen 800 000 Menschen zu zeigen, dass es auch starkes deutsches Rugby gibt".
Dabei würde der Aufstieg in die Weltgruppe "sehr helfen". Diesen in Madrid einzutüten, das ist jetzt die große Aufgabe für die Bundestrainer, Grumbkow und Pablo Feijoo, und ihre Spieler. "Das wird knallhart", prognostizierte Grumbkow, aber die nervenaufreibenden Spiele in München seien "die perfekte Vorbereitung" dafür gewesen.