Süddeutsche Zeitung

Rücktritt von Luca di Montezemolo:Überholt hat ihn nur die Zeit

Charmant ist in der Formel 1 heute kaum noch etwas - und nun verlässt auch noch Luca di Montezemolo den Kommandostand bei Ferrari. Selbst im Scheitern verkörperte er noch die lässige italienische Weltläufigkeit.

Von Birgit Schönau, Rom

Der Graf tritt ab und mit ihm eine ganze Ära. Eine Zeit, in der die Piloten und die roten Autos aus dem 17 000-Einwohner-Nest Maranello in der Emilia Romagna Motorsport-Fans aus der ganzen Welt begeisterten. Dass Ferrari nicht einfach nur eine Weltmarke unter vielen in der Formel 1 wurde, sondern eine Art Kulturgut für die globale Gemeinde der Pisten- Enthusiasten, verdankt die Scuderia vor allem Luca Cordero di Montezemolo. 23 Jahre lang stand der Adlige aus altem Piemonteser Geschlecht an der Spitze von Ferrari, 14 Weltmeisterschaften wurden unter seiner Ägide gewonnen, sechs von Piloten, acht von Konstrukteuren.

Zählt man seine Jahre als Teamchef von 1973 bis 1977 hinzu, und die zwei Titel mit Niki Lauda, so hat Montezemolo fast so viel Triumphe geholt wie der Gründervater Enzo Ferrari. Eigentlich konnte ihn niemand überholen, nur die Zeit. Und weil Luca di Montezemolo aus der Zeit gefallen ist, muss er jetzt gehen.

Am Mittwoch hat er seinen Rücktritt angekündigt, pathetisch wie immer: "Ferrari ist die schönste Firma der Welt. Gemeinsam mit meiner Familie war sie für mich das Wichtigste in meinem Leben." Dass er selbst, der einst von Enzo Ferrari angeheuert wurde, nun von Fiat-Boss Sergio Marchionne zu den Altlasten aussortiert wird, muss ihn schwer getroffen haben.

Als Ferrari am Sonntag beim Großen Preis von Italien in Monza wieder einmal der Konkurrenz hinterher gefahren war, hatte Marchionne dem Chef des Fiat- Tochterunternehmens Ferrari faktisch gekündigt. Was für Ferrari zähle, seien Ergebnisse, und die blieben bereits seit dem letzten Konstrukteurs-Titel 2008 aus. Über Montezemolo ließ Marchionne nur eine sarkastische Bemerkung fallen: "Niemand ist unersetzlich."

Das wird man ja jetzt sehen, da Marchionne zunächst einmal selbst Montezemolo ersetzt - der Sohn italienischer Arbeitsemigranten, die aus den Abruzzen nach Kanada zogen, nimmt den Platz des Marchese ein. Marchionne ist der klassische Selfmade-Man, demonstrativ trägt er nur Pullover, als müsse er auch mit 62 noch die Anzugträger dieser Welt herausfordern. Montezemolo hingegen ist mit 67 zwar auch ein Arbeitstier, fände es aber unfein, das zu zeigen.

Lieber pflegt er mit der stets leicht zerstreuten Allüre eines Dandys seinen Platz in den Verwaltungsräten der unterschiedlichsten Unternehmen einzunehmen. Als Person ist Montezemolo ebenso unaufdringlich elegant wie seine Kleidung, lediglich die Angewohnheit, die linke Hand in die Jackentasche zu stecken, zeugt von seinem Hang zum Unkonventionellen. Natürlich hat er seine Finger trotzdem überall drin in Italien.

Als junger Jurist fuhr Montezemolo bereits Rallyes, als Ferrari-Chef unterhielt er eine langjährige Liaison mit dem Softporno-Star Edwige Fenech. An der Seite des Grafen wurde die Dame gesellschaftsfähig - wie überhaupt alles gleich ein wenig heller strahlte, was dieser Vorzeigemann des alten Italien mit seiner Verbindlichkeit und seinen Verbindungen unter die Fittiche nahm. Montezemolo gab den Fußballmanager, als Chef des Organisationskomitees der WM 1990, als Vizepräsident beim Rekordmeister Juventus Turin und beim FC Bologna.

Er führte Fiat nach dem Tod des Patriarchen Gianni Agnelli, er wurde als Minister gehandelt, er gründete eine Partei. Und bei all diesen Aktivitäten in Sport, Wirtschaft und Politik war Montezemolo noch nicht einmal überragend erfolgreich, manchmal ging er richtig baden. Aber selbst dann verkörperte er überzeugend jene Eigenschaft, die als "Italianità" berühmt ist: lässige Weltläufigkeit, verbunden mit Selbstironie und distanzierter Herzlichkeit.

Kurzum, Charme, wie übrigens auch eine von Montezemolo gegründete Marke heißt. Die Frage ist, wie viel Ferrari noch wert ist ohne eine Spitzenkraft, die diesen Rennstall im immer weniger charmanten Zirkus der Formel 1 allein durch ihre Persönlichkeit zu etwas Besonderem machte.

"Der Ferrari-Mythos hat wenig mit sportlichen Resultaten zu tun", sagt die Wirtin

Maranello jedenfalls wähnt sich ohne Montezemolo verwaist, schutzlos der rabiaten Fiat-Konzernspitze und überhaupt der feindlichen Welt ausgeliefert. Die Arbeiter fürchten um ihre Zuschläge, die Stadtoberen um das Image. Ferrari, bisher das Juwel im Autokonzern, solle zu einer Fiat-Chrysler-Marke unter vielen zurechtgestutzt werden, klagen die Leute den italienischen Medien - die meisten aus Furcht vor Konsequenzen anonym. Nur Rafaela De Angelis, die das Ferrari-Restaurant "Il Paddock" führt, traut sich, zu sagen, was alle denken: "Zu mir kommen Tifosi aus aller Welt. Der Ferrari-Mythos hat eben wenig mit sportlichen Resultaten zu tun."

Sicher, die Roten sind inzwischen seit 27 Rennen nicht als Sieger ins Ziel gefahren. Aber in den 1990er Jahren, als Montezemolo den Chefposten übernahm, war die Durststrecke 59 Rennen lang. In Monza übrigens hatte der letzte Italiener anno 1966 gewonnen. Ludovico Scarfiotti, ein Cousin des damaligen Fiat-Chefs Gianni Agnelli, raste in einem Auto aus Maranello zum Sieg. Zuletzt gewann Ferrari 2010 in Monza, mit dem Spanier Fernando Alonso. Aber in zwei Jahren könnte mit dem Großen Preis von Italien ohnehin Schluss sein.

Früher gab es Monza und dazu noch Imola, wo der Große Preis von San Marino stattfand. Gleich zwei Rennstrecken in Ferrari-Land. Heute fahren sie lieber in China, Malaysia und Bahrain. Die Formel 1 ist da, wo die neuen Märkte sind und wo das große Geld wartet. Nicht mehr in der italienischen Provinz, wo Lambrusco, Parmesan und Parmaschinken produziert werden.

Es geht nicht mehr um italienische Besonderheiten, sondern um Anteile auf einem globalen Markt. Nicht nur Ferrari trifft das, auch den Fußball, wo die italienischen Erstligaklubs sich von ihren schillernden Klub-Patriarchen lösen müssen, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Insofern ist Montezemolos Abgang ein Zeichen der Zeit, ganz davon abgesehen, dass man mit 67 Jahren und einer Abfindung von fast 27 Millionen Euro beruhigt in Rente gehen kann: Die Summe setzt sich zusammen aus 13,71 Millionen Euro (fünf Jahresgehälter) und 13,25 Millionen Euro, damit Luca Cordero di Montezemolo bis März 2017 bei keinem Konkurrenten der Fiat-Gruppe einsteigt.

Auf Triumphe folgen Niederlagen, nichts Neues bei Ferrari. Es ist sogar Teil der großen und bewegenden Saga um Piloten wie Alberto Ascari, Juan Manuel Fangio, Niki Lauda, Jody Scheckter, Alain Prost. Oder Gilles Villeneuve, der in einem Ferrari starb. Schließlich kam der unerreichte Michael Schumacher, mit seinen fünf WM-Titeln in fünf Jahren zwischen 2000 und '04. Dass der Deutsche danach noch einen Neuanfang bei Mercedes versuchte, wurde ihm nachgesehen: einmal Ferrari, immer Ferrari. Als Schumacher Monate nach seinem Skiunfall am Dienstag endlich nach Hause gebracht werden konnte, zeigte Maranello Erleichterung.

Luca Cordero di Montezemolo wusste stets genau, wie man aus Emotionen und Sehnsüchten Geschäfte macht. Doch abseits des Gewinnstrebens hat dieser umtriebige Adlige einer Autofabrik und der dazu gehörigen Kleinstadt auf sehr altmodische Art Seele verliehen. Die Weltmarke aus der Provinz wurde eine italienisch geprägte Weltfamilie.

Und das muss man erst mal ersetzen.

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SZ vom 11.09.2014/jbe
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