Süddeutsche Zeitung

Rodeln:Der zweite Loch

Felix Loch muss sich seine Erfolge mittlerweile hart erarbeiten - der WM-Titel in Winterberg zeigt, dass dies noch gelingen kann.

Von Volker Kreisl

Vorgesehen war ganz offensichtlich etwas anderes, die Vorzeichen waren eindeutig. Hatte Felix Loch nicht zuletzt am Start immer die einst bewährte Kraft in den Oberarmen verlassen? Und dann immer die Kufen, die mal nicht schnell genug waren, mal nicht genügend stabil auf dem Eis. Lochs Fahrten wiesen Ecken und Kanten auf, schließlich kam auch noch Sauwetter, also bremsender Schneeregen auf. Alles deutete auf Felix Lochs nächste große Niederlage hin.

Aber irgendwann gelingt es einem geplagten Altsieger dann doch, sich gegen den negativen Trend zu stemmen. Felix Loch schlitterte nach diesem Finale bei der WM in Winterberg nicht wie versteinert an den Zuschauern vorbei und blieb auf seinem Gefährt in der Bremsspur sitzen, sondern er veranstaltete seinen für die Umstehenden nicht ungefährlichen Freudentanz früherer Jahre. Loch ist Weltmeister geworden, was zunächst nicht spektakulär war, denn er besaß schon fünf solcher Titel, außerdem hatten für seinen Verband BSD tags zuvor schon die Doppelsitzer und die Seriensiegerin Natalie Geisenberger Rodelgold geholt, das in Deutschland wegen überlegener Strukturen schon Routine ist. Etwas Neues ist es freilich, wenn jemand über die eigenen Mängel triumphiert.

Das passiert meistens erst in der zweiten Phase der Karriere. In Lochs Anfangsjahren hatte alles zusammengepasst, und trotz gewissenhaften Trainings wirkte er damals wie ein Glückskind. Er hatte ideale Körpermaße, formidable Startzeiten und genügend Eigengewicht, um im Eiskanal mit hoher Geschwindigkeit bis ins Ziel zu rauschen. Seine Reaktionszeit und sein Fahrgefühl brachten ihn in sieben Jahren zu zwei Olympiatiteln, fünf WM- und sechs Gesamtweltcup-Erfolgen. Doch dann wurde er als Sportler erwachsen.

Die Zeit wird knapper, sagt Loch: "Die Jahre vergehen von Jahr zu Jahr schneller"

Loch heiratete, wurde Vater und bezog ein Haus. Kleinere Blessuren bremsten seinen Körper, oder er wurde vor Rennterminen krank. Dass die Formkrise auch an zusätzlichen Beanspruchungen lag, hat er nie bestätigt, und doch fiel beides zeitlich zusammen. Ab dem Herbst 2016 unterliefen ihm Lenkfehler, die auch auf Konzentrationsschwächen hinwiesen, bei der WM 2017 in Innsbruck verpasste er das Podest.

In der ersten Karrierephase sind Seriensieger zwar erfolgreich, sie liefern Anhängern und Sponsoren die gewünschten Medaillen, doch in der zweiten Phase werden sie erst so richtig interessant. Loch musste lernen, dass Probleme für ihn und sogar seinen bewährten Schlitten-Entwickler, den Olympiasieger Georg Hackl, nicht ohne Weiteres zu lösen sind. "Da schaukelt sich vieles hoch, du bist mit dir selber unzufrieden", sagt Loch, "du riskierst immer mehr," und dann gerate man in einen Teufelskreis, Loch nennt es "die andere Seite".

Beide arbeiteten intensiv am großen Comeback zum Höhepunkt der vergangenen Olympiasaison, was tatsächlich zu gelingen schien. Loch regulierte auf der schwierigen Bahn in Pyeongchang im Training letzte Feinheiten am Rodel und an seinem Kurvenrhythmus. Und er meisterte diese Bahn in den ersten dreieinhalb von vier Läufen - wie 2010 die von Whistler bei seinem ersten Olympiasieg, mit 20 Jahren. Bis zur Kurve sieben im vierten Lauf ging es gut, in Kurve acht verlenkte er dann, ausgangs der Kurve neun rammte er rechts gegen die Bande. Jene unaufhaltsame Fehlerkette setzte ein, für die diese Bahn berüchtigt war. Loch kam komplett von der Ideallinie ab, stand fast quer und touchierte noch einmal die Bande. Dass er zunächst noch vorne lag, bedeutete nichts, das verlorene Tempo lässt sich ja nicht mehr neu aufnehmen.

Loch hatte seinen Sieg schon längst vergeben. Er verließ Pyeongchang mit einem neuen Ziel, dem Olympiasieg 2022 in Peking. Nur ist der gereifte Loch klüger als der unbedarfte der Anfangsjahre, und er weiß, dass diese Zeit sehr schnell verstreicht. "Die Jahre vergehen von Jahr zu Jahr schneller", sagt er, kaum schaue man, "schon ist wieder der nächste Olympiawinter". Um da in Siegform zu sein, muss er jedes Jahr um ein, zwei Zehntel schneller werden, was in dieser Saison zunächst überhaupt nicht gelang. Loch, mittlerweile 29, stagnierte weiter, erstmals gelang ihm im Weltcupwinter bislang kein Sieg. Umso wichtiger wurde die WM im eigenen Land.

Was den jungen vom alten Sieger noch unterscheidet, das ist wohl die Kreativität. Loch entschied früher vieles über seine Kraft, heute sucht er auch mal nach Lösungen jenseits des Tellerrandes. Im Grunde fühlte er sich gut in Winterberg, aber hier brauchte es mehr als einen Achtungserfolg, Loch strebte einen Durchbruch an, der das widerlegte, was er bei manchen Fans und Beobachtern spürte: "Viele haben nach Olympia an mir gezweifelt."

Er brauchte also diesen sechsten WM-Sieg, der ihn zusammen mit dem Italiener Armin Zöggeler zum Rekordhalter macht, und deshalb tauschte er am Sonntag kurzerhand die Kufen und schraubte jene seiner Teamgefährtin Geisenberger unter den Rodel, der ihn zum Sieg trug. Das Kalkül ging auf, Felix Loch ist zurück von der anderen Seite. Aber die Arbeit geht weiter.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2019
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