Jedes Tennisturnier weckt andere Assoziationen. Bei den Australian Open liegt der Geruch von Eukalyptusbäumen in der Luft. In Wimbledon der von frisch gemähtem Rasen. Und durch die French Open in Paris weht an Juni-Abenden aus Blumenbeeten der Duft von Jasmin und weißen Rosen. Das inspiriert den einen mehr, den anderen weniger. Stefanos Tsitsipas, Finalist von 2021, ist in einer Phase seines Lebens, in der es ihm „Freude und Vergnügen“ bereitet, sich „mit geliebten Menschen zu umgeben“, während er sich auf den Beruf konzentriert, wie er sagt. Deshalb hatte der 25 Jahre alte Grieche früh seine Absicht erklärt, nicht nur im Einzel gewinnen zu wollen, sondern auch das Doppel mit seinem jüngeren Bruder Petros zu bestreiten und im Mixed-Wettbewerb mit Freundin Paula Badosa anzutreten. „Paris, die schöne Zauberstadt, die dem Jüngling so holdselig lächelt“, wie Heinrich Heine einst schrieb.
Für einen rationalen Tennisbeobachter wie Boris Becker war das eindeutig zu viel von Paris, mon amour. „Ich bin der Erste, der versteht, wenn man aus Liebe Dinge macht, die man mit normalem Menschenverstand nicht machen würde“, erklärte Becker als Kommentator des Fernsehsenders Eurosport: Aber ein derartiges Pensum gehe auf Kosten von Zeit und Kraft eines Tennisprofis, der als einer der Favoriten von Roland Garros gilt. Zumal Tsitsipas an diesem Dienstag vor der gewaltigen Aufgabe steht, den Wimbledonsieger Carlos Alcaraz im Viertelfinale zu schlagen. Laut Becker ist Tsitsipas „schlecht beraten“.

Publikum bei den French Open:Ruhe bitte!
„Quiet please!“ Die French Open haben ein Problem mit Störenfrieden, Zwischenrufern und sogar mit Kaugummispuckern. Turnierdirektorin Amélie Mauresmo greift durch – und verhängt unter anderem ein spontanes Alkoholverbot.
Tatsächlich legte sich kein anderer der Anwärter auf den Siegerpokal der Männer, den Cup der Musketiere, eine solche Mehrfachbelastung auf: weder Alcaraz noch der Australian-Open-Sieger Jannik Sinner und schon gar nicht Rekord-Champion Novak Djokovic. Der unermüdliche Tsitsipas, Nummer neun der Weltrangliste, der jüngst das Sandplatzturnier von Monte-Carlo gewonnen hat, ist sich seines Sonderwegs bewusst, den er angeblich sogar gegen den Wunsch seines Vaters und Trainers Apostolos mit dem Argument verteidigte, dass sich das Gefühl für Platz und Ball besser im Wettkampf als beim Üben einstellt. Zudem fördere das Doppelspiel die Reflexe am Netz. „Das hat bei mir auch früher schon funktioniert“, sagte Tsitsipas am Sonntag, nachdem er an der Seite seines Bruders die erste Pariser Doppelrunde überstanden hatte. „Und wenn ich hier noch bei den Junioren mitspielen dürfte“, fügte er fast trotzig an, „dann würde ich da sogar zusätzlich mitmachen!“
Gerüstet sein muss er, wenn er auf den vier Jahre jüngeren Alcaraz trifft. Denn der spanische Sandplatzspezialist, der sich nach einer Verletzung am Schlagarm langsam in Form spielt, verfügt über eine 5:0-Siegbilanz gegen Tsitsipas, den er in ihren vorangegangenen Duellen immer wieder aufs Neue mit Trickschlägen und Stoppbällen zu entnerven wusste. Er kenne „den Schlüssel“ zum Erfolg gegen den Griechen, verkündete er gut gelaunt nach seinem klaren Achtelfinalerfolg gegen den Kanadier Félix Auger-Aliassime. „Ich weiß, dass Stefanos toll spielt, aber ich weiß auch, welche Taktik ich gegen ihn anwenden werde.“
„Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich vollkommen glücklich mit den Ergebnissen bin“
In gewisser Hinsicht ist es sogar Tsitsipas, der Alcaraz’ internationalen Durchbruch befördert hat, als er sich 2021 bei den US Open in der dritten Runde dem damals erst 18-jährigen Wunderkind nach fünf umkämpften Sätzen geschlagen geben musste. Alcaraz rückte anschließend erstmals in das Viertelfinale einer Grand-Slam-Veranstaltung vor – im Folgejahr gewann er das Turnier. Bereits mindestens zwei Jahre vorher, so erinnert sich Tsitsipas, habe ihn Rafael Nadal durch seine Schwärmerei von dem Teenager aus Murcia gewarnt. Bis heute ist Tsitsipas auf eine Revanche dieser New Yorker Niederlage von 2021 aus.
Dass ihn im Alter von 25 Jahren eine jüngere Generation an Tennisspielern zu überflügeln beginnt, deren prominenteste Vertreter Alcaraz, 21, und Sinner, 22, im Gegensatz zu ihm bereits Grand-Slam-Pokale gewinnen, das stimmt ihn bisweilen nachdenklich: „Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich vollkommen glücklich mit den Ergebnissen der letzten Jahre bin“, sagte er in Paris: „Es gibt da eine Leerstelle, die ich gern füllen würde.“
Die Vermutung, dass ausgerechnet seine Freundschaft mit der spanischen Kollegin Paula Badosa der Konzentration auf die wichtigen Ziele, die großen Trophäen, im Wege stehe, hält Tsitsipas für absurd. Das Paar, das nach einer kurzen Trennung gerade wieder zusammengefunden hat, äußert sich in Paris öffentlich zu seiner Verbundenheit auf und neben den Courts. „Wir teilen dieselbe Leidenschaft und denselben Beruf. Es ist doch schön, wenn man jemanden an seiner Seite hat, den man liebt und mit dem man offen, detailliert und vertrauensvoll über Tennis reden kann“, sagte Tsitsipas. Im Mixed-Wettbewerb haben Paula Badosa und Stefanos Tsitsipas ihren Auftritt am Montagnachmittag dann doch zurückgezogen. Mit dem Bruder im Doppel stand er aber später wieder auf dem Platz – sie schlugen das kroatisch-amerikanische Duo Dodig/Krajicek, immerhin die Titelverteidiger.