Süddeutsche Zeitung

Rugby in Südafrika:Schwarzer Kapitän im Sport der Weißen

  • Im Testspiel gegen England wird Siya Kolisi die Rugby-Nationalmannschaft Südafrikas als Kapitän anführen.
  • Damit steht zum ersten Mal seit 127 Jahren ein Schwarzer an der Spitze der Springboks.
  • Seine Ernennung ist sportlich vollkommen berechtigt, hat aber auch einen symbolischen Charakter.

Von Tobias Schächter

Es wird in die Sportgeschichte eingehen, wenn Siya Kolisi an diesem Samstag aus dem Spielertunnel des Ellis Park in Johannesburg tritt. Fast 63 000 Zuschauer im Stadion und Millionen an den Fernsehern werden den Moment verfolgen, in dem Kolisi als erster seiner 15 Mitspieler den Platz betritt. Nie zuvor führte ein schwarzer Spieler die Rugby-Auswahl Südafrikas als Kapitän an. Nie in 127 Jahren, seit dieser Sport am Kap betrieben wird. Kolisi wird am Samstag der erste sein - im ersten von drei Tests gegen England.

24 Jahre nach dem Ende der Apartheid gibt der Rugby-Sport Südafrikas Gesellschaft wieder die Gelegenheit innezuhalten: Kolisis Ernennung zum Kapitän der Springboks weist auf die Möglichkeiten hin, die die Überwindung von Rassismus bietet. Und erneut ist der Ellis Park Schauplatz eines "historischen Moments", wie Gwede Mantashe, der Nationale Vorsitzende des African National Congress, sagt.

Aus dem Township zum Kapitän

Als die Springboks 1995 Weltmeister wurden, feierte auch Nelson Mandela auf der Tribüne im Ellis Park. Der Freiheitskämpfer trug ein Trikot mit der Nummer 6, so wie Kapitän Francois Pienaar. Zum ersten Mal feierten Weiße und Schwarze zusammen einen Erfolg in dieser Sportart. Bis dahin galt für Schwarze der Rugbysport als Symbol der Unterdrückung, der von Weißen gespielt wurde. Nun einte er die Nation für einen kurzen Moment. Der Film "Invictus - Unbezwungen" hält diesen Moment fest.

Fast 23 Jahre danach sind in Südafrika immer noch nicht alle Konflikte aus der Zeit der Apartheid überwunden. Viele Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, vor allem für viele Schwarze aus den Townships, die noch immer in Armut leben. Der Sport wird zwar oft politisch überladen, aber Kolisis Berufung zum Kapitän ist als Symbol für die Überwindung des Rassismus nicht zu unterschätzen. Er sagt: "Ich sage meinen Mitspielern, sie sollen nie nur für eine Gruppe spielen. Du musst spielen, um für alle Südafrikaner der Beste zu sein. Wir repräsentieren etwas viel Größeres, als wir es uns vorstellen können."

Siya Kolisi, 26, ist in einem Township bei Port Elizabeth aufgewachsen. In einem Interview mit Craig Ray, einem führenden Rugbyjournalisten Südafrikas, erzählt er vom Hunger, den er als Kind litt. Ein Rugby-Stipendium an einer Privatschule half ihm später, seinen Weg aus der Armut zu finden. Als er 15 war, starb seine Mutter. Englisch musste er erst lernen, er sprach die Sprache seiner Volksgruppe, der Xhosa. Kolisi ist seit zweieinhalb Jahren mit einer Weißen verheiratet, sie haben zwei Kinder, zwei Halbgeschwister adoptierte er. Nach der Hochzeit sah sich das Ehepaar rassistischen Anfeindungen ausgesetzt.

"Er ist ein großartiger Rugby-Spieler, zuverlässig und bescheiden"

Seit 2012 spielt Kolisi für die Stormers in Kapstadt, seit 2013 in bisher 28 Partien für die Springboks. Seine Herkunft sei seine Motivation, sagt er. Kolisi gilt als einer der besten Flügelspieler der Welt. Rassie Erasmus, 45, seit März Nationaltrainer Südafrikas, begründete die Ernennung Kolisis zum Kapitän so: "Er ist ein großartiger Rugby-Spieler, zuverlässig und bescheiden. Er gibt immer sein Bestes." Der frühere Nationalspieler vermied es, diese Geste politisch zu überfrachten, zumal zwei etatmäßige Kapitäne verletzt fehlen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten tat sich der Rugbysport in Südafrika schwer, schwarze Spieler zu integrieren. Es wurde mit Quoten versucht, die den schwarzen Spielern das abwertende Label "Quoten-Boks" einbrachten.

Als Südafrika 1995 dann erstmals Weltmeister wurde, stand in Chester Williams nur ein Schwarzer im Team, bei der Weltmeisterschaft 2019 in Japan könnte es aus sportlichen Gründen schon fast die Hälfte des Kaders sein. Kolisi sagt: "Ich denke nicht in rassischer Hinsicht über mich. Wenn ich auf den Platz gehe, möchte ich der beste Flügelspieler der Welt sein. Wer rassisch denkt, schränkt sich und seinen Horizont ein." Am Samstag gegen England wird Siya Kolisi mit diesem Gedanken nun erstmals als Kapitän der Springboks auflaufen.

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SZ vom 08.06.2018/dsz
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