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Verteidiger Robin Gosens:Ein Fußballer, der vieles anders macht

Robin Gosens steht mit Atalanta Bergamo im Achtelfinale der Champions League. Der Außenverteidiger geht einen ungewöhnlichen Weg - und könnte bald in der Bundesliga oder sogar Nationalmannschaft spielen.

Von Sebastian Fischer

Die Koordinationsleiter ist weiterhin eine Herausforderung; diese Sprossen, mit Schnüren verbunden, die ambitionierte Trainer auf dem Rasen ausrollen, um Fußballer darüber laufen zu lassen und ihre Bewegungen zu schulen. "Blamieren kann ich mich da immer noch", sagt Robin Gosens, verheddern, stolpern, er lacht. Es sind die Kleinigkeiten, an denen er merkt, dass er einen anderen Weg gegangen ist als die meisten Fußballer um ihn herum.

Gosens hat inzwischen schon ein paar Mal erzählt, was die Leiter mit seiner Karriere zu tun hat. In der U19, er kickte noch in der Niederrheinliga beim VfL Rhede, war er zum Probetraining beim BVB eingeladen. Es war die erste Chance bei einem Profiklub. Unter anderem die Koordinationsleiter, die er aus Rhede nicht kannte, überforderte ihn.

Er fiel durch. Es gibt noch ein paar solcher Geschichten: Wie ihn nach einem Spiel ein Scout von Vitesse Arnheim ansprach, der eigentlich jemand anderen beobachten wollte. Wie Gosens sich von seinem Berufswunsch Polizist verabschiedete. Wie er in den Niederlanden Fußballprofi wurde.

"Ich bin nicht der typische Profi, und das ist mir sehr, sehr wichtig"

Der Grund, warum die Leute seine Geschichten hören wollen: Gosens, 25, null Spiele für einen Profiklub in Deutschland, null Berufungen in eine Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes, steht mit dem italienischen Erstligisten Atalanta Bergamo im Achtelfinale der Champions League, als Stammspieler auf der linken Außenbahn. 2019, sagt er, "ist in meinen Träumen schwer zu toppen". Und natürlich ist es trotzdem möglich. 2020 ist ja zum Beispiel eine Europameisterschaft.

An einem Nachmittag im Dezember geht Gosens zwischen Mittagessen und Training ans Telefon. Normalerweise würde er die Pause wohl nutzen, um fürs Psychologie-Fernstudium zu lernen.

In Deutschland wird seit der missratenen WM 2018 wieder mehr über Ausbildungswege von Fußballern gesprochen. Eine der jüngeren Thesen hat U20-Nationaltrainer Manuel Baum aufgestellt: Von den Talentsuchern der Nachwuchsleistungszentren, die ein dichtes Netz über die Republik spannen, werde zu viel auf Schwächen geachtet, zu wenig auf Stärken, deshalb falle immer noch so manche Begabung durchs Raster. Womöglich ist das eine Erklärung für Gosens' Weg. Vielleicht fiel er tatsächlich lange niemandem auf. Er sagt jedenfalls: "Ich bin nicht der typische Profi, und das ist mir sehr, sehr wichtig."

Gosens nahm das Angebot an, in der A-Jugend für Arnheim zu spielen, eine halbe Autostunde entfernt von seinem Heimatort Elten nahe der niederländischen Grenze. Im Stau lernte er für das Abitur. Er spielte für das U23-Team, und nach einer Leihe in die niederländische zweite Liga war er bald Erstliga-Stammspieler bei Heracles Almelo. 2017 kam das Angebot aus Bergamo.

Der Klub aus der 120 000-Einwohner-Stadt östlich von Mailand hat 2018/2019 die erfolgreichste Saison seiner Vereinsgeschichte gespielt: Platz drei. Und doch war es kein unerklärlicher Ausreißer nach oben. Schon 2017 qualifizierte sich Bergamo für die Europa League, ließ reichere Klubs hinter sich, spielte dabei Offensivfußball. Die aktuelle Hinrunde beendete die Mannschaft auf Rang fünf.

Wenn Gosens den Erfolg begründen soll, lobt er die in Italien berühmte Nachwuchsarbeit des Klubs, das Fachwissen des Trainers Gian Piero Gasperini. Und "eine Scouting-Abteilung, die kleine Spieler wie mich holt und sie groß rausbringt".

In der Champions League verlor Bergamo die ersten drei Spiele. Viele hätten gefragt, was sein Team dort verloren habe. Er werde nie vergessen, wie er die Gegenspieler vor dem Anpfiff begrüßte, "gigantische Topstars". Er dachte: "Wie kann das sein, dass du hier auf dem Platz stehst?"

Nachdem Bergamo das Hinspiel gegen Manchester City 1:5 verloren hatte, gelang im Rückspiel ein 1:1, danach der erste Sieg gegen Dinamo Zagreb. Das entscheidende Spiel gewann Bergamo 3:0 in Donezk. Gosens schoss das Tor zum Endstand.

Gegner im Achtelfinale ist nun der FC Valencia. Machbar, sagt er. Doch sein erster Gedanke, als er die Auslosung sah, sei ein anderer gewesen: "Ich wollte ein Stadion mitnehmen, was ich noch nicht gesehen habe." Valencia kennt er schon.

Gosens wirkt wie ein Profi, der sich die Freude am Spiel bewahren will, genau wie etwas Skepsis gegenüber dem Leben, das sich daraus für ihn ergibt. "Wenn ich mir eine Bodylotion für 16 Euro kaufe, weil die so geil riecht, hinterfrage ich mich schon", sagt er. "Dann denke ich, die hätte ich jetzt auch für 1,99 kriegen können." Dieser Gedanke, wenigstens, sei ihm wichtig.

Er will eine gewisse Distanz zu dem Geschäft wahren, mit dem er sein Geld verdient. Vor seinem Wechsel nach Italien trennte er sich von seinem damaligen Berater. Der habe ihn am Telefon zur Unterschrift drängen wollen, ohne dass Gosens überhaupt wusste, wie Bergamo aussieht. Danach habe er kurz überlegt, Verhandlungen nur noch gemeinsam mit seinem Vater zu führen. Aber das gestaltete sich schwierig.

"Du musst wirklich eine Sau sein, weil die Vereine logischerweise nicht im Sinne des Spielers denken, sondern an ihre wirtschaftliche Situation. Ich bin eine Person, die glaubt immer ans Gute. Aber das ist nicht oft der Fall in dieser Welt."

Gosens sagt manche solcher Sätze, die nicht unbedingt nach Profifußball klingen. Dem Magazin 11 Freunde erzählte er, wie er früher mit seinen Freunden in Rhede "vorschepperte" und dann in der Dorfdisco feierte, an Abenden vor Spielen. Doch er will auch nicht missverstanden werden. Nach dem viel zitierten Interview habe er das Gefühl gehabt, "dass ich als derjenige abgestempelt wurde, der sein Leben als Jugendlicher weiterlebt, der trinkt und dem der Fußball gar nicht so wichtig ist. Das ist natürlich überhaupt nicht wahr".

Es ist eher so: Er findet, ihm helfe es, dass er später als die anderen das Leben eines Profis begann. "Ich glaube, dass das ein Pluspunkt von mir ist: dass andere an ihrem Limit angekommen sind, aber ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl habe, dass ich schon ausgelernt habe."

Gosens möchte irgendwann in die Bundesliga wechseln

Ein Beispiel sind seine Fähigkeiten im Eins-gegen-eins. Er habe sich nie so richtig ins Dribbling getraut, sagt er, "weil ich nie das Gefühl hatte, dass ich das kann". Bis er mit gezieltem Schnelligkeitstraining an seiner Explosivität arbeitete.

Am letzten Hinrundenspieltag lief er auf Andrea Conti zu, Verteidiger bei AC Mailand. Gosens täuschte links an, ging rechts vorbei, schoss. Bergamos Mario Pasalic fälschte den Ball ins Tor ab. Es war Gosens' dritte Vorlage der Saison, zum Treffer zum 2:0. Atalanta gewann 5:0.

Er ist ein begabter Defensivzweikämpfer, athletisch. Es gibt Youtube-Videos, die viele seiner spektakulären Grätschen zeigen. Doch er wird in dieser Saison auch offensiv effektiver. Vier Tore hat er bislang geschossen, so viele wie noch nie als Profi.

Gosens möchte irgendwann in die Bundesliga wechseln, das ist sein Ziel: Im Sommer scheiterte ein Transfer zu Schalke 04 knapp. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass 2020 ein Wechsel nach Deutschland zustande kommen könnte. Und wenn es um die Nationalelf geht, sagt er: "Natürlich habe ich die Ambition, mich zu empfehlen."

Länderspiele, sogar solche gegen Weißrussland, schaue er sich im Fernsehen an, als Fan, ohne Hintergedanken, sagt er. Aber: "Ich bin natürlich auch nicht auf den Kopf gefallen." Er hat schon gemerkt, dass der Bundestrainer zuletzt immer häufiger eine Dreierkette in der Abwehr aufstellt; dass offensive Außenverteidiger die Flügel besetzen. Es ist das System, das auch Atalanta Bergamo spielt. Gosens findet, dass es eigentlich perfekt zu ihm passt.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2019/sonn
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