Süddeutsche Zeitung

Rodel-WM:Hängen geblieben

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Rückschlag für Natalie Geisenberger: Die Olympiasiegerin verspielt ihre Chancen aufs Podest. Das zeigt: Die deutschen Rodler werden es in Zukunft nicht mehr leicht haben.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Die Bahn ist immer noch dieselbe. Sie besteht aus Kunsteis, hat 14 Kurven und immer noch diesen Tunnel nach der Ziellinie, in dem der Rodler auf den letzten Metern noch abbremst. Immer noch liegt die Rodelbahn von Innsbruck-Igls am Fuße des Patscherkofels, immer noch befindet sich das Pressezentrum im Pfadfinderheim Tirol, und doch beschlich die Besucher und Beobachter an den ersten Rodel-WM-Tagen das Gefühl, sie seien irgendwie woanders.

Das lag vor allem an den deutschen Frauen. Die beherrschen bis auf wenige Ausnahmen schon immer die Weltmeisterschaften, erst recht auf der relativ einfachen Bahn von Innsbruck. Mindestens zwei kamen immer aufs Podest, doch diesmal gab es Tränen, Lenkfehler und Bahnrempler, eine teaminterne Ablösung auf der Position der besten Deutschen und zwei kräftig durchgemischte, sehr internationale Siegerpodeste.

Das Fazit aus den zwei Frauenrennen: Tatjana Hüfner aus Friedrichsroda ist als Weltmeisterin endgültig zurück an der Weltspitze, Natalie Geisenberger, die zweimalige Olympiasiegerin aus Miesbach, erlitt erstmals einen überraschenden und heftigen Rückschlag. Hüfner, 33, holte am Freitag im Sprint Bronze und am Samstag Gold - in der überlegenen Art, die in den vergangenen fünf Jahren stets Geisenberger, 28, gezeigt hatte. Die aber fuhr bei dieser Weltmeisterschaft so, als wäre dies ihr erstes Weltcuprennen. Am Freitag wurde sie 15., am Samstag im ersten Lauf 17., womit sie alle Chancen aufs Podest verspielte. Dort versammelten sich dafür mal andere: die US-Amerikanerin Erin Hamlin wurde Sprintweltmeisterin vor Martina Kocher (Schweiz), und am nächsten Tag Silbergewinnerin vor der Kanadierin Kimberley McRae.

Es deutet sich an, dass es für Deutschland in Zukunft schwerer wird

Eine Krise für den deutschen Verband BSD ist dies nicht, aber es deutet sich eine leichte Verschiebung an: So einfach wie früher gewinnen sie nicht mehr. Denn auch bei den Männern, hatte man sich mehr ausgerechnet, Olympiasieger Felix Loch, der zuletzt im Weltcup nicht mehr aufs Podest kam, wurde nur Zehnter im Sprint, er hat seine alte Form schon länger verloren, konzentriert sich nun aber auf das traditionelle WM-Einzelrennen am Sonntagvormittag. Nur bei den Doppelsitzern blieb in Innsbruck alles beim Alten: Die Duos von Bundestrainer Norbert Loch wurden Weltmeister, Tobias Wendl und Tobias Arlt vom Königssee im Sprint und Toni Eggert/Sascha Benecken (Oberhof) im herkömmlichen Rennen.

Da gab es mit den Königsseern auf Platz zwei und dem Nachwuchsdoppel Robin Geueke und David Gamm (Winterberg) sogar ein deutsches Podium, und dennoch: Der bleibende Eindruck dieses WM-Samstags war das Frauen-Dramolett mit einer verzückten Hüfner als fassungslose Comeback-Siegerin, deren erster von fünf WM-Titeln vor zehn Jahren an selber Stelle gelang. Und einer bedrückten Geisenberger, der die eigenen Fehler ein Rätsel blieben.

Weder war sie krank noch sonst wie außer Form. Es gab keinen psychischen Stress, im Gegenteil, Geisenberger war wie gewohnt als selbstbewusste Gesamt-Führende des Weltcups angereist. Trotzdem, an der einzigen tückischen Stelle der Bahn, dieser leichten Rechtskurve nach dem Start, blieb sie hängen wie an einer gut sichtbaren Fußschlinge. Damit war der Sprintsieg schon verloren, am nächsten Tag machte sie es hier besser, schoss perfekt durch die Kurve eins, eckte stattdessen aber in der Neun an. Geisenberger kam zu spät aus der Steilkurve und prallte gegenüber an die Bande.

"Heute hat man gesehen, dass ich auch nur ein Mensch bin"

Nie war ein erster Lauf bei einer WM für deutsche Beobachter so lange spannend. Geisenberger hatte mit dreieinhalb Zehntelsekunden einen derart großen Rückstand, dass sie zwischendurch den zweiten Durchgang zu verpassen drohte. Die Olympiasiegerin wurde von vielen der Hinteren des Weltcups verdrängt, am Ende erreichte sie als die Nummer 17 von 20 Rodlerinnen des ersten Laufs das Finale. "Zehn Jahre lang ist mir das nicht passiert" sagte sie, immer habe sie ihre Leistung gebracht, "heute hat man gesehen, dass ich auch nur ein Mensch bin."

Geisenberger war also nur unkonzentriert, dennoch bleibt für die junge Konkurrenz die Erkenntnis, dass auch die besten Deutschen älter und angreifbarer werden. Innsbruck dürfte so in Erinnerung bleiben, auch wenn Geisenberger im mühsam erreichten Finale wieder die alten Qualitäten zeigte, den Bahnrekord erneuerte und im Gesamtergebnis noch auf Platz fünf vorfuhr.

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SZ vom 29.01.2017
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