Süddeutsche Zeitung

Rückkehr des Siegers Roger Federer:Wie auf Schnellvorlauf

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Am Ende einer mäßigen Tennis-Saison spielt Roger Federer noch einmal groß auf und kürt sich mit dem Triumph in London zum Rekordsieger. Jetzt fühlt er sich fit für Grand-Slam-Siege im Jahr 2012 - und könnte bei Olympia den einzigen Titel holen, der ihm noch fehlt.

Milan Pavlovic

"Hätte ich schneller gewinnen können?", fragte Roger Federer. "Ich glaube schon", antwortete er sich selber nach dem 6:3, 6:7 (6), 6:3 über den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga im Endspiel des ATP-Finales in London. Der Schweizer klang nicht kokett, er analysierte nur eine Partie, die wesentlich umkämpfter war als das Finale von Paris vor zwei Wochen gegen den selben Gegner.

Federer erinnerte daran, dass er im zweiten Durchgang bei einer 4:2-Führung die Chance zum Doppelbreak ausgelassen hatte und beim 5:4 erstmals im Finale seinen Aufschlag abgeben musste; beim 5:5 hatte er einen weiteren Breakball vergeben, im Tie-Break ein 5:2 verspielt und beim 6:5 einen Matchball ungenutzt gelassen.

"Er war in jedem Satz der bessere Spieler", sagte Tsonga, der selbst furchtlos gespielt hatte. "Ich hatte es in meinen Händen, die Partie in zwei Sätzen zu gewinnen", sagte Federer, der sich phasenweise bewegte wie in seinen besten Tagen, so dass man den Eindruck haben konnte, jemand habe die Schnellvorlauftaste gedrückt. Und dann rückte der Sieger mit der Wahrheit heraus: "Ehrlich gesagt, fühlt es sich trotz aller Müdigkeit so, nach drei Sätzen, noch besser an."

Damit hält der Grand-Slam-Rekordgewinner (16 Titel) zwei neue Bestmarken. Erstens ist er der Erste, der die ATP-WM zum sechsten Mal gewonnen hat (siehe Statistik). "Die ganze Woche über habe ich versucht, nicht zu weit nach vorne zu schauen und mich zunächst von den Turnieren in Basel und Paris zu erholen. Mein einziges Ziel war, die Vorrunde zu überstehen" - was ihm mit drei Siegen ordentlich gelang -, "und erst jetzt setzt sich langsam fest, dass ich dieses Turnier zum sechsten Mal gewonnen habe. Das ist ein außerordentliches Gefühl, eine meiner größten Errungenschaften."

Zweitens ist er mit 30 der älteste Gewinner dieses Turniers. "Ich bin glücklich, dass mein Level noch so hoch ist und mein Körper hält", sagte Federer, der zum neunten Mal nacheinander am Jahresende unter den ersten Drei der Weltrangliste steht. "Ich habe noch keine Saison so stark beendet", sagte Federer überschwänglich, und auch wenn ihn da das Gedächtnis trog (2006 schloss er mit 29 Siegen und fünf gewonnenen Turnieren in Serie ab), war klar, was er gemeint hatte: 2011 sah für ihn lange wie eine verlorene Saison aus, aber aktuell spielt er besser als alle Konkurrenten.

Auch deshalb geht sein Blick wieder nach vorn: Bereits in sieben Wochen beginnen die Australian Open, der erste Höhepunkt des Jahres 2012. "Klar wäre es nett, wieder ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen", sagte der Schweizer, der 2011 erstmals seit 2002 ohne Major-Sieg blieb. "Ich habe in diesem Jahr und auch im vergangenen ein paar gute Gelegenheiten ausgelassen. Also bin ich vielleicht wirklich über den Zenit hinaus. Aber vielleicht auch nicht."

Die Perspektive des Vaters von zwei Töchtern hat sich mit den Jahren etwas geändert: "Mir ist es egal, ob ich die Nummer drei oder vier bin. Ich habe schon lange aufgehört, jedem Punkt nachzurennen. Es ist wichtiger, verletzungsfrei zu bleiben und die richtigen Entscheidungen zu treffen."

Am wichtigsten sei für ihn, wie er auf bittere Niederlagen reagiere wie jene im US-Open-Halbfinale gegen den Serben Novak Djokovic, in dem er zwei Matchbälle vergab: "Das war eine Niederlage, die weh tat." Und wie hat er reagiert? Mit 17 Siegen und drei Turniererfolgen in Serie. "Ich glaube, das zeigt, wie hart im Nehmen ich noch immer sein kann - und dass ich die richtige Reaktion zeigen kann", sagt Federer stolz.

2012, glaubt er, wird die Konkurrenz noch härter, "weil die Spieler hinter Novak, Nadal und Murray, jene auf den Positionen fünf bis acht, näher gekommen sind. Die Qualität in den Top Ten, wenn nicht Top 25, ist so gut wie nie." Das hält ihn nicht ab, ambitionierte Ziele zu formulieren: "Ich habe vor, im nächsten Jahr dreimal nach London zurückzukehren." Zu Wimbledon, Olympia (der einzige große Titel, der ihm fehlt) und Tour-Finale. "Ich könnte jetzt behaupten, dass davon Olympia das Größte ist, aber das wäre nicht ehrlich", sagte Federer.

In jedem Fall will er dem Tennis treu bleiben und sich nicht in die Politik locken lassen - obwohl er jüngst, wie der Sport-Informationsdienst meldete, bei den Ständeratswahlen im Kanton Schwyz 132 Stimmen erhielt. Federer lachte, als er davon hörte: "Ich wusste gar nicht, dass mein Name im Spiel war." Er hatte in London genug zu tun.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2011
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