Süddeutsche Zeitung

Basketballer Benzing in Uruguay:Therapie am Rio de la Plata

Ein Wechsel voller Abenteuer: Robin Benzing, langjähriger Kapitän der deutschen Basketball-Auswahl, spielt neuerdings in Montevideo - in der Ferne will er Frieden mit seiner Vergangenheit als Nationalspieler schließen.

Von Jonas Beckenkamp

Der Weg zu Robin Benzing führt über ein paar Umwege. Zeitumstellung, Trainingseinheiten, Termine in der neuen Heimat, es dauert ein bisschen, bis es mit dem Videotelefonat nach Uruguay klappt. Aber dann taucht der Basketballer auf dem Bildschirm auf, er lümmelt auf der Couch seines Hotelzimmers und wirkt südamerikanisch entspannt. Von Deutschland an den Rio de la Plata, das sind nicht nur tausende Kilometer Entfernung, sondern auch hunderte neue Eindrücke. Über sein Abenteuer spricht Benzing mit Begeisterung, da wackelt auch mal das Handy.

"Ist alles ein bisschen anders hier", erzählt er, "es ist nicht Europa, es ist sehr weit weg von daheim, und ich habe nie zuvor hier gespielt." Weil er zunächst ohne seine Familie "hierher düste", wie er sagt, habe er hin und wieder schon Heimweh, aber "es ist eben mein Job, und Südamerika ist doch was Cooles, was Besonderes". So besonders, dass viele sich wunderten: Was will der langjährige Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft in Montevideo, in einer eher unterklassigen Liga, in der auch mal Flaschen durch die Halle fliegen?

Die Antwort: Er will Basketball spielen, nochmal raus ins Getümmel, bevor es vorbei ist mit der Karriere.

Benzing, 33, hat schon einiges gesehen von der Basketballwelt, er spielte beim FC Bayern, in Istanbul, in Saragossa und zuletzt in Bologna, er warf im Nationalteam Körbe neben Dirk Nowitzki, und nicht wenige dachten damals, er könne dessen Nachfolger werden. 2,08 Meter, lockeres Wurfhändchen, diese seltene Kombination aus Beweglichkeit und Länge. Auch wenn er am Ende kein neuer Nowitzki wurde, brachte er es auf 167 Länderspiele. 14 mehr als der berühmte Würzburger aus Dallas.

Zum Alltag gehören Duell gegen Meisterteams aus Argentininen und Brasilien

Heute ist Benzing kein Nationalspieler mehr, dafür läuft er neuerdings für Club Atlético Peñarol auf, den Traditionsklub mit den Farben Schwarz und Gelb, dem sie vor allem wegen seines Fußballteams huldigen. Dass ein Basketballer aus Alemania ausgerechnet nach Uruguay gewechselt ist, zählt zu den kuriosesten Geschichten des Sportjahres 2022. Auch Benzing hatte nach einem Jahr in Italien und einem für ihn komplizierten Sommer zunächst andere Ziele im Sinn. Doch als er kleinere Offerten aus Europa oder Asien sondierte, "meinte mein Agent, es gebe noch ein exotisches Angebot aus Uruguay".

Benzing schlug zu, zumal er gut Spanisch spricht, und der Trainer von Peñarol ihm übermitteln ließ, dass er seinen Werdegang schon lange verfolge und ihn unbedingt wolle. Fünf Monate läuft der Vertrag nun, so lange wie die Saison in der einheimischen Liga LUB. Zudem trifft Benzing mit seinem Klub in der südamerikanischen Champions League auf Meisterteams aus Argentinien oder Brasilien. Zumindest diese Länder gelten als Basketballnationen, Uruguay dürfte für Benzing dagegen rein sportlich einen Rückschritt bedeuten. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Land aber besser aufgestellt als die Nachbarn.

"Es ist durchaus lukrativ, hier wird gar nicht so schlecht bezahlt, und es eröffnet mir als Profi den Markt für den Rest Südamerikas", sagt er. Da auch seine Familie zum Jahreswechsel nachkommt, könnte der Aufenthalt also länger dauern. Ein wenig versteht sich Benzing auch als Botschafter, der es in der fernen Welt versucht - denn einen Deutschen im uruguayischen Basketball, das gab es noch nie. Gleichzeitig strebt er nach etwas, das über ein Profigehalt hinausgeht. "Meine Auslandsaufenthalte haben mich allesamt geprägt", sagt er. Es mache "einen Riesenunterschied, ob du richtig woanders gelebt hast, da nimmst du persönlich so viel mit".

Und überhaupt sei Peñarol eine Institution im Land. "Überall laufen Leute in Trikots herum, Menschen haben Tattoos des Vereins und zeigen sie einem." Basketball sei eine beliebter Sport, hat er beobachtet, auch wenn das Land zuletzt auf die Fußball-WM, mit den Helden Suarez oder Cavani, schaute. Selbst bei Heimspielen in der Halle sei es ein wenig wie beim Fußball: Die Fans singen durchgehend, auf dem Parkett ist es laut Benzing "mitunter ein ziemliches Gehacke", weil die Schiedsrichter einiges durchgehen lassen. Und, Achtung Klischee: Wegen Krawallen beim Finale der Vorsaison (Peñarol wurde Zweiter), dürfen derzeit nur begrenzt Zuschauer in die Arena. Zudem startete der Klub mit einer Punktestrafe in die neue Spielzeit.

Doch selbst wenn "die Uruguayer vielleicht nicht die talentiertesten Spieler sind, haben sie viel Herz," erzählt Benzing. Trotz dieser Widrigkeiten ist ihm Zufriedenheit anzumerken, er will das Neue aufsaugen und freut sich auf die ersten Grillfeste mit den Kollegen.

So bleibt nur noch eine Sache zu klären: Sein Abschied aus dem Nationalteam im vergangenen Sommer. Da wurde er von Bundestrainer Gordon Herbert aus dem vorläufigen EM-Kader gestrichen, weil der DBB auf jüngere, vermeintlich fittere Profis setzte. Für Benzing, den Vorzeigeprofi, der jahrelang zu jedem Freundschaftsspiel angereist war, sogar die Geburt seiner Tochter verpasst hatte wegen eines Spiels in der DBB-Auswahl, der immer als Leader und Integrationsbeauftragter in Erscheinung trat, ein herzzerreißender Moment.

Bei den Feierlichkeiten zu Platz drei war er dann auf Geheiß von Dennis Schröder wieder dabei, sogar eine Medaille wollte der neue Kapitän seinem Vorgänger besorgen. Daraus wurde nichts, aber Benzing fühlte sich wieder wertgeschätzt. "Ganz abgehakt ist das trotzdem noch nicht, dafür tat mir das alles zu sehr weh", sagt er. Immerhin soll es nun ein Gespräch mit den Verantwortlichen des Verbands geben. "Dafür bin ich offen", findet Benzing. "Alle wissen, wie es lief. Dass es nicht in Ordnung war, wissen auch alle."

Die Rede ist von einer Abschiedszeremonie im nächsten Sommer, wenn alle mehr Zeit haben. War ihm wichtig, nochmal mit alten Weggefährten feiern, das Kapitel würdevoll zu Ende bringen. Vielleicht ist Uruguay für Benzing also auch das: ein Stück Therapie, um Abstand zu gewinnen und Frieden zu schließen mit der Vergangenheit. Es scheint, als würde ihm das gelingen.

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