Roger Federer:Den Atem geraubt

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Der Schweizer scheidet nach einer schrecklichen Leistung bei den US Open aus - es ist ein Fingerzeig, dass selbst der Maestro nicht ewig spielen kann.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es ist im Sport ein schrecklicher Anblick, wenn es bei einem, der es sonst so leicht aussehen lässt, plötzlich schwer wirkt. Als Zinédine Zidane Fußball nicht spielen durfte, sondern arbeiten musste. Als John McEnroe seine Volleys nicht mehr ins Feld zaubern konnte, weil er nicht mehr schnell genug ans Netz kam. Als Michael Jordan nicht mehr dem Korb entgegen schwebte, sondern sich verzweifelt einem Basketball hinterher stürzte. Diese mühevollen Szenen der scheinbar Mühelosen, die sich in Wirklichkeit ja unfassbar anstrengen müssen, sind meist dann zu erdulden, wenn sie älter geworden sind, wenn ihnen ihre Sterblichkeit als Sportler bewusst wird.

Roger Federer, der Grazile, der Maestro des Tennissports, hat in der Nacht zum Dienstag in New York so eine sportliche Extremerfahrung gemacht, es war schlimm anzusehen, und wie Federer danach berichtete, hat es sich für ihn auch schlimm angefühlt. Es gibt nun dieses eine Foto, auf dem er ein bisschen so aussieht wie Uwe Seeler beim WM-Finale 1966: Federer sitzt während des Seitenwechsels im dritten Satz auf seinem Stuhl, vor ihn haben sie einen Ventilator hingestellt, der ungefähr so wirksam ist wie ein Tropfen Wasser bei einem Waldbrand. Er hat den Kopf gesenkt - tief, bis unter die hängenden Schultern. Niemand will diesen außerordentlichen Sportler so sehen, aber es ist ein Bild, das keiner vergessen kann, der es gesehen hat.

Abenddämmerung für den Maestro: Roger Federer scheitert in New York. (Foto: Jason Decrow/dpa)

"Ich hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen", sagte Federer nach dem 6:3, 5:7, 6:7 (7), 6:7 (3) im Achtelfinale der US Open gegen John Millmann (Australien). Es war mal wieder extrem heiß und extrem schwül in New York, und die Architektur des Arthur Ashe Stadiums verhindert jeden Luftzug und damit jede Form der Linderung: "Ich habe immer mehr geschwitzt, und irgendwann, da war alles nass: das Griffband, die Hände, die Klamotten. Ich hatte schon meine Chancen, aber irgendwann war ich auch froh, dass diese Partie bald vorbei sein würde."

Federer spielte an diesem Abend gegen einen acht Jahre jüngeren Australier, der zu den fittesten Akteuren im Männertennis gehört und mit diesen Bedingungen aufgrund seiner Herkunft bestens vertraut ist. Es war aber nicht so, dass Millman, ohne den größten Triumph seiner Karriere schmälern zu wollen, diese Partie mit einer fantastischen Leistung gewonnen hätte - vielmehr hat sie Federer mit einer grotesken Vorstellung verloren. Er leistete sich insgesamt 77 leichte Fehler, in den drei US-Open-Partien davor waren es insgesamt 95 gewesen. Ihm unterliefen zehn Doppelfehler, so viele wie seit dem Finale 2009 gegen Juan Martin Del Potro nicht mehr (damals elf), und zwei davon passierten nacheinander im Tie Break des vierten Satzes. "Ich habe schon in schlimmeren Bedingungen gespielt, bei fast 50 Grad in der prallen Sonne", sagte Federer: "An manchen Tagen allerdings kann der Körper nicht damit umgehen." Das darf als Hinweis darauf gewertet werden, dass sich Federer selbst nicht mehr als unsterblich und unverwundbar fühlt. Er ist 37 Jahre alt, er plant seine Saison und selbst einzelne Ballwechsel so, dass er dem Älterwerden entgegen wirken kann, und es gibt ja auch Tage, da wirkt er noch immer mühelos, wie zum Beispiel bei der fast perfekten Zungeschnalz-Partie gegen Nick Kyrgios am Samstag, bei der er einen Ball am Netzpfosten vorbei ins Feld schubste. Das sah dann wieder so unfassbar leicht aus, so federeresk, dass selbst der Hallodri Kyrgios mit offenem Mund da stand und tatsächlich stolz darauf war, dass er in diesem Federer-Moment den besten Platz im Stadion hatte.

Da half Roger Federer auch kein Ventilator. (Foto: Jason Decrow/dpa)

Es gibt aber nun immer mehr Tage, an denen Federer körperlich angeschlagen wirkt, wie im Juni in Halle gegen Borna Coric (Kroatien) oder zuletzt in Cincinnati gegen Novak Djokovic (Serbien), und wenn das passiert, dann fehlt Federer das spielerisch Leichte: "Du kannst dann auch nicht ein wenig zurückschalten, wie du das in einer Fünf-Satz-Partie gewöhnlich machst, wenn es andauernd knapp ist und du um jeden Punkt kämpfen musst. Dann spürst du, wie dein Körper schwächer wird, wie du Chancen vergibst, wie du immer hinterher laufen musst. Das war schon sehr frustrierend."

Es ist nahezu ein Wunder, dass Federer im Alter von 37 Jahren noch auf derart hohem Niveau agiert. Die Leute fragen ja seit Jahren, wann denn diese Ära der sogenannten großen Vier (Federer, Djokovic, Rafael Nadal, Andy Murray) vorbei sein wird. Doch in dieser Saison hat Federer in Australien gewonnen, Nadal in Paris und Djokovic in Wimbledon - und in New York, da sind Djokovic (der im Viertelfinale gegen Millman spielt - der den Serben im Sommer, kurz vor Wimbledon, auf Rasen deklassierte) und Nadal (gegen Dominic Thiem) die Favoriten.

Der renitente Australier John Millman gewinnt verdient. (Foto: Jason Decrow/dpa)

Es ist aber schon zu erkennen, dass Federer trotz aller Pausen nun häufiger angeschlagen und deshalb auch schlagbar wirkt. Man will so was ja kaum sagen, aber: Federer wird, und die Partie am Montagabend war ein eindeutiger Hinweis darauf, nicht ewig Tennis spielen können.

Es gibt den unvergessen Comic von Charles M. Schultz, in dem Charlie Brown mit Snoopy am Ufer eines Flusses sitzt. "Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy", sagt der Junge, und sein Hund antwortet: "Das ist wahr - aber an allen anderen Tagen tun wir das nicht." Man könnte nun beklagen, dass Roger Federer als Tennisspieler eines Tages sterben wird. Man könnte sich aber auch darüber freuen, dass es noch ein paar Tage geben wird, an denen er das nicht tut.

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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