Rodeln:Mit angeschlagenen Zähnen

Nicht mal in seiner Heimat kannten sie seinen Namen: Der Österreicher David Gleirscher gewinnt Gold im Rodeln, weil er die favorisierten Nationen mit den Mitteln des Außenseiters schlägt.

Von Volker Kreisl

Seit drei Jahren fährt er schon im Weltcup, gewonnen hat er noch nie. David Gleirscher stand nicht mal auf dem Podest. Jetzt ist er Olympiasieger und sagt: "Ich glaub's nicht."

Nicht mal in seiner Heimat kannten sie seinen Namen, Rennrodeln wird in Österreich mit dem Rekord-Weltcupsieger Markus Prock in Verbindung gebracht, auch mit den Linger-Brüdern, die 2010 Olympiasieger im Doppelsitzer wurden, oder mit dem Weltmeister Wolfgang Kindl. Aber Gleirscher? In der Gegend um das Stubaital kennen sie ihn, denn da stammt er her. Bei seinem Rodelverein RV Halltal-Absam ist er natürlich auch ein wichtiger Name, zudem in der Nähe des Trainingszentrums Innsbruck-Igls. Dort wird seit Jahren daran gearbeitet, dass Österreichs Rennrodler wieder aus dem Schatten der Besten dieses eher versteckten Sports treten.

Die Besten sind die Deutschen, und die haben die Österreicher nun mit den Mitteln des Außenseiters geschlagen. Sie hatten sich früh überlegt, ihre Schlitten auf eine besondere Art zu präparieren, und Trainer René Friedl hatte nicht gezögert, einen mäßig erfolgreichen Rodler wie David Gleirscher nach Pyeongchang mitzunehmen. Der hatte bis auf den dritten Platz bei der Junioren-WM 2013 noch nie etwas gerissen, aber auf der unangenehmen Bahn in Südkorea zeigte er im Herbst fabelhafte Trainingsläufe. Dort, wo die meisten über Bandenrempler stöhnten, sagt er, "hab' ich mich von Anfang an wohlgefühlt".

Drei Monate später ist er Olympiasieger, den für einen Moment sogar die ganze Sportwelt kennt - und das war dann doch ein bisschen zu viel für Gleirscher. Die Geschehnisse haben ihn quasi überholt: Das eigene Tempo, den plötzlichen Ruhm und sogar seine Führung nach diesem exzellenten vierten Lauf hat er zunächst nicht mitgekriegt, weder mental noch visuell. David Gleirscher erzählt, es habe sich der Atem unter seinem Helm gestaut: "Mein Visier war angelaufen, ich hab' erst nicht erkannt, dass die Eins aufleuchtet."

Rodeln: Historischer vierter Lauf der Nummer elf: Der Österreicher David Gleirscher rodelt sensationell zu Gold.

Historischer vierter Lauf der Nummer elf: Der Österreicher David Gleirscher rodelt sensationell zu Gold.

(Foto: Wong Maye-E/AP)

Noch ehe er sich versah, waren auch schon die beiden Bestplatzierten des dritten Laufs unten, und dann stand die Rodelwelt Kopf: Felix Loch, der Seriensieger der vergangenen zehn Jahre, war im letzten Lauf gegen die Bande gefahren und wurde Fünfter, Olympianeuling Johannes Ludwig aus Suhl Dritter, und der unerfahrene, noch ungestüme Gleirscher Erster. Ludwig lag rang- und gefühlsmäßig also in der Mitte, am nächsten Tag sagte er mit etwas Abstand, es sei ein Auf und Nieder gewesen, denn das sichere Gold für seinen Verband war weg, andererseits bedeutete dies Bronze für ihn: "Ich wusste nicht, was ich machen sollte, enttäuscht sein oder mich freuen?" Klugerweise hat er sich für Zweites entschieden.

Das sind die Probleme eines erfolgsverwöhnten Teams, das seinem überragenden Kollegen gewissen Respekt entgegenbringt. Die Österreicher dagegen wussten schnell, was sie fühlen sollten, man sah es an den Szenen im Zielraum. Gleirscher holte ja das erste Gold für Österreich, nachdem die Abfahrer wegen der Wind-Absage dies nicht vorlegen konnten. Somit war er nicht nur Olympiasieger, sondern der erste Hauptgast einer Medaillenparty im Österreich-Haus von Pyeongchang. Diese Parties haben nicht gerade den Ruf, schon vor Mitternacht zu Ende zu sein, Gleirscher hat trotzdem alles gut überstanden, außer das Jubeln, da hat er sich an einer Sektflasche die Zähne angeschlagen.

Gleirscher hat noch ein Rennen vor sich, es geht im Team-Wettkampf abermals um eine Medaille. Die Goldene im Einzel hatte er seinem eigenen Fahrer-Können zu verdanken und der Materialtaktik - die Rodel wurden möglichst defensiv eingestellt. Das bedeutet, man fährt eher mit flachen als mit runden Kufen, was zwar mehr Reibung erzeugt, aber auch mehr Sicherheit bringt. An der gefürchteten Kurve neun hatte Friedls Team kaum Probleme, anders als die Favoriten aus Deutschland, Russland und Italien. Die Österreicher waren zwar nicht die Schnellsten in der Bahn, kamen aber heil durch.

Pyeongchang 2018 - Rodeln

Abends im Österreich-Haus: Rodel-Olypiasieger David Gleirscher lässt sich zünftig feiern.

(Foto: Erich Spiess/ÖOC/APA/dpa)

Gleirschers Olympiasieg hat die Nation mitgerissen, auch weil es eine David-gegen-Goliath-Geschichte war. Auf Dauer aber dürften Österreichs Rodler, die schon 2010 dank überlegter Taktik ausnahmsweise Frauen-Silber geholt hatten (durch Nina Reithmayer), nicht mit der Rolle der gewitzten Außenseiter zufrieden sein. Wie die anderen Nationen hoffen sie wieder auf einen starken Einsitzer, der konstant auf Augenhöhe mit den Deutschen fährt.

Der Wunsch könnte bald in Erfüllung gehen. Felix Loch erklärte zwar am nächsten Morgen, er sei erst 28 Jahre alt, und bei den kommenden Spielen 2020 in Peking werde er "versuchen, auf jeden Fall am Start zu sein". Aber er war sich auch im Klaren: "Die Konkurrenz ist größer geworden." Loch und seine Frau erwarten im Mai ihr zweites Kind, das lenkt die Gedanken immer ein bisschen ab, zudem ist die gesamte deutsche Mannschaft nicht mehr die Jüngste, die Nachteile am Start sind irgendwann mit Routine nicht mehr auszugleichen.

Und das wird sich dann jemand zunutze machen, der beides hat: junge Oberarme und ein gutes Fahrgefühl. Womöglich ist es David Gleirscher, der Stubaier, den die Sportwelt jetzt kennt.

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