Rudern:"Wir können Gott danken, dass es Gold geworden ist"

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Wiederholungstäter: Der deutsche Doppelvierer mit (von links) Hans Gruhne, Lauritz Schoof, Philipp Wende und Karl Schulze feiert wie vor vier Jahren den Gewinn der Goldmedaille. (Foto: Patrick Smith/Getty Images)

Die Doppelvierer der Frauen und Männer bescheren den deutschen Ruderern einen goldenden Donnerstag. Vor allem der Sieg der Männer kommt völlig unerwartet.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Die vier Männer treiben in ihrem Doppelvierer an der Startlinie im See, fernab vom Lärm und der Freude. Sie haben sich ganz rechts eingereiht, auf der ersten Bahn. Von dort haben sie die beste Sicht auf Berge und Häuser, die gleich neben der Lagune die Hänge hinaufklettern. Aber der schönste Ausblick bedeutet jetzt auch die schlechteste Ausgangsposition für das deutsche Boot. Denn auf den äußeren Bahnen rütteln Wind und Wellen kräftiger an den Booten als in der Mitte des Feldes. Ganz außen kämpfen die Außenseiter.

Na und?

"Was auf den letzten 500 Metern passiert ist, weiß ich gar nicht mehr", sagt Hans Gruhe

Der Start. Philipp Wende, Lauritz Schoof, Karl Schulze und Hans Gruhne klemmen sich sofort an die Spitze und lassen sich von dort auch nicht verscheuchen. Nach 500 Metern haben sie 1,28 Sekunden zwischen sich und die Verfolger gelegt, nach 1500 Metern sind es ein paar Zehntel mehr. Die Favoriten aus Australien drängeln sich nach vorne, aber sie kommen nicht heran, aus dem Seitenwind ist starker Gegenwind geworden. "Was auf den letzten 500 Metern passiert ist, weiß ich gar nicht mehr", wird der deutsche Schlagmann Gruhne später sagen. Es reicht jedenfalls: Nach 6:06,81 Minuten treffen sie im Ziel ein, 1,15 Sekunden vor den Australiern, knapp vier vor den Mitfavoriten aus Estland. Schoof steht auf, breitet die Arme kurz aus wie die Christusstatue, die vom Corcovado, vom anderen Ende des Sees, aufs Ziel hinunterschaut. Dann plumpst er wieder ins Boot. "Ich bin fast ins Wasser gefallen, weil mir so schwindelig war", sagt er später. "Wir können Gott danken, dass wir das geschafft haben. Irre, einfach irre."

Auf dem Bootssteg, als die Deutschen die ersten Glückwünsche annehmen, kehren die Kräfte langsam wieder in die Körper zurück. Und gerade, als die erste Freude abgeflaut ist, trifft schon die nächste Abordnung des Deutschen Ruderverbandes (DRV) ein. Der Doppelvierer der Frauen schiebt sich auf den letzten Metern an den Polinnen vorbei, die am Ende Dritter werden; knapp hinter den Niederländerinnen. Gold also auch für Annekatrin Thiele, Carina Bär, Julia Lier und Lisa Schmidla an einem Tag, an dem sich alle deutschen Erwartungen erfüllten und noch mehr.

Zwei bis vier Medaillen, davon eine bis drei aus Gold hatte DRV-Cheftrainer Marcus Schwarzrock für Rio vorgegeben: "Sicherlich eine engagierte, aber realistische Zielstellung", fand er. Gut, sieben von zehn deutschen Besetzungen blieben erst einmal in den Vorläufen hängen, der ehemalige Weltmeister Marcel Hacker brach sogar kurz zusammen, nachdem er im Doppelzweier mit Stephan Krüger ausgeschieden war. Aber der deutsche Achter, der am Samstag als letztes deutsches Boot seinen Auftritt hat, ist gut durchgekommen. Die Doppelvierer hatten 2012 in London Gold (Männer) und Silber (Frauen) gewonnen. Auch bei Weltmeisterschaften sammelten sie Medaillen, die Frauen Gold 2013 und 2014, die Männer reisten immerhin als Weltmeister von 2015 nach Rio. Trotzdem waren die Frauen favorisiert. Die deutsche Besetzung ist über die Jahre weitgehend zusammengeblieben, sie hatte die Schienen früh gelegt, auf denen sie nun zum Sieg rollen würde. Thiele, 31, und Bär, 26, waren schon 2012 in London dabei und seitdem immer wieder; Schmiedla, 25, und Lier, 24, saßen beim WM-Sieg 2014 im Boot. Im Vorlauf hatten sie die zweitplatzierten Ukrainerinnen um fünf Sekunden abgeschüttelt. Was sollte da im Finale passieren?

Die Männer? Tja. Die Weltmeister waren mehr schlecht als recht in die Saison gekommen, bei der Europameisterschaft waren sie nur Vierte geworden. Schlagmann Gruhne schloss sich krankheitsbedingt erst beim letzten Weltcup in Poznan seinen Kollegen Schoof, Schulze und Wende an. Sie brachten ihre Stärke wieder zum Schimmern, ganz zart. "Aber das Jahr war für mich und das Boot ein unglaubliches Auf und Ab", sagte Gruhne, der in Poznan für Tim Grohmann ins Boot gerutscht war. Und in Rio ging der Vorlauf "völlig daneben", gestand er. Die Deutschen hatten in der Heimat, bei den letzten Vorbereitungen, in einem anderen Boot trainiert, das Wettkampfschiff wurde bereits nach Brasilien transportiert. In Rio kletterten sie dann wieder ins alte Boot. "Wir wollten erst nicht dran denken", erinnerte sich Karl Schulze, "um uns nicht verrückt zu machen. Aber wir haben dabei vergessen, die Technik umzustellen." Kleine Sachen, "die zwischen schnell und ganz schnell unterscheiden", sagte Schulze. Sie saßen also im Hoffnungslauf nach, justierten die Abläufe fürs Finale. Dort nutzten sie ihre starken ersten Meter, um die Konkurrenz zu überrumpeln, mit einem Sprint nach dem Start. "Wir wollten die anderen gar nicht erst ins Rennen kommen lassen und dann jeden Angriff kontern", sagte Gruhne. So weit der Plan. Allein die letzten Meter wichen vom Skript ab. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass keiner mitfahren kann", sagte Gruhne.

"Es ist unsere Stärke, dass wir hintenraus zulegen können", sagt Annekatrin Thiele

Bei den Frauen folgte das Rennen einer ähnlichen Choreografie. Auch hier studierten die Favoriten das Geschehen erst einmal von der Warte der Verfolger aus. Diesmal waren es allerdings die Deutschen. Bis zur 1500-Meter-Marke schaute sich der Europameister an, was die Polinnen an der Spitze trieben, "es ist ja nicht ganz so gut losgegangen, wir wollten vorneweg fahren", sagte Annekatrin Thiele. "Aber es ist unsere Stärke, dass wir hintenraus noch zulegen können." Schlagfrau Schmiedla erhöhte die Frequenz. "Wir haben dann einfach alle mitgemacht", sagte Thiele, und so fuhren sie zu viert hinein in den Lärm und in die Freude im Ziel, an diesem goldenen Donnerstag.

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