Rudern:Gelöste Freude sieht anders aus

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An den vier deutschen Rudermedaillen fällt etwas auf: Alle wurden von Frauen in Skullbooten gewonnen.

Von Christian Zaschke

Kathrin Boron saß auf einem Podium, sie weinte, gerade hatte sie Gold im Doppelvierer gewonnen. Es waren keine Freudentränen, keine Tränen der Erleichterung. Sie senkte den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, immer wieder. Es war ein privater Moment, und es wirkte sehr unpassend, dass so viele Menschen um Kathrin Boron herumstanden und ihr zusahen.

Gold im Doppelvierer (v.l.): Kathrin Boron , Kerstin El Qalqili, Meike Evers und Manuela Lutze. (Foto: Foto:)

Es waren zwei schwierige Jahre für sie gewesen, im Guten, da ihre Tochter Cora geboren wurde, im Schlechten, da ihre Mutter starb. Dann der Neuanfang im Rudern, sie ist jetzt 34 Jahre alt, da ist es nicht mehr so leicht, sich auf das Niveau der Spitze hochzutrainieren, der Körper macht das nicht mehr so mit. Jetzt, eine Dreiviertelstunde nach dem Gewinn ihrer vierten olympischen Goldmedaille, war sie umringt von Menschen und wirkte doch alleine. Es schien, als breche sich die seit langem gestaute Emotion Bahn, nicht Freude, nicht Trauer, einfach nur zu viel Gefühl, das nach draußen musste. In solchen Momenten ist zu ahnen, wie hoch der Preis für Olympia-Gold sein kann.

Auch die anderen vier Frauen des Doppelvierers sahen nicht sehr fröhlich aus, Kerstin El Qalqili, Manuela Lutze, Meike Evers, sie sahen aus, als hätten auch sie geweint. Es war eine Zeit der Entbehrungen bis zu diesem Sonntag in Schinias, Jahre der Schinderei, des Trainings, und plötzlich ist das Ziel erreicht, einfach so, man hat so lange darauf hingearbeitet, und dann, wenn man sein Ziel erreicht, wie sieht man dann aus, was fühlt man dann? Gelöste Freude sieht anders aus als beim deutschen Doppelvierer der Frauen, der Leistungssport kann ein hartes Geschäft sein. Es dauert bis die gewaltige Anspannung sich löst.

Kleine Gruppen, keine Einheit

Nach Weltmeisterschaften erobern die Ruderer die Innenstadt des Austragungsortes, dann feiern sie und trinken, sie wirken dann wie eine verschworene Einheit, die die gewaltige Anstrengung des Trainings schätzt und sich auf diese wenigen gemeinsamen, internationalen Abende freut. Als am Sonntag alles vorbei war, sah man kleine Gruppen deutscher Ruderer, die entlang der Strecke zu den Bussen liefen, es fehlte diese Mischung aus Freude und Erleichterung, die sonst am Ende der letzten großen Regatta eines Jahres steht. Sie gingen einfach fort, die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, auf dem Wasser paddelten bereits die Kanuten, denen die Strecke in der zweiten Woche gehört. Als würde die Ruderer das alles nicht mehr interessieren.

Dabei war das Mannschaftsergebnis des Deutschen Ruderverbandes (DRV) gar nicht schlecht. Neben dem Gold des Doppelvierers notierte DRV-Sportdirektor Michael Müller: Gold im Frauen- Einer für Kathrin Rutschow-Stomporowski, Silber im Frauen Doppelzweier für Britta Oppelt und Peggy Waleska, Silber auch im Leichtgewichts-Doppelzweier der Frauen für Claudia Blasberg und Daniela Reimer. Lediglich Rumänien hat eine Goldmedaille mehr, in der Punktewertung, die auch vierte bis sechste Plätze einschließt, haben die Deutschen klar gewonnen.

Doch es fällt etwas auf: Alle Medaillen wurden von Frauen in Skullbooten gewonnen, also jenen mit zwei Rudern pro Position, alle diese Boote stehen unter Leitung von Bundestrainerin Jutta Lau. Diese Boote waren auch zu Zeiten der DDR stets stark, Lau war damals wie heute Trainerin. In der Bundesrepublik wurde traditionell das Riemenrudern favorisiert, ebenso wie in den angelsächsischen Ländern, wo das Riemenrudern aus der akademische Tradition kommt. Man kann zwar nicht sagen, dass das Riemenrudern einen Tiefpunkt erreicht hat, aber zumindest hat in dieser Sparte kein deutsches Boot eine Medaille geholt.

Sportdirektor Müller wollte darin keine Tendenz sehen. Er wies darauf hin, dass die Riemenboote vor vier Jahren bei den Spielen in Sydney noch schlechter abgeschnitten haben, und diagnostizierte eine Steigerung. Er räumte jedoch ein, dass man künftig einiges ändern wolle, um im Vergleich mit der Weltspitze bestehen zu können (siehe Text links). Das ist aus Sicht des DRV dringend nötig, denn ewig werden die erfolgreichen Skullerinnen nicht mehr rudern. Rutschow-Stomporowski weiß noch nicht, ob sie dabei bleibt, sie hat bereits 1996 Gold im Doppelvierer gewonnen und jetzt ihre Karriere mit dem Gold im Einer vollendet; es wäre ein guter Zeitpunkt zum Aufhören.

Borons olympischer Makel

Kathrin Boron will noch ein wenig weiterrudern. "Nicht bis Peking 2008", sagt sie, aber erst mal bis zur nächsten Weltmeisterschaft. Sie hat jetzt vier Goldmedaillen und acht Weltmeistertitel gewonnen, sie ist die erfolgreichste Ruderin der Welt. Aber nicht die erfolgreichste olympische Ruderin. Im rumänischen Achter, der am Sonntag Gold holte, saß die 39 Jahre alte Elisabeta Lipa. Sie war 1984 erstmals bei den Spielen und hat nun bei der sechsten Teilnahme ihr fünftes Gold gewonnen.

"Das brennt mir schon auf der Seele", sagte Boron, sie wäre gern die Ruderin mit den meisten Goldmedaillen gewesen. Ob sie doch bis Peking weitermacht? Boron schüttelt den Kopf. Der Preis für dieses Gold wäre wohl wirklich zu hoch.

© SZ vom 23.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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