Ronnie O'Sullivan ist Snooker-Weltmeister:Das Genie ist nicht mehr wahnsinnig

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Ronnie O'Sullivan gewinnt die Snooker-Weltmeisterschaft in Sheffield überraschend souverän. Danach beschwert sich der Brite über die neue Turnierstruktur und kokettiert mit dem Ende seiner Karriere - nicht wie einst wütend, sondern mit durchaus verständlichen Argumenten.

Jürgen Schmieder

Als das Finale der Snooker-WM vorbei war, da suchte Ronnie O'Sullivan seinen Sohn. Er nahm ihn auf den Arm, knuddelte ihn und hörte gar nicht mehr auf, die Wange des fünf Jahre alten Buben abzubusseln. "Ich habe ihn kurz vor dem Ende flüstern gehört: 'Come on, dad!' Plötzlich war der Druck weg", sagte O'Sullivan nach der Partie, die er mit 18:11 gegen Allister Carter gewonnen hatte.

"Come on, dad": Ronnie O'Sullivan feiert den WM-Titel mit seinem Sohn Ronnie junior. (Foto: AP)

Der 36 Jahre alte Brite gewann zum vierten Mal nach 2001, 2004 und 2008 die Weltmeisterschaft und bezwang Carter bereits zum zweiten Mal im Endspiel. "Es wäre schon schön, wenn ich vor dem Ende meiner Karriere noch Weltmeister werden könnte", sagte Carter nach dem Finale, "aber wahrscheinlich muss ich warten, bis Ronnie aufhört."

Dieser Ronnie O'Sullivan war einst, man kann es nicht anders sagen, ein ungehobelter Flegel. Er zeigte widerspenstigen Kugeln den Mittelfinger, bot einer chinesischen Journalistin während einer Pressekonferenz mehrfach Oralsex an und lästerte über einen Kollegen, der seiner Meinung nach zu lange überlegt hatte: "Da pflanze ich lieber Sträucher im Garten oder zähle Löcher in der Wand."

O'Sullivan war der Beweis dafür, dass Menschen nicht erst dann exzentrisch werden, wenn sie einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangen - sondern dass sie deshalb berühmt werden, weil sie verrückt sind. Seit der Pubertät leidet er an schweren Depressionen, die sich dahingehend äußern, dass er jede Form der Nicht-Perfektion als Versagen interpretiert.

Seit einem Jahr arbeitet er mit dem Psychologen Steve Peters zusammen, der ihn lehrt, Dinge lockerer zu sehen und sich auch mal einen Fehler zu gönnen. "Es ist hart, mit ihm zu arbeiten", sagte O'Sullivan in Sheffield, "er zwingt einen, Dämonen zu begegnen, vor denen ich lieber davonlaufen würde."

Durch die Therapie hat der Wahnsinn bei O'Sullivan nachgelassen - indes aber auch das Genie. In der Weltrangliste war er auf den 13. Rang zurückgefallen. Auch bei dieser Weltmeisterschaft fehlte in den ersten Runden das Spektakuläre, das Geniale, ebenso wie das Divenhafte.

Wenn ihm eine Stellung misslang, dann probierte er keinen hochriskanten Versuch wie früher, sondern begnügte sich mit einer sicheren Ablage - wobei seine Safetys bisweilen sehenswerter waren als seine Lochversuche. Wenn er mal eine Kugel verschoss, dann beschimpfte er sie nicht, sondern ging kopfschüttelnd auf seinen Platz zurück.

Das Breakbuilding, also die Fähigkeit, das Bild auf dem Tisch richtig zu deuten und daraus eine Serie mit möglichst vielen versenkten Kugeln zu kreieren, gelang O'Sullivan auch in diesem Jahr herausragend - zwar mit weniger hohen Aufnahmen als früher, doch beeindruckte er damit, aus kniffligen Formationen recht hohe Breaks zu schaffen.

Weniger Genie, weniger Wahnsinn: Ronnie O'Sullivan agierte in diesem Jahr solide und souverän. (Foto: AFP)

O'Sullivan agierte solide, für seine Verhältnisse gar unspektakulär. In den ersten drei Runden besiegte er die einstigen Weltmeister Peter Ebdon (10:4), Mark Williams (13:6) und Neil Robertson (13:10), im Halbfinale demütigte er Matthew Stevens mit 17:10. "Ich wollte die Menschen unterhalten und ihnen zeigen, wozu ich fähig bin", sagte O'Sullivan nach dem Finale.

Der Brite spielte sich recht locker durch das Turnier, was indes auch daran lag, dass das Niveau dieser Weltmeisterschaft nicht an die Klasse der vergangenen Jahre heranreichte. Vor allem weil die prägenden Akteure durch die neue Turnierstruktur mit bis zu 27 Veranstaltungen und zahlreichen Reisen ausgelaugt, überspielt und teils verletzt nach Sheffield kamen.

Der Weltranglistenerste Mark Selby etwa konnte aufgrund eingeklemmter Nerven im Nacken kaum stoßen und schied in der ersten Runde aus. Judd Trump plagte sich mit einer Lebensmittelvergiftung herum und verlor in der zweiten Runde. Finalist Ali Carter kämpft seit Jahren gegen eine Darmkrankheit, vor wenigen Wochen wollte er deshalb aufhören. Titelverteidiger John Higgins klagte über Müdigkeit und scheiterte an Stephen Hendry.

Der hatte sich wenige Tage vor der WM eine Reise zu Sponsoren in China gegönnt - nicht unbedingt eine professionelle Vorbereitung auf 17 Tage Feinmotorik, Konzentration und Präzision. Hendry gelang zwar ein perfekter Spielabschnitt, ein so genanntes Maximum Break, doch im Viertelfinale schied er aus und beendete seine Karriere.

Auch Ronnie O'Sullivan sprach vor der Weltmeisterschaft davon, seine Laufbahn beenden zu wollen. Grundsätzlich kokettiert er in jedem Jahr mit dem Karriereende - mal aus Langeweile, mal aus mangelndem Respekt vor den Gegnern, mal aufgrund der Stellung der Planeten. In dieser Saison allerdings nahmen viele die Drohung ernst, weil O'Sullivan sagte: "Ich möchte ein ruhigeres Leben. Ich will neben einer Frau aufwachen und meine Kinder aufwachsen sehen." Das Genie ist nicht mehr wahnsinnig, sondern vernünftig.

Nach der WM sagte O'Sullivan: "Die Familie ist das Wichtigste in meinem Leben geworden. Ich werde mir nun erst einmal eine Pause von fünf oder sechs Monaten gönnen. Bestimmte Leute müssen nun das Richtige tun und aufhören, Spieler zu erpressen." Dieser Satz war an Verbandspräsident Barry Hearn gerichtet, der den Spielern in der kommenden Spielzeit eine 50 Wochen dauernde Saison an 27 Orten weltweit aufdrücken möchte, um den Sport für die Zuschauer attraktiver zu machen.

Darauf hat O'Sullivan keine Lust. Allerdings sagte der Brite auch: "Es ist noch nicht vorbei. Es ist noch ein wenig Sprit im Tank." In Sheffield war seine Familie dabei, sein Sohn hielt ständig ein Plakat in die Höhe, auf dem "Great Shot" stand. Auch nicht die schlechteste Situation, wenn man einen Sohn hat, der einen bewundert.

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