Rugby:"Dieses Spiel ist für euch"

Rugby: Alles muss raus: Japanische Spieler bejubeln ihren 28:21-Erfolg gegen Schottland der Heim-WM in Yokohama, der ihnen einen Platz in der ersten K.-o.-Runde sicherte.

Alles muss raus: Japanische Spieler bejubeln ihren 28:21-Erfolg gegen Schottland der Heim-WM in Yokohama, der ihnen einen Platz in der ersten K.-o.-Runde sicherte.

(Foto: Jae Hong/AP)

Japans Viertelfinal-Einzug bei der Heim-WM rührt die Taifun-geschädigte Nation. Das Unwetter-Management des Weltverbandes gefällt freilich nicht jedem.

Von Thomas Hahn, Yokohama

Es begann damit, dass Schottlands Greig Laidlaw den Ball nach rechts zu Finn Russell passte. Dass Russell den Ball fing, ihn durch die Lücke des japanischen Abwehrverbundes trug und in der Endzone zum ersten Try dieses Abends ablegte. Kapitän Laidlaw besorgte mit einem präzisen Kick die Zusatzpunkte zur 7:0-Führung der Schotten im entscheidenden Gruppenspiel um den Einzug ins Viertelfinale der Rugby-WM. Sieben Minuten waren gespielt. Und wer es ohnehin nicht so richtig hatte glauben können, dass Japan den Einzug unter die besten Acht der Rugby-Welt schafft, sah sich bestätigt: Sie halten den Druck nicht aus; sie bringen die Kraft nicht auf, ihre starke Vorarbeit zu einem glücklichen Ende zu führen.

Aber dann bündelten die Japaner ihre Kräfte und bewiesen das Gegenteil.

28:21 endete das letzte Gruppenspiel der WM 2019 in Yokohama für das vermeintliche Rugby-Entwicklungsland Japan. Männer in Weiß und Rot lagen sich in den Armen. Auf den Tribünen jubelten die Menschen, die vor wenigen Stunden noch dem heftigen Taifun Hagibis ausgesetzt waren. Der erste asiatische Gastgeber einer Rugby-WM ist damit auch der erste asiatische Teilnehmer eines WM-Viertelfinales. Am nächsten Sonntag geht es in Tokio gegen Südafrika. Der Erfolg wirkte dem Mythos entgegen, Rugby sei ein Sport, der für die oft klein gewachsenen, eher schmal gebauten Japaner nicht gut geeignet ist. In Schottland hatten sie nun ja wieder eine Nation der Kraftkerle bezwungen wie zuvor in der Vorrunde schon den ursprünglichen Gruppen-Favoriten Irland. Außerdem konnte die Nation nach dem finsteren Samstag mit Sturm und Flut dieses erfreuliche Erlebnis sehr gut gebrauchen.

Das Aufeinandertreffen von Japanern und Schotten war der Höhepunkt eines Wochenendes, das mal ganz anders gedacht war. Hagibis, der Taifun, warf den Spielplan um. Der Weltverband World Rugby und das WM-Organisationskomitee folgten den Informationen ihrer "unabhängigen Turnier-Wetterexperten", wie es in einem Statement hieß, und sagten die Samstagsspiele in Toyota und Yokohama ab, und zwar ersatzlos, wie es die Regeln des Verbandes vorsehen. Kein Spiel England gegen Frankreich also, auch kein Neuseeland gegen Italien. Die Begegnungen gingen mit 0:0 in die Wertung, jedes Team wurde mit zwei Punkten abgefunden und musste selbst damit klarkommen, die enttäuschte Vorfreude einzufangen. Basta.

England und Frankreich waren schon vorher für die Runde der letzten Acht qualifiziert. Titelverteidiger Neuseeland war es streng genommen noch nicht, allerdings hatte vorher nicht viel darauf hingewiesen, dass ausgerechnet Italien die Mannschaft sein würde, die dem Weltmeister die erste hohe WM-Vorrunden-Niederlage seiner Geschichte beibringt. Das Murren von Italiens Kapitän Sergio Parisse war trotzdem vernehmlich. "Wenn Neuseeland noch vier oder fünf Punkte gegen uns gebraucht hätte, wäre das Spiel nicht abgesagt worden", sagte er, "es ist lächerlich, dass es keinen Plan B gab, denn das ist ja nichts Neues, dass in Japan Taifune vorkommen."

Kein schlechter Punkt, und in Kamaishi dürften auch ein paar Leute dieser Meinung gewesen sein. Lange sah es so aus, als wäre das Spiel Namibia - Kanada im dortigen Unosumai Memorial Stadion nicht gefährdet. Die Begegnung wäre ein weiterer tröstlicher Höhepunkt gewesen für die kleine Stadt, die 2011 vom großen Ostjapan-Erdbeben mit Tsunami schwer getroffen wurde und die WM-Arena als Denkmal für die Tragödie genau dort gebaut hatte, wo vor dem Tsunami zwei Schulen standen.

Doch dann bog der Taifun nach Norden, brachte Hochwasser und Erdrutsche auch in die Präfektur Iwate. Die Absage folgte wenige Stunden vor dem Spiel. "Gerade fühle ich mich ein bisschen leer", sagte Kanadas Coach Kingsley Jones. Das Spiel gegen Namibia hätte seiner Mannschaft den einzigen Sieg im Turnier bringen können. Es fehlte der Abschluss. Nicht zu ändern nach den Bestimmungen des Weltverbandes. Die Kanadier machten das Beste draus und halfen den Menschen in Kamaishi beim Aufräumen nach dem Taifun.

Allerdings hätte das Unwetter-Management des Weltverbandes eine etwas nachhaltigere Verstimmung in die sonst recht einträchtige internationale Rugby-Familie gebracht, wenn auch der Showdown in Yokohama nicht zustande gekommen wäre. Eine Absage stand zur Debatte, und Schottlands Rugby-Union (SRU) erklärte, rechtliche Schritte würden folgen, falls ihren Leuten die letzte Chance aufs Viertelfinale genommen würde. Einen Sieg gegen Japan mit acht Punkten Vorsprung brauchten sie, um noch von Platz drei auf Platz eins der Tabelle zu springen, das war nicht unmöglich. "Enttäuschend" nannte der Weltverband die schottische Ankündigung in einer Presseaussendung und zitierte aus seinem Regelbuch, zu dem sich auch die SRU per Unterschrift bekannt habe.

Aber das Spiel fand ja dann statt, und die Schotten durften sich selbst davon überzeugen, dass sie diesmal wirklich nicht zu den besten acht Rugby-Teams der Welt gehören. Denn nach der frühen Führung folgte ein japanischer Sturm, den das Hagibis-geschädigte Volk mit großem Vergnügen betrachtete. Das Tempo der quirligen Japaner überforderte die Schotten. Nach Trys von Kotaro Matsushima, Keita Inagaki und Kenki Fukuoka lagen sie schon vor der Pause deutlich zurück. Fukuoka legte zu Beginn der zweiten Halbzeit nach, und die folgende schottische Aufholjagd war nicht mehr gut genug. "Wenn du 28 Punkte zulässt, rennst du immer hinterher", sagte Greig Laidlaw. Die Japaner wussten, wem sie diesen Sieg schenken wollten. "An alle, die unter dem Taifun leiden", sagte Kapitän Michael Leitch, "dieses Spiel ist für Euch."

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