Patrick Anderson:Der Michael Jordan des Rollstuhlbasketballs

Patrick Anderson

Wie er dribbelt, passt und trifft: Der Kanadier Patrick Anderson gilt auch mit seinen 38 Jahren als bester Rohlstuhlbasketballer der Welt.

(Foto: Uliphoto)

Der Kanadier Patrick Anderson ist mit 38 Jahren die gefragteste Figur der Rollstuhl-Basketball-WM - seine Geschichte führt auch nach Deutschland.

Von Sebastian Fischer, Hamburg

Eigentlich, das war mal der Plan, wollte Patrick Anderson nur noch Musiker sein. Gitarre spielen und singen, seine Frau am Klavier, sanfter Singer-Songwriter-Pop. Doch der Plan hat sich geändert. Anderson, 38, ist nun noch etwas länger der beste Rollstuhlbasketballer der Welt. Es gibt nämlich Menschen, für die klingt auch das wie Musik.

Am Sonntagabend hat die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Hamburg im dritten Spiel zum zweiten Mal verloren (es folgte schließlich das WM-Aus mit der dritten Pleite gegen Großbritannien am Dienstag), doch es wäre eine verkürzte Wiedergabe der Geschehnisse, würde man sagen, sie wäre Kanada unterlegen gewesen. Es war vor allem Anderson, der für die Deutschen zu stark war. Er erzielte 24 Punkte, fing 15 Rebounds, gab zehn Assists. Wer nach dem Spiel mit ihm sprechen wollte, musste etwas länger warten.

Kinder im Rollstuhl standen am Spielfeldrand, Mütter und Väter, um sich mit ihm zu fotografieren zu lassen. "Dass die Leute sagen, ich sei der beste Spieler der Welt, bringt Verantwortung mit sich. Das hat oft Druck aufgebaut, das mochte ich nicht so sehr", sagt Anderson. "Aber jetzt, wo ich weiß, dass das Fenster langsam zugeht, akzeptiere ich das ein bisschen mehr. Es ist ein großes Privileg."

Viele nennen Anderson den Michael Jordan des Rollstuhlbasketballs, die Gazzetta dello Sport hat das schon vor den Paralympics 2004 in Athen geschrieben. Jordan, der beste Basketballer der Geschichte, war bei seinem zweiten Comeback mit den Washington Wizards in der amerikanischen Profiliga NBA mit 38 freilich nicht mehr der Alte. Anderson ist 2018, nach seiner zweiten Rückkehr ins kanadische Nationalteam, noch immer der Spieler, der den Unterschied ausmacht.

Wie er dribbelt, ohne die Kontrolle zu verlieren, wie er passt, oft ohne Blickkontakt zum Empfänger, und natürlich wie er trifft - unerreicht. 2000, 2004 und 2012 führte er Kanada zu paralympischem Gold. Sir Philipp Craven, der langjährige Präsident des Para-Weltverbands IPC, nannte Andersons Leistung im Finale von London einmal den schönsten Moment der paralympischen Geschichte.

Im Halbfinale könnte Anderson auf seinen Nachfolger treffen

Schon 2008 hatte Anderson, dem als Neunjähriger nach der Irrfahrt eines Betrunkenen beide Beine amputiert wurden, eigentlich keine große Lust mehr. Während der Spiele in Peking wirkte er manchmal, als sei ihm der Sport, den er dominierte, langweilig geworden. Er wünschte sich damals schon mehr Fußgänger im Rollstuhlbasketball, für mehr Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung - und um das Niveau zu heben. Er trat erstmals zurück. "Meine Motivation war wie Ebbe und Flut", sagt er heute.

Neulich, bei einem Vorbereitungsturnier in Japan, verlor Kanada gegen Australien und Japan. Als Anderson dann Australien gegen Japan spielen sah, war er begeistert. "Das war eines der besten Spiele, die ich je gesehen habe." Seine Motivation ist gerade wieder im Flutzustand.

Seinen ersten Rücktritt nahm er vor den Spielen in London zurück, er habe es ohnehin nur ein paar Monate ohne den Sport ausgehalten, sagte er. Danach verabschiedete er sich erneut aus dem Nationalteam, er spielte nur noch im Verein in New York. Ohne ihn und einige begabte Goldmedaillengewinner verpasste Kanada 2014 erstmals eine Weltmeisterschaft und verlor bei den Paralympics 2016 fünf von fünf Spielen. 2017 kam Anderson zum zweiten Mal zurück. "Es macht ja auch keinen Spaß, mit 80 Prozent Engagement zu spielen", sagt er.

Die Besten spielen in Deutschland

Er sei etwas langsamer jetzt, aber was die Ballbehandlung und den Wurf angeht, lerne er gar noch dazu. "Ich habe Spaß", sagt er - und lobt das Talent seiner Konkurrenten. Deshalb hat diese Geschichte auch etwas mit der Bundesliga zu tun.

Anderson spielte von 2003 an drei Jahre lang beim RSV Lahn-Dill in Wetzlar und gewann dort jeden Titel, den es zu gewinnen gab. Der Amerikaner Steve Serio, den Anderson für den derzeit komplettesten Spieler der Welt hält, war ebenfalls fünf Jahre lang Profi für Lahn-Dill. Vier Spieler aus dem US-Team, das in Hamburg als der Favorit auf den WM-Titel gilt, spielen gerade in Deutschland. Darunter auch einer, der in diesen Tagen immer wieder genannt wird, wenn man nach dem zweitbesten Rollstuhlbasketballer der Welt fragt: Matt Scott. Der Aufbauspieler steht bei den Thuringia Bulls aus Elxleben bei Erfurt unter Vertrag, beim aktuellen deutschen Meister und Champions-League-Sieger.

Scott hat in der Türkei und in Italien gespielt, dort lässt sich mehr Geld verdienen. Aber in Deutschland, heißt es, werde zuverlässiger gezahlt: 2000 Euro monatlich, in der Spitze sogar 4000. "In so einem professionellen Umfeld wie hier habe ich noch nie gespielt", sagt Scott, der mit der Fehlbildung Spina bifida geboren wurde. Sein Spielstil ist spektakulär, sein Auftreten extravagant: Die Rastas auf dem Kopf ähneln ein wenig den strubbeligen Blättern einer Ananas, einen seiner Schuhe trägt er mit der Ferse vorn, aus Aberglauben.

Wenn er auf dem Feld den Ball fordert, und er fordert ihn oft, klingt das wie ein Juchzen, als würde jemand an einem heißen Sommertag in den kühlen Swimmingpool springen. Seine Spielfreude wirkt ansteckend. "Die Leute sehen, dass ich mache, was ich liebe", sagt er. Das Magazin The Undefeated nannte ihn mal den Stephen Curry des Rollstuhlbasketballs. Curry gilt als bester NBA-Profi seiner Generation, mindestens das.

Anderson sagt, er könne nicht beurteilen, wie Scott sich entwickelt habe. Aber er würde sehr gerne gegen ihn spielen, um es beurteilen zu können. Er grinst. Ein mögliches Duell zwischen den USA und Kanada würde der Spielplan wohl erst ab dem Halbfinale ermöglichen.

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