Süddeutsche Zeitung

Rückzug der Polizei auf Schalke:Stadion-Flucht per Retourkutsche

Die Kritik an der eigenen Arbeit ist der Polizei zu viel, deshalb ziehen sich die Beamten nach Beschwerden über zu harte Einsätze aus dem Stadion auf Schalke zurück. Nun ist der Verein sich selbst überlassen. Zwar stehen Hunderte Ordner bereit, für mögliche Konflikte ausgebildet sind die aber meist nicht.

Von Bernd Dörries, Düsseldorf

"Das ist unser Stadion, verpisst Euch", sollen die Fans in Gelsenkirchen gerufen und die Polizei mit Bierbechern beworfen haben. So steht es im Bericht des Innenministers Ralf Jäger (SPD) über die Vorfälle während des Champions-League-Qualifikationsspieles gegen PAOK Saloniki am 21. August. Der flegelhaft vorgetragene Wunsch mancher Schalke-04-Anhänger wird nun wohl schneller Wirklichkeit als gedacht.

Künftig soll es keine Polizisten mehr in der Schalker Arena geben, sagte Jäger vor dem Innenausschuss des Düsseldorfer Landtages am Donnerstag. Es sei nun allein Sache des Vereins, im Stadion für Sicherheit zu sorgen, so Jäger. Die Polizei werde im Umfeld des Stadions präsent sein - und in Notfallsituationen eingreifen, aber nur, wenn der Verein das wünscht. Der Verein war am Donnerstag erst einmal ziemlich überrascht, dass künftig keine Bereitschaftspolizisten mehr im Stadion sein sollen. "Ich kann es mir nicht vorstellen", sagte Sportdirektor Horst Heldt. Geschäftsführer Peter Peters war der Ansicht, dass man sich in "konstruktiven Gesprächen" mit der Polizei befinde.

Das sah der Innenminister wohl anders und kündigte einen in Deutschland bisher ziemlich einmaligen Rückzug der Ordnungskräfte an; Zehntausende Zuschauer, darunter gar nicht so wenige gewaltbereite Fans der gegnerischen Mannschaften werden nun auf engem Raum alleingelassen. Wenn das mal gut geht, für die Fans und auch den Minister.

Jägers Reaktion wirkt auch ein bisschen wie die beleidigte Retourkutsche auf die anhaltende Kritik an dem Polizeieinsatz vom August. Damals hatte die Polizei im Schalker Fanblock ihren so genannten "Einsatzmehrzweckstock" und Pfefferspray ausprobiert, 80 Personen wurden verletzt. Der Verein, Schalke-Fans und auch die Opposition im Düsseldorfer Landtag sprachen von einem völlig überzogenen Einsatz. Innenminister Jäger hält das Eingreifen für gerechtfertigt. "Der Vorwurf des unrechtmäßigen Einschreitens der Polizei ist ungeheuerlich. Das können wir uns nicht gefallen lassen", sagt Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft.

Schalke-Fans hatten nach Polizeiangaben damals eine Flagge der ehemaligen jugoslawischen Teil- republik Mazedonien mit dem Schriftzug "Nord Mazedonien" entrollt. Das Verhältnis von Griechenland und Mazedonien ist nicht spannungsfrei, beide Länder streiten um das Erbe der Antike und um Gebietsansprüche. Die griechischen Saloniki-Fans, so Innenminister Jäger in seinem vorläufigen Untersuchungsbericht, hätten dies als Provokation aufgefasst. "Sie forderten, das Banner zu entfernen. Ansonsten würden sie den Platz stürmen und das Banner unter Gewaltanwendung selbst entfernen." Daraufhin enterten bis zu 150 Bereitschaftpolizisten den Schalke-Fanblock.

Nach Angaben des Innenministers hätten auch Verantwortliche von Schalke 04 zuvor die Entfernung der Flagge gefordert - und mit dem Einsatz der Polizei gedroht, um das Hausrecht durchzusetzen. Nach § 5, r der Arena-Hausordnung ist das "Mitführen von Fan-Utensilien, soweit diese zur Provokation anderer Fangruppen genutzt werden" untersagt. "Wer den Einsatz letztlich anordnete, ist bis heute nicht geklärt", sagt Robert Orth, der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Entweder sei die Polizei vom Verein aufgefordert worden, das Hausrecht durchzusetzen. Oder habe eben selbst eingegriffen, wegen einer Flagge, die in Deutschland völlig legal ist. "Das Zeigen von nicht verbotenen Symbolen gehört auch im Stadion zur Meinungsvielfalt", sagt Orth.

Auf Schalke 04 kommt nun möglicherweise ein großer Sicherheitsaufwand zu. Bisher gab es bei Heimspielen etwa 600 eigene Ordner und mehrere Hundertschaften der Polizei. Für mögliche Konflikte ausgebildet sind die Ordner meist nicht. Diskussionen um den Polizei-Einsatz bei Fußball-Spielen hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben, die Polizeigewerkschaften kritisieren in regelmäßigen Abständen die Überlastung durch die Einsätze bei den Bundesligaspielen.

Die Vereine kontern stets, dass sie als Steuerzahler Anspruch auf die Präsenz der Polizei hätten. "Selbstverständlich muss bei einer Großveranstaltung die Polizei vor Ort sein. Das ist ihr Auftrag", sagte der Mainzer Manager Christian Heidel dem TV-Sender Sky.

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Quelle:
SZ vom 13.09.2013
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