Fußball-WM:Ronaldo ist der größte Hirsch auf der Lichtung

Fußball-WM: I bims: Cristiano Ronaldo hat bei der WM wieder getroffen, er tut das sehr gerne.

I bims: Cristiano Ronaldo hat bei der WM wieder getroffen, er tut das sehr gerne.

(Foto: AP)
  • Wieder bricht Cristiano Ronaldo bei der WM Rekorde, wieder gefällt er sich als allergrößter Dominator des Weltfußballs.
  • Doch als ihn nach dem 1:0 gegen Marokko kritische Fragen der Journalisten erwarten, wird er von der Fifa geschützt.

Von Martin Schneider, Moskau

In der 39. Minute des Fußballspiels zwischen Portugal und Marokko wäre beinahe etwas Ungeheuerliches passiert. Der Spieler Gonçalo Guedes lief alleine in den Sechzehner, holte mit dem rechten Fuß aus, schoss - und wenn der marokkanische Torhüter Munir nicht in einem katzenhaften Reflex seine rechte Hand hochgerissen hätte, ja dann hätte tatsächlich ein Spieler für Portugal getroffen, der nicht Cristiano Ronaldo gewesen wäre.

Aber so ist alles, wie es ist: Vier Tore Portugal, vier Tore Ronaldo. Diesmal ein Flugkopfball nach vier Minuten. Er ist damit Erster in der WM-Torschützenliste und nun mit 85 Toren bester europäischer Länderspieltorschütze. Das bedeutet, er liegt vor Menschen wie Gerd Müller, Michel Platini oder dem legendären Ungarn Ferenc Puskás. Ronaldo ist der größte Hirsch auf der WM-Lichtung. Das gefällt ihm. Und dafür bekommt er Sonderrechte.

Die Pressekonferenz nach dem Spiel: Ronaldo wurde von der Fifa zum Mann des Spiels gewählt. Das erzürnte die marokkanischen Journalisten so sehr, dass sie Trainer Hervé Renard fragten, ob das nicht sehr unfair sei, weil Marokko doch so eine gute Leistung gezeigt habe. Renard zuckte mit den Schultern. Es stimmte tatsächlich: Marokko war die bessere Mannschaft, erspielte sich Chancen, hätte allermindestens ein Remis verdient gehabt - aber Marokko hat eben keinen Ronaldo.

Der betrat den Pressekonferenz-Raum, nahm einen langen Schluck aus der Wasserflasche. Dann wurde er befragt. Nicht von Journalisten, sondern vom Fifa-Mitarbeiter auf dem Podium. "Herr Ronaldo, Portugal hat das Spiel gewonnen und Sie sind nun Erster in der Torschützenliste. Wie fühlt es sich an?" und "Was erwarten Sie von Portugal im weiteren Turnierverlauf?" waren die Fragen, die er beantworten musste. Dann stand er auf und ging - Fragen von Journalisten waren nicht erlaubt, schon wieder nicht, wie schon nach dem ersten Spiel gegen Spanien.

Dabei wären Antworten auf Fragen wie zum Beispiel: "Herr Ronaldo, Sie haben eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung akzeptiert und müssen angeblich 18,9 Millionen Euro an den spanischen Fiskus nachzahlen. Sie sagten einmal, Sie hätten nichts Falsches getan - warum akzeptieren Sie einen Deal, bei dem Sie nun als vorbestraft gelten?" durchaus interessant gewesen.

Aber die Fifa schützt Ronaldo. Das Prozedere sieht vor, dass jeder Spieler, der zum "Mann des Spiels" gewählt wird, neben den beiden Trainern zur Pressekonferenz erscheinen muss. Das tut auch jeder Spieler und wirklich jeder Spieler beantwortet Fragen von Journalisten. Nur Ronaldo nicht. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass Ronaldo durchaus ein Interview gab. Er erklärte darin, dass sein Ziegenbart-Jubel aus dem ersten Spiel keine Anspielung auf Lionel Messis Ziegen-Fotoshooting (Ziege, englisch goat, Abkürzung für "Greatest of all time") gewesen sein soll, sondern: "Das war ein Spaß mit Quaresma. Wir waren vorher in der Sauna und ich begann, mich zu rasieren. Ich habe den Bart stehen lassen und sagte: Wenn ich morgen treffe, lasse ich ihn bis zum Ende des Turniers stehen. Und es brachte mir Glück und jetzt noch mal." Das Mikrofon hielt bei diesem Interview übrigens ein Fifa-Mitarbeiter.

Er ist pures Gold für das WM-Turnier

Ronaldo ist Gleicher unter Gleichen, die Fifa weiß, dass es pures Gold für das Turnier ist, wenn der Weltfußballer Weltfußballleistungen bringt. Wenn er nach seinem Tor wieder eine Pirouette an der Eckfahne dreht und in die Kamera röhrt, dann produziert er Bilder. Und Bilder sind der Fifa wichtiger als Antworten.

Die zehn anderen Spieler, die noch mit ihm auf den Platz stehen, der Kürze wegen oft "Portugal" genannt, schlagen derweil wieder die gleiche Strategie an, die sie schon zum Europameister-Titel geführt hat. Hinten diszipliniert und unangenehm, vorne Ronaldo. Trainer Fernando Santos ließ gegen Marokko wieder die bewährte Fünferkette mit dem Abwehrchef Pepe spielen, der dafür bekannt ist, die Grenze des Erlaubten zuweilen arg zu dehnen.

Santos ist ein Taktiker, er analysierte das Marokko-Spiel kurz und prägnant und erklärte, wie man im Zentrum keinen Zugriff mehr fand, er Ronaldo vorne isolieren musste, um die Mitte dicht zu kriegen. "Ich bin nicht glücklich mit unserer Leistung", sagte er. Aber das war er bei der Europameisterschaft auch nicht so oft - und am Ende gewann sein Team den Titel. Gegen Iran spielt Portugal nun um den Einzug ins Achtelfinale, nur bei einer Niederlage und einem Punktgewinn der Spanier würden sie ausscheiden.

Zu Ronaldo wurde Santos auch noch befragt. Wie es denn sein könne, dass der immer besser wird, obwohl er älter wird. "Cristiano ist wie ein Portwein. Er weiß seine Fähigkeiten zu verfeinern und in bester Weise zu altern", sagte Santos. "Er entwickelt sich. Er kennt sich und denkt nicht daran, was vor vier oder fünf Jahren war." Sollte es Portugal ins Achtelfinale schaffen, wartet dort Russland oder Uruguay und vielleicht muss Cristiano Ronaldo bis dahin auch mal eine kritische Frage beantworten.

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