Süddeutsche Zeitung

Rote Karten in der Bundesliga:Auffällig viel zu diskutieren

Welchen Anteil haben die Schiedsrichter am Platzverweis-Rekord in der Bundesliga? Sie verteidigen sich gegen den Vorwurf, am Wochenende zu viele Karten gezogen zu haben - und verweisen auf die Aktionen der Spieler.

Von Johannes Aumüller

Irgendwann hatte zwischen den Beteiligten ein Unterbietungswettbewerb eingesetzt. Hannovers Sportdirektor Dirk Dufner warnte, wenn es mit den Platzverweisen so weiterginge, würden die Spiele künftig alle mit neun Mann gegen acht enden. Der 1990er-Weltmeister Thomas Berthold sagte, wenn es mit den Platzverweisen so weiterginge, würden sie in Deutschland bald fünf gegen fünf spielen. Und vermutlich hat irgendwo in der Republik auch noch jemand gesagt, dass in der Bundesliga die Mannschaften bald drei gegen drei spielen würden, wenn es mit den Platzverweisen so weiterginge.

Auf jeden Fall sind diejenigen, die üblicherweise Platzverweise aussprechen, am Wochenende ziemlich in den Mittelpunkt gerückt. Gleich acht Mal in den neun Spielen haben die Schiedsrichter die rote oder die gelb-rote Karte gezeigt, ein Rekord für die nun exakt 50 Jahre und drei Tage alte Fußball-Bundesliga. Und nun ist eine heftige Debatte in Gang geraten, ob diese hohe Zahl an Feldverweisen angemessen war - oder ob sich nicht die Vertreter der These bestätigt fühlen können, nach deren Empfinden die Unparteiischen hierzulande ohnehin viel zu kleinlich pfeifen.

Hellmut Krug hat dazu eine eindeutige Meinung, aber er ist auch der Schiedsrichter-Zuständige der Deutschen Fußball Liga (DFL), also muss er schon von Amts wegen dazu eine eindeutige Meinung haben. "Die überdurchschnittlich hohe Zahl an roten Karten war die konsequente Reaktion der Schiedsrichter auf das Verhalten der Spieler", so sieht er das. Einen Trend sehe er nicht, es habe auch in der Vergangenheit immer mal wieder Spieltage mit außergewöhnlich vielen roten Karten gegeben.

So ganz widersprechen lässt sich Krug bei dieser These nicht, angesichts der Ohrfeige von Hoffenheims Salihovic (drei Spiele Sperre), der Schiedsrichterbeleidigung von Freiburgs Mehmedi (ein Spiel) oder der Notbremse von Schalkes Höwedes (ein Spiel). Andererseits lagen die Schiedsrichter in zwei der acht Entscheidungen daneben, Gelb-Rot für Freiburgs Coquelin und Rot für Stuttgarts Traore (ein Spiel Sperre) waren "überzogen", wie Hellmut Krug einräumt. Wiederum andererseits hatte es an diesem Spieltag aber auch noch Szenen gegeben, bei denen die Schiedsrichter auf einen möglichen Platzverweis verzichteten; etwa bei einer Halte-Aktion von Schalkes Hoogland gegen Hannovers Diouf, direkt vor dem Tor.

Bei den vielen roten Karten könnte es sich also um eine zufällige Häufung gehandelt haben. Auffälliger sind hingegen die vielen Debatten um Handelfmeter, die seit dem ersten Spieltag andauern. "Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball mit seiner Hand oder seinem Arm absichtlich berührt", so lapidar heißt es im Regelwerk, doch längst ist nicht mehr so eindeutig, wann ein Handspiel als absichtlich zu werten ist und wann nicht. An diesem Wochenende war das beim Spiel Leverkusen gegen Mönchengladbach schön zu sehen: eine Flanke von links, in der Mitte köpfte Bayers Verteidiger Toprak dem Gladbacher Arango von hinten an den Arm - und Schiedsrichter Felix Brych pfiff Elfmeter.

Es war eine umstrittene Szene, man konnte Arango zugute halten, dass er den Ball im Moment der Berührung nun wirklich nicht sehen konnte, und dass er aus nächster Nähe angeköpft wurde. Man konnte andererseits auch fragen, was denn sein Arm in bester Volleyballer-Manier dort oben verloren hatte. Er hatte so "die Körperfläche vergrößert", wie das im Neufußballerischen so schön heißt, und damit in Kauf genommen, dass der Ball die Hand leichter berühren kann. Für viele Beobachter war der Elfmeter vertretbar. Selbst einige Gladbacher fanden ihn zwar ärgerlich, aber irgendwie vom Regelwerk gedeckt - und monierten nur, sie hätten in einer ähnlichen Situation ebenfalls einen Hand-Elfmeter bekommen können.

Erstaunlich aber war, wie klar sich die Schiedsrichter-Funktionäre zu dieser Szene äußerten. "Das war eindeutig eine falsche Entscheidung. Zwei Spieler springen hoch, der Gladbacher rückwärts. Er hebt zur Gleichgewichts-Stabilisation einen Arm und wird vom Gegenspieler in seinem Rücken aus kürzester Entfernung angeköpft. Das ist kein Elfmeter", sagt Krug.

Die Verantwortlichen scheinen etwas verärgert zu sein, weil es im März einen ähnlichen Fall gegeben hatte. In Nürnberg hatte Felix Zwayer auf Strafstoß entschieden, nachdem Freiburgs Makiadi von hinten angeköpft worden war. Das sei falsch gewesen, und das habe man "mit den Schiedsrichtern eingehend thematisiert", sagt Krug. Allerdings gibt es zwischen den beiden Fällen zwei Unterschiede: Zum einen war Makiadi anders als jetzt Arango vom eigenen Mitspieler angeköpft worden. Zum anderen war Arangos Arm deutlich mehr ausgestreckt. Daraus ergeben sich Argumente, warum Brych im aktuellen Fall entsprechend entschieden hat.

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SZ vom 27.08.2013/ska
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