Rücktritt aus dem DFB-Team:Was hinter Özils Aussagen steckt

In seinen Statements teilt der Weltmeister aus: gegen den DFB-Präsidenten, einen Sponsor und die Medien. Was genau kritisiert er? Und stimmen die Äußerungen?

Von Martin Schneider

Mesut Özil hat am Sonntag drei Statements veröffentlicht und dabei viele Akteure, Sponsoren und Medien angegriffen. Die wichtigsten Aussagen in der Analyse.

"Im Mai habe ich Präsident Erdoğan während eines Charity-Events in London getroffen. Das erste Mal hatten wir uns 2010 getroffen, nachdem er sich zusammen mit Angela Merkel in Berlin das Spiel zwischen Deutschland und der Türkei angeschaut hatte. Seitdem haben sich unsere Wege mehrfach gekreuzt."

Mesut Özil hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit Erdoğan getroffen, es gab auch immer wieder Bilder der beiden, die aber in der deutschen Öffentlichkeit kaum beachtet wurde. So traf sich Özil mit Erdoğan 2011, 2012 und 2016 - 2011 überreichte er ihm ein Trikot seines damaligen Klubs Real Madrid. Allerdings waren alle diese Treffen vor dem Putschversuch in der Türkei. Danach verschärften sich Erdoğans autokratische Tendenzen.

"Diverse deutsche Zeitungen nutzen meinen Hintergrund und das Foto mit Präsident Erdoğan als rechte Propaganda, um deren politische Haltung zu unterstützen. Warum sonst nutzen sie Bilder und Überschriften mit meinem Namen als direkte Erklärung für die Niederlagen in Russland? Sie kritisieren nicht meine Leistung, sie kritisieren nicht die Leistung des Teams, sie kritisieren nur meine türkische Abstammung und meinen Respekt davor."

Özil spielt damit vermutlich vor allem auf die Bild-Zeitung an, in der Kolumnist Lothar Matthäus nach der Niederlage gegen Mexiko mutmaßte, Mesut Özil fühle sich nicht wohl im DFB-Trikot. Auf ihn bezieht sich auch der nächste Absatz hin, in dem Özil schreibt:

"Was ich auch enttäuschend finde, sind die unterschiedlichen Maßstäbe, die die Medien anlegen. Lothar Matthäus (ein hoch dekorierter Kapitän der Nationalmannschaft) hat sich vor einigen Tagen mit einem anderen Weltführer [Russlands Präsident Wladimir Putin; Anm. d. Red.] getroffen und fast keine Kritik bekommen. Trotz seiner Rolle im DFB haben sie nicht von ihm verlangt, seine Handlungen zu erklären."

Mit der Kritik an diesen Doppelstandards hat Özil recht. Lothar Matthäus wurde zwar für seinen Termin bei Wladimir Putin kritisiert - allerdings nicht in der Frequenz und Heftigkeit wie Özil. Der DFB verlangte auch keine Erklärung von Matthäus.

"Ich hatte geplant, meine frühere Schule Berger-Feld in Gelsenkirchen zu besuchen, zusammen mit meinen Charity-Partnern. (...) Zusätzlich hat die Schule meinem Management mitgeteilt, dass sie mich nicht länger sehen wollen, weil sie aufgrund meines Fotos mit Präsident Erdoğan Angst vor den Medien und vor der rechten Partei in Gelsenkirchen hätten. Um ehrlich zu sein, schmerzt das. Obwohl ich einer ihrer Schüler war, habe ich mich unerwünscht und ihrer Zeit wertlos gefühlt."

Dazu hat die Schulleiterin in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung Stellung genommen. "Es hätte einen Termin in den Pfingstferien geben sollen, aber da wären ja auch keine Schüler da gewesen", sagte Maike Selter-Beer der WAZ. Allerdings, so räumt sie ein, könne es schon sein, dass es auch terminliche Abstimmungsprobleme unter den Schulleitungsmitgliedern gegeben habe. Özil sei weiterhin an der Schule willkommen. Man sehe ihn als ehemaligen Schüler und Förderer, nicht als politischen Menschen. Allerdings habe Selter-Beer beim Gespräch mit Özils Anwalt, als es um den Termin im Mai ging, auch erwähnt, dass man in Gelsenkirchen Vorsicht walten lassen müsse wegen der starken Präsenz rechter Parteien.

"Hinzu kommt, dass sich ein weiterer Partner von mir losgesagt hat. Dabei handelt es sich auch um einen Partner des DFB, vor der WM wurde ich gebeten, an Werbevideos teilzunehmen. Nach meinem Bild mit Präsident Erdoğan haben sie mich aus der Kampagne genommen und alle weiteren geplanten Werbeaktivitäten gestrichen. (...) Das ist sehr ironisch, denn ein deutsches Ministerium hatte ihre Produkte für illegal erklärt, da sie unautorisierte Software beinhalte, die das Risiko für den Kunden erhöhe. Hunderttausende ihrer Produkte wurden zurückgerufen. Während ich kritisiert und vom DFB aufgefordert wurde, meine Handlungen zu erklären, gab es keine solche offizielle und öffentliche Aufforderung an den DFB-Sponsor."

Das entspricht im Großen und Ganzen der Wahrheit. Allerdings wehrt sich Daimler juristisch gegen die Behauptung, die Aktion sei "illegal", das Kraftfahrt-Bundesamt spricht von "unzulässiger" Software. Daimler, dessen Marke Mercedes-Benz DFB-Sponsor ist, äußerte sich über Sprecher Jörg Howe, der über Twitter mitteilte, man werde sich Özils Stellungnahme ansehen und bewerten.

Özils Kritik an DFB-Präsident Grindel

"Als ich Grindel mein Erbe, meine Vorfahren und die daraus entstandenen Gründe für das Foto zu erklären versuchte, war er viel mehr daran interessiert, über seine eigenen politischen Ansichten zu sprechen und meine Meinung herabzusetzen. Während seine Handlungen herablassend waren, haben wir beschlossen, dass es das Beste wäre, sich auf den Fußball und die kommende Weltmeisterschaft zu konzentrieren. Das ist der Grund, warum ich nicht am DFB-Medientag während der WM-Vorbereitung anwesend war."

Özil schreibt hier, dass "wir" beschlossen hätten, dass er am Medientag nicht teilnehmen würde. Die Frage ist, wer genau "wir" ist, denn Oliver Bierhoff sagte als DFB-Vertreter, dass er das Schweigen von Mesut Özil für keine gute Idee halte. Er hätte versucht, ihn davon zu überzeugen, ein Statement abzugeben, aber Özil hätte nicht gewollt. Auch Grindel schilderte vor der WM noch in einem Interview mit der Zeit Verständnis für Özil. "Die beiden haben mir erklärt, dass sie sich aus Respekt vor dem Staatspräsidenten und der Heimat ihrer Eltern und Großeltern diesem Treffen nicht entziehen konnten. Ich glaube ihnen, nicht abgesehen zu haben, dass es zu einem solchen Foto kommt und dieses durch die Wahlkampfzentrale der AKP veröffentlicht würde. Es war nach den uns geschilderten Abläufen unmöglich, einfach zu gehen, als sie feststellten: Hier werden Aufnahmen gemacht."

"Ich hatte mit Präsident Steinmeier vereinbart, ein gemeinsames Statement zu diesem Thema zu veröffentlichen, ein weiterer Versuch, um voranzukommen und uns auf Fußball zu konzentrieren. Aber Grindel war verärgert, dass es nicht sein Team war, das das erste Statement veröffentlicht hatte, er war verärgert, dass die Presseabteilung Steinmeiers in dieser Sache die Führung übernommen hat."

Es gab nach einem Treffen kein gemeinsames Statement von Bundespräsident Steinmeier und Özil. Steinmeier äußerte sich zu dem Treffen in der Zeit und auf seiner Facebook-Seite, ein Statement von Özil gab es nicht. Über die Gründe wurde nichts bekannt.

"In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren."

Der Satz erinnert an die Spieler Romelu Lukaku und Karim Benzema. Der belgische Nationalspieler Romelu Lukaku schrieb in einem Gastbeitrag für das Sportportal The Players' Tribune: "Wenn es gut lief, las ich Zeitungsartikel und sie nannten mich Romelu Lukaku, den belgischen Stürmer. Wenn es nicht gut lief, nannten sie mich Romelu Lukaku, den belgischen Stürmer kongolesischer Herkunft." Der französische Nationalstürmer Karim Benzema, der algerische Wurzeln hat, fasste seine Rassismus-Kritik ganz ähnlich zusammen: "Treffe ich, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber."

"Reinhard Grindel, ich bin sehr enttäuscht, aber nicht überrascht von Ihrem Handeln. In 2004, als Sie Mitglied des Bundestages waren, haben Sie behauptet, dass 'Multikulturalität ein Mythos und eine lebenslange Lüge' sei. Sie haben gegen Gesetze für Doppel-Nationalitäten [...] gestimmt, und Sie haben gesagt, dass die islamische Kultur in vielen deutschen Städten zu tief verwurzelt sei."

Reinhard Grindel galt damals als Hardliner. Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu sagte kürzlich zu einer Rede von Grindel zur doppelten Staatsbürgerschaft im Jahr 2013: "Was Grindel da von sich gab, war nicht nur tendenziös. Es war reinster AfD-Sprech, bevor es diese Partei überhaupt gab." Allerdings: Seit er DFB-Präsident ist, ist kein Fall bekannt, in dem sich Grindel in integrationspolitischen Fragen tendenziös geäußert hätte.

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