Süddeutsche Zeitung

Rudern:Power sticht Technik

Der Deutschland-Achter war in den vergangenen Erfolgsjahren sehr harmonisch - trotzdem gibt es nun zwei einschneidende personelle Änderungen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Olympia-Gold im Deutschland-Achter ist das Höchste, was ein Ruderer erreichen kann. Das gilt auch für den Passauer Felix Wimberger. Der 29-Jährige war auf dem besten Weg, sich im Paradeboot des Ruderverbands zu etablieren. Er gehörte zur Besatzung, als der Achter 2017 und 2018 jeweils Europa- und Weltmeister wurde. Aber ausgerechnet jetzt, im vorolympischen Jahr, muss Wimberger seinen Platz im exklusiven Boot räumen. Er und der Bernburger Maximilian Planer, 28, verlieren 15 Monate vor den Sommerspielen in Tokio ihr Achter-Ticket an die deutlich jüngeren und kraftvolleren Laurits Follert, 23, aus Krefeld und Christopher Reinhardt, 21, aus Dorsten. Planer und Wimberger fahren stattdessen fortan im Vierer mit. "Das musste ich erst mal verarbeiten", sagt Planer. "Die Entscheidung ist diskutabel", sagt Wimberger und fügt verschmitzt hinzu: "Aber man darf auch nicht vergessen, dass es zehn Ruderer in gar kein Boot geschafft haben, und vor dem Hintergrund würde ich nicht sagen, dass ich aus dem Achter herausgeflogen bin, sondern dass ich es in den Vierer hineingeschafft habe."

Ruderer trainieren ihr Leben lang, gegen Widerstände zu kämpfen. Das steckt in ihrer typischen Bewegung, und das verinnerlichen sie auch psychologisch. Wimberger erklärt, dass er die Veränderung im Achter deshalb so "schade" finde, "weil wir zwei Jahre lang eine extrem harmonische und erfolgreiche Mannschaft waren". Nie zuvor war ein Ruderachter in derselben Besetzung des Vorjahres wieder Weltmeister geworden, damit feierten die Deutschen 2018 im bulgarischen Plovdiv eine globale Premiere. Harmonie zählt beim Rudern viel, die Gleichmäßigkeit der Bewegung entscheidet über Sieg und Niederlage. Der Deutschland-Achter war in den vergangenen beiden Jahren besonders harmonisch, das gibt der Bundestrainer Uwe Bender ja unumwunden zu, wenn er sagt: "Diese Mannschaft hatte eine große technische Kompetenz." Aber Technik ist nicht alles. Es geht auch um Power. "Und mit Blick auf Olympia 2020 brauchen wir auch eine physische Leistungsfähigkeit", sagt Bender.

Der 60 Jahre alte Saarbrücker gesteht, die "sehr schwierige Entscheidung" über die Besetzung des Achters als Austarierung zwischen Harmonie und Power habe ihn "ein paar Tage gekostet und auch die eine oder andere schlaflose Nacht". Einerseits hat er gewusst, was er an seiner verdienten Belegschaft hatte, andererseits sind die jungen Reinhardt und Follert halt die beiden Besten auf dem Ruder-Ergometer. Dort teilen nüchterne Zahlen dem Bundestrainer mit, welche acht Männer er in seinen Achter stecken sollte. Aber ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht - sagt Felix Wimberger: "Was nützen dir die acht stärksten Männer der Welt, wenn sie sich beim Rudern gegenseitig behindern?"

Doch ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Beim Deutschland-Achter braucht - eine Woche vor der Europameisterschaft in Luzern, drei Monate vor der Weltmeisterschaft in Linz und 15 Monate vor Olympia in Tokio - niemand ein Boot vor Augen zu haben, in dem die Athleten mit ihren Rudern nur so herumstochern und sich gegenseitig ins Wasser schmeißen. Der deutsche Achter wird auch in der Schweiz und in Österreich sehr schnell unterwegs sein, "aber am Fein-Tuning müssen wir schon noch arbeiten", sagt Bender. Sieben von neun Besatzungsmitgliedern, inklusive Steuermann Martin Sauer, bleiben ja unverändert. Sechs Achtel der Ruderer bleiben in ihrer kollektiven "technischen Kompetenz" also erhalten. Reinhardt und Follert müssen jetzt nur noch Schlag halten. "Für mich geht ein Traum in Erfüllung", sagt Reinhardt, und für so einen Traum legt man sich natürlich mächtig ins Zeug.

Zumal man mit dem Fahrschein für den Deutschland-Achter eine realistische Gold-Chance mitbucht. Vier Mal war das längste deutsche Ruderboot Olympiasieger, zuletzt 2012 in London. In Tokio soll der fünfte Titel hinzukommen. Darauf arbeitet die Mannschaft seit 2017 hin. Der Steuermann Sauer, 36, seit zehn Jahren im Boot, sagt: "Das olympische Finale beginnt nicht erst mit dem Startschuss, es beginnt eigentlich schon, wenn im olympischen Finale vier Jahre zuvor das letzte Boot über die Ziellinie gefahren ist." Die Ruderer denken in olympischen Zyklen. Insofern ist das Achter-Finale von Tokio 2020 momentan schon zu mehr als der Hälfte gefahren.

Da ist es natürlich bitter, wenn man auf halber Strecke über Bord geworfen wird wie Planer und Wimberger. Aber die Besatzung wird jährlich evaluiert, "und wenn das fair abläuft, so wie jetzt", sagt Planer, "dann ist es auch okay." Der Passauer Wimberger, seit zehn Jahren in Dortmund beheimatet, wo er als Sportsoldat am Ruder-Leistungszentrum trainiert und im benachbarten Bochum Maschinenbau studiert, nennt Uwe Benders Entscheidung "Geschmackssache". Er hofft noch aufs nächste Jahr. Vielleicht verändert der Bundestrainer die Besatzung ja noch einmal. Wimberger und Planer haben ihre Hoffnung auf Olympia-Gold im Achter noch nicht aufgegeben. Planer sagt: "Wir nehmen nur einen neuen Anlauf."

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SZ vom 24.05.2019
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