Rudern:Trost-Caipirinhas im Zielkorridor

Rio 2016 - Rudern

Nicht jede Medaille macht rundum glücklich: Die Crew des deutschen Achters wirkte wenig erfreut über Silber.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Die Bilanz des Ruder-Achters steht stellvertretend für einen deutschen Olympia-Sport, der um seine Zukunft ringt.

Von Boris Herrmann

Doch, doch, am Ende haben sie sich schon gefreut, die Ruderer des Deutschlandachters. Man wurde bloß den Eindruck nicht los, dass sie jedes Lächeln fast so viel Kraft und Überwindung kostete wie jene zwei Kilometer lange Wettfahrt auf der Lagoa Rodrigo de Freitas, die sie auf dem zweiten Platz beendet hatten. Knapp vor den Niederlanden, deutlich hinter Großbritannien. Der deutsche Steuermann Martin Sauer, 33, freute sich beispielsweise so: "Die Emotionen kommen bei mir später. Nächste Woche noch mal nachfragen." Der Schlagmann Hannes Ocik, 25, fragte sich noch auf dem Weg von der Siegerehrung in den Shuttlebus: "Das waren jetzt vier Jahre Arbeit für eine Silbermedaille. Warum?" Nachdem er eine Nacht lang am Caipirinha-Stand im deutschen Haus nach einer Antwort gesucht hatte, wusste er immerhin: "Wir sind die zweitbeste Mannschaft der Welt. Da kann ich jetzt nicht den Geknickten geben."

Wer die derzeit beste Mannschaft der Welt ist, daran ließen die Briten nie einen Zweifel aufkommen. Es handelte sich um eine Machtdemonstration, alle anderen Boote waren chancenlos. Vor vier Jahren in London hatte der deutsche Achter diesen Briten noch die Goldmedaille vor der Haustür weggeschnappt. Diesmal war Schlagmann Ocik schon auf halber Strecke klar: "Heute können wir die vergessen."

Sie freuten sich also unter Vorbehalt, unter den gegebenen Umständen sowie aus Anstand, um nicht wie geknickte Medaillengewinner dazustehen. Und wenn man die Sache statistisch betrachtet, kann sich die Ausbeute des Deutschen Ruderverbandes (DRV) bei diesen Spielen ja durchaus sehen lassen: zweimal Gold durch die Doppelvierer und Silber mit dem Achter. Das liegt im sogenannten Medaillenkorridor, der vorab definiert wurde. Im Gegensatz zu den Schwimmern oder den Fechtern können sich die Ruderer sagen: Zielvorgabe erfüllt! Und der DRV-Cheftrainer Marcus Schwarzrock tut das auch: "Es zählen letztendlich die Medaillen. Wir sind zufrieden."

Mit dieser Art der statistischen Zufriedenheit stand Schwarzrock allerdings weitgehend alleine da. Achter-Bundestrainer Ralf Holtmeyer hatte am Samstag schon vor der Medaillenzeremonie eine Strukturdebatte eröffnet. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse jetzt das komplette System hinterfragt werden, forderte Holtmeyer. Aus Sicht des nicht unbedingt als Partyrakete bekannten Westfalen ist der deutliche Sieg des britischen Achters eben keine Überraschung, sondern ein Ausdruck der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse. Die Briten hatten zuletzt auch die Weltmeisterschaften dominiert. "Weil sie breiter aufgestellt und besser organisiert sind", so Holtmeyer. Seinem Verband attestierte er in dieser Sache "Führungsschwäche".

So ähnlich sieht das auch die Besatzung des Deutschlandachters: "Was Ralf sagt, ist schon irgendwo richtig", findet etwa der rudernde Wirtschaftsingenieurstudent Richard Schmidt, 29, der 2012 auch schon im Goldboot von London gesessen hatte. Aus Schmidts Sicht kann man die deutsche Ruderbilanz von Rio schließlich auch so lesen: Die drei Boote, die Medaillen holten, waren die einzigen drei Finalteilnahmen für den DRV, der diesmal überhaupt nur in zehn von 14 Bootsklassen vertreten war. Im Einer war erstmals seit 64 Jahren kein deutscher Ruderer am Start. "Da muss man ganz klar sagen, da passiert hintendran nicht so richtig viel. Wir haben definitiv ein Problem in der Breite und mit unserem Nachwuchs", sagte Schmidt.

Jürgen Grobler, 70, verantwortet den Erfolg der Briten - wie früher schon den der DDR-Ruderer

Nicht ohne Neid blicken Holtmeyer und seine Ruderer nach Großbritannien, wo der aus Magdeburg stammende Cheftrainer Jürgen Grobler, 70, so etwas wie eine goldene Ruder-Ära verantwortet. Auch dessen Vierer ohne Steuermann hatte in Rio wieder Gold geholt, zum fünften Mal in Serie. Grobler arbeite unter ganz anderen Bedingungen, "der würde nie bei uns anfangen", sagte Holtmeyer. Das wäre auch schwer vermittelbar. Als leitender Ruder-Trainer der DDR war er in das damalige Staatsdoping verstrickt. Das gab er gegenüber der BBC schon vor Jahren zu, genau wie seine "gelegentlichen Spitzeldienste" für die Stasi. Wie die Gegenwart in die Zukunft hineinwirkt, auch im Rudern ist das eine spannende Frage. Seit 1992 ist Grobler jedenfalls auf der Insel, wo sie ihn "The Master of British Rowing" nennen.

Und in Kreisen des Deutschlandachters sehen sie, dass ihre britischen Kollegen heute organisiert sind wie die Profiabteilung eines Fußballklubs, während beim DRV seit Jahren von "Dezentralisierung" die Rede ist. Steuermann Martin Sauer erklärt den Strukturnachteil so: "Bei uns gibt es Vereinstrainer, Stützpunkttrainer, Landestrainer, ein kleines Zentrum hier und ein kleines Zentrum da." Es könne nicht sein, dass gerade im Nachwuchsbereich alle Leute an verschiedenen Orten trainieren. Rudern ist ja, gerade in den Riemen-Disziplinen wie dem Achter, auch eine Koordinations-Sportart. "Das geht nur, wenn man täglich den Rhythmus findet. Und das ist momentan eben nicht gegeben", so sieht es Richard Schmidt.

Den Deutschlandachter von Rio, soviel steht fest, wird es in dieser Form nicht mehr geben. Ein Teil der Besatzung will lieber sein Studium beenden und sich eine Arbeit mit Zukunftsperspektive suchen. Die Rhythmussuche beginnt also wieder von vorne. Die Trost-Caipirinhas im deutschen Haus waren auch der Teil einer nicht ganz ungetrübten Abschiedsparty.

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