Rodeln:Mit drei Frischlingen

Pausen und ein Rücktritt schwächen das deutsche Team. Erstmals seit Jahrzehnten kann die Saison spannend werden.

Von Volker Kreisl

Alex Gough hat auch WM-Medaillen gewonnen, die Kanadierin ist eine gute Rodlerin und verfügt mit 32 Jahren über viel Erfahrung. Aber damit allein wird man selbst in der Wintersportszene nicht bekannt. Wirklich ins Gespräch brachte sich Gough im Februar 2011 in Paramonowo in Russland, mit einem Weltcupsieg. Es war der Tag, an dem die Rodlerinnen aus aller Welt wussten: Die Deutschen können doch verlieren.

105 Weltcupsiege hatten Sylke Otto, Silke Kraushaar und viele mehr zuvor aneinandergereiht seit November 1997, was den deutschen Verband BSD freute, den Rest der Rodelwelt aber besorgte, denn: Was bringt Sport ohne Spannung? Diesem einen Sieg folgte ja keineswegs das Ende der Dominanz; zwar wurden die schwarz-rot-goldenen Serien, hingelegt von der Sächsin Tatjana Hüfner und der Oberbayerin Natalie Geisenberger, immer mal unterbrochen. Aber selbstredend gewannen die Deutschen - erstklassige Sportlerinnen aber eben auch Töchter eines überlegenen Systems - weiter fast alle Olympia- und WM-Goldmedaillen. Erst jetzt könnte sich die Lage tief greifend ändern.

Am Samstag beginnt die Saison in Igls bei Innsbruck, es wird wohl für die Rodelwelt ein außergewöhnlicher Winter. Denn die Toprodlerinnen Geisenberger und Dajana Eitberger fallen aus, sie sind schwanger. Und Hüfner hat nach langer Karriere ihre Laufbahn beendet. Somit fehlen die Spitzen eines ganzen Teams, dessen Trainer Norbert Loch sagt: "Noch nie bin ich mit einem so unerfahrenen Team in den Weltcup gestartet."

Sieganwärterinnen sind nun die Russinnen Tatjana Iwanowa und Viktoria Demtschenko, zudem Summer Britcher aus Maryland und Emily Sweeney aus Portland/Maine in den USA. Die Italienerin Andrea Vötter zählt auch dazu, ebenso Kanadierinnen und Lettinnen und natürlich auch ein Teil von Lochs nun sehr junger Mannschaft, genauer: Julia Taubitz aus Annaberg-Buchholz in Sachsen.

Rodeln: Weltcup

Flink unterwegs: Julia Taubitz rast in Innsbruck auf den zweiten Platz.

(Foto: Stefan Adelsberger/dpa)

Die ist zwar erst 23 Jahre alt, damit aber trotzdem die Älteste und Erwachsenste im neuen Weltcup-Team, zu dem auch die 20-jährige Jessica Tiebel (Altenberg), Cheyenne Rosenthal (Winterberg, 19) und Anna Berreiter (Berchtesgaden, 20) zählen. Taubitz berichtet, dass ihr das abrupte Upgrade nicht so leicht fiel im ersten Sommertraining. Schließlich hatte sie an der Bahn immer jemanden, von dem sie "was abschauen" konnte und jetzt war sie plötzlich, die, von der alle andere abschauten. "Ich hab' jetzt wohl mehr Verantwortung", sagt Taubitz, denn klar, leistungssportmäßig "sind die anderen drei ja fast noch Frischlinge".

Was nicht heißt, dass Taubitz eine fertige Rodlerin wäre. Ihre Qualitäten hat sie im Eiskanal selbst. Sie kann gut lenken, hat ein gutes Reaktionsvermögen. Für eine 23-Jährige ist das Gold wert, denn in dem Alter macht jeder noch Fehler, und nur die, die flugs auf die Ideallinie zurücksteuern, bleiben im Rennen. Taubitz' Problem liegt ganz oben, am Start.

Da verliert sie nach wie vor zu viel Zeit, und das wird sich so schnell nicht ändern. "Ich bin noch zu leicht", sagt sie, 63 Kilogramm sind zu wenig. Gewiss, ihre Maximalkraftwerte stimmen, ihr Luftwiderstand ist gering, ihre Muskulatur trainiert, aber noch so viel Training kann nicht die Physik besiegen, die Rodel-Formel: Masse ist gleich Beschleunigung.

Rodeln: Julia Taubitz.

Julia Taubitz.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Wer schnell und schwer ist, der zischt nicht nur als einer der Besten durch die erste Zeitnahme, sondern steigert sein Tempo auch viel deutlicher im Laufe der Fahrt. Taubitz fährt zwar aus Gerechtigkeitsgründen in einer Ausgleichsweste mit Bleielementen, um genügend Hangabtrieb zu erreichen. Doch am Start wird sie dadurch gebremst, besser als Blei wäre Muskelmasse.

Bedenkt man dieses Problem, so hat die leichte Taubitz schon Erstaunliches erreicht. Im vergangenen Dezember hatte sie in Calgary/Kanada Seriensiegerin Geisenberger bezwungen, und dies zwei Weltcups später noch wiederholt, und das alles wiederum, obwohl sie mit den einzelnen Fahrten gar nicht so zufrieden war: "Die Läufe waren nicht sauber". Trotzdem wurde sie im Weltcup Gesamtzweite hinter Geisenberger. Und bedenkt man, dass Taubitz in den nächsten Jahren doch noch etwas zunehmen und ihre Fahrtechnik verfeinern will, so ist sie auf einem guten Weg.

"Die Saison wird spannend", sagt Trainer Loch, vor allem bei den Frauen. Vermutlich kann sich die internationale Konkurrenz diesmal gegen die BSD-Fahrerinnen durchsetzen - fraglich ist aber, wie es auf lange Sicht weitergeht, wenn Taubitz und die Frischlinge Muskelmasse und Erfahrung aufbauen; wenn sie ihre Schlitten von deutschen Spezialisten optimieren lassen und die Mütter Geisenberger und Eitberger wieder eingreifen. Dann, ja dann bricht wohl die nächste deutsche Dominanzepoche an.

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