Zum Tod von Ron Yeats:Koloss in jeder Hinsicht

Lesezeit: 3 Min.

Ron Yeats überragte die meisten seiner Mitspieler nicht nur, wenn sie ihn – wie hier beim FA-Cup-Triumph 1965 - auf Schultern trugen. (Foto: Imago)

Ron Yeats war ein herausragender Kapitän des FC Liverpool. In 417 Spielen führte er die Reds aufs Feld, erst zum Aufstieg und dann zu Titeln. Ein Nachruf.

Nachruf von Javier Cáceres, Berlin

Es gab mal eine Zeit, da im Fußball noch keine Erbsen gezählt wurden, der 1996 verstorbene Schalker Reinhard „Stan“ Libuda verdankt diesem Umstand seinen Status als Dortmunder Legende. „Libudas Ball senkt sich ins Tor! Ins Tor!! Ins Tor!!!“, rief der ARD-Reporter Ernst Huberty in der 107. Minute des Endspiels um den Europapokal der Pokalsieger von 1966, das der hochfavorisierte FC Liverpool im Hampden Park zu Glasgow gegen Borussia Dortmund verlor. Doch bei genauer Betrachtung war Hubertys Behauptung eine wahrheitswidrige.

In Wahrheit hatte sich Libudas „Bogenlampe“ eben nicht aus circa dreißig Metern ins Tor gesenkt. Der Ball war „nur“ ans Gebälk geflogen und ausschließlich deshalb nicht zurück ins Feld gesprungen, weil Liverpools Verteidiger Ron Yeats im Wege stand. Der bekam den Abpraller an einen seiner Oberschenkel, die so kantig waren wie er selbst und die damals noch eckigen Pfosten; danach fielen erst der Ball, dann Yeats selbst in Netz. Der BVB siegte mit 2:1, wurde erster deutscher Europacup-Sieger überhaupt, und Libuda trug sich in goldenen Lettern im schwarz-gelben Geschichtsbuch ein.

Yeats, der am Samstag im Alter von 86 Jahren gestorben ist, hat an jene Episode zuletzt keine Erinnerung mehr gehabt. Weder an das Finale von Glasgow – der Fußballhauptstadt seiner schottischen Heimat – noch an sonst irgendetwas. Schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts war diagnostiziert worden, dass er an der Alzheimer-Krankheit litt; man kann das in einem Buch namens „Liverpool Captains“ nachlesen. Dort durfte er unter keinen Umständen fehlen, Yeats war der Liverpool-Skipper schlechthin. Er führte Liverpool in 417 Spielen aufs Feld. Mag er auch als Rekordhalter von Steven Gerrard abgelöst worden sein, den Status als Begründer des Liverpool-Mythos verlor Yeats nie.

Wie wenig sich die Stadt damals auf der Weltkarte verewigt hatte, lässt sich auch anhand eines Dialogs mit dem legendären Trainer Bill Shankly erzählen, den Yeats selbst gern belustigt zum Besten gab. „Wo ist eigentlich Liverpool?“, habe er den Coach gefragt, als sie einander erstmals begegneten – und es geografisch gemeint. Shankly aber habe es sportlich genommen, im Wortsinne: „In der ersten Liga.“ – „Ich dachte, Liverpool ist in der zweiten Liga?“, will Yeats nachgefragt haben. „Mit dir werden wir erstklassig sein.“ Und wahrlich, das wurde Liverpool.

Er bleibt als Liverpooler Legende in Erinnerung: Ron Yeats. (Foto: HochZwei/Imago)

Dass Shankly den 23-Jährigen überhaupt holte, mutete selbst für damalige Zeiten bizarr an. Denn er hatte nicht ein einziges Spiel des Verteidigers gesehen, sondern nachgerade blind auf das Urteil eines mit ihm befreundeten Obersten der British Army vertraut, der als Trainer der Armeeauswahl wusste, zu welchen Höhen Yeats fähig war. Wobei zur ganzen Wahrheit gehört, dass sich Yeats bereits als Verteidiger von Dundee United einen Namen gemacht hatte: Obschon er sein täglich Brot per Knochenjob im Schlachthof von Aberdeen verdienen musste, hatte er sich bei Dundee in die erste Mannschaft gespielt. Und er war dort eine prägende Figur, bis er in Ungnade fiel, weil er um eine Erhöhung seines Fußballer-Wochenlohns um zwei Pfund ersucht hatte. Ein Betrag, der heute inflationsbereinigt und umgerechnet 2,40 Euro entsprechen würde.

Bei jener Begegnung soll Shankly von Yeats’ Körpergröße beeindruckt gewesen sein. „6 feet three“, eins neunzig, das war ein Maß, mit dem er einige überragte. „Geht in die Kabine und lauft um ihn herum“, sagte Shankly den Reportern, als er Yeats vorstellte, „he is a colossus“, „er ist ein Koloss.“

Das war er auch im übertragenen Sinne. Yeats wurde nach nur wenigen Monaten Kapitän und führte Liverpool, wie von Shankly prognostiziert, nicht nur zurück in die erste Liga, sondern 1964 auch zum sechsten von nunmehr 19 Meistertiteln. 1965 nahm Yeats den ersten von nun acht FA-Cups von Queen Elizabeth entgegen – in der Saison, in der die Reds echte Reds wurden. Yeats sehe ganz in Rot noch einschüchternder aus – als sei er nicht „6 feet 3“, sondern sieben Fuß groß, mehr als zwei Meter, urteilte Shankly. Was beeindruckend klingt – und doch nicht ermisst, was Yeats für den FC Liverpool bedeutet hat und wie enorm die Trauer an der Mersey war, als er nun starb.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPeter Moore über Liverpool
:"Klopps Vermächtnis? Er hat die Menschen glücklich gemacht"

Peter Moore war als Geschäftsführer an den größten Erfolgen der Ära von Jürgen Klopp beim FC Liverpool beteiligt. Ein Gespräch über Pints mit dem deutschen Cheftrainer - und über dessen ganz besonderen Umgang mit Spielern und Fans am River Mersey.

Interview von Sven Haist

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: