Todestag von Robert Enke:"Wir dachten, mit Liebe geht das"

Robert Enke

Robert Enke litt unter schweren Depressionen.

(Foto: imago sportfotodienst)
  • Der Tod von Robert Enke jährt sich am 10. November zum neunten Mal.
  • Seine Witwe Teresa kämpft im Gedenken an ihren Mann weiterhin darum, dass Depressionen besser verstanden werden.
  • Zusammen mit früheren Fußballprofis, Funktionären und Professoren hat sie Hilfsmittel entwickelt, um Betroffene besser zu unterstützen.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Vor einem Monat hat Teresa Enke einen Brief an Max Eberl geschrieben. Der Manager von Borussia Mönchengladbach hatte geäußert, der Suizid-Tod des damaligen Nationaltorwarts Robert Enke sei zwar für alle ein großer Schock gewesen, sei "aber nicht so nachhaltig in den Gedanken geblieben, dass er heute noch als warnendes Beispiel gilt". Enkes Witwe zieht am neunten Todestag (10.11.) ihres Mannes eine andere Bilanz.

Allein in diesem Jahr, schrieb sie Eberl, hätten Weltstars wie Andrés Iniesta, Serena Williams, der englische Fußballnationalspieler Danny Rose oder die NBA-Spieler Kevin Love und DeMar DeRozan offen über ihre Depressionen oder andere psychische Belastungen berichtet. Das zeige, dass man mittlerweile im Sport wie in der Gesellschaft ein höheres Verständnis für seelische Krankheiten habe: Es werde - anders als vor 15 Jahren, als Robert Enke mit seiner ersten tiefergehenden Depression kämpfte - zunehmend verstanden, dass Depressionen kein Stigma mehr sind.

Teresa Enke kämpft mit der Robert-Enke-Stiftung täglich gegen alte Vorurteile und versucht, Betroffenen Hilfe zu vermitteln. Sie ist zurückgekehrt nach Hannover, wo Robert Enke für 96 spielte. Im Landesmuseum hat sie auf Einladung des Bündnisses gegen Depressionen gerade eine Podiumsdiskussion abgehalten. Gut 200 Menschen sind gekommen, als sie mit Moderator Ronald Reng (Autor der Enke-Biografie und guter Freund von Robert) und dem Psychiatrie-Professor Marc Ziegenbein über "Sport als Therapieform - kann ich einer Depression davonlaufen?" redete. Diese Art Gespräch ist für Interessierte oft ansprechender als eine wissenschaftliche Abhandlung.

Kleiner Etat, große Wirkung

Teresa Enke sprach auch über sich. Die frühere Fünfkämpferin, die sich nach einem Tief mit Laufen aus ihren schlaflosen Nächten befreien wollte, hat es als alte Leistungssportlerin, wie sie sagte, zunächst übertrieben. Nun läuft sie nur noch ohne Uhr und nimmt an keinen Wettkämpfen mehr teil - und das tut ihr gut.

Ihre Stiftung ist mit einem Jahresetat von etwa 450 000 Euro (wovon die DFL, der DFB und Hannover 96 den größten Teil aufbringen) eine der kleinsten in diesem Bereich. Aber sie hat eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Wobei Geschäftsführer Jan Baßler (im Hauptberuf stellvertretender Direktor des Niedersächsischen Fußball-Verbandes) sagt, die größte Wirkung sei mit der Person Teresa Enke verknüpft. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes gesagt: "Wir dachten, wir schaffen alles. Wir dachten, mit Liebe geht das." Aber das sei ein Irrtum gewesen. Also hat sie sich dafür entschieden, mit ihrer Stiftung Hilfsmittel zu entwickeln.

Die Enke-App, die inzwischen von etwa 50 000 Menschen heruntergeladen wurde, ist eine praktische Stütze. Sie klärt auf, einschließlich eines Selbsterkennungs-Tests und diversen Telefonnummern. Es gibt eine Hotline, die man zusammen mit dem Aachener Psychiatrie-Professor Frank Schneider aufgebaut hat und die bundesweit über 70 Therapeuten umfasst. Normalerweise brauchen Notleidende oft sechs Monate, bis sie einen Platz bei einem Experten bekommen, hier sind es meist nur sechs Tage. "Da haben manche schon geweint, weil sie in so kurzer Zeit ein Gespräch bekommen haben", berichtet Jan Baßler, der die Hotline ein "Erfolgsprojekt" nennt.

Ein Treffen auf Wunsch der britischen Royals

Und Martin Amedick, 36, früherer Fußballprofi unterer anderem in Dortmund und Kaiserslautern, reist als Aufklärer ehrenamtlich mit Ronald Reng in Nachwuchsleistungszentren. Amedick, einst selbst betroffen, studiert inzwischen Psychologie in Bielefeld. Er wirkt noch immer wie ein Leistungssportler, vielleicht erreicht er die Talente auch deshalb so gut. Er berichtet zum Beispiel, wie man herauskriege, ob man nur ein kleines Tief oder eine Depression habe. Bei ihm sei es so gewesen, dass er nicht einmal die Trainingstasche mehr habe packen wollen. Und, obwohl er in Kaiserslautern Kapitän war, habe er plötzlich mit niemandem mehr geredet.

Selbst europaweit trägt die Enke-Stiftung inzwischen dazu bei, dass seelische Leiden anders wahrgenommen werden. Vor einem Jahr traf Teresa Enke in Berlin den englischen Prinzen William und seine Frau Kate - und zwar auf Wunsch der Royals. Der DFB und der englische Fußballverband FA haben ihr "Memorandum of Understanding" inzwischen um den Punkt "Mental Illness Sports" erweitert. Die FA will von den Erfahrungen in Deutschland mit mentalen Erkrankungen im Sport profitieren.

Das aber soll nicht alles sein. Professor Ziegenbein, Direktor und Chefarzt am Klinikum Wahrendorff nahe Hannover, will darum kämpfen, dass eine Sport-Therapie als drittes Bein neben Medikamenten und Gesprächen in die Behandlung von Depressiven aufgenommen wird. Ob Wandern, Tanzen, Laufen, Schwimmen, Fahrradfahren oder Fußballspielen - er habe damit nur gute Erfahrungen beim Kampf gegen diese Krankheit gemacht. Zudem will die Stiftung zunehmend digitale Systeme nutzen. Es gehe auch darum, dass Nicht-Betroffene empfinden können, wie sich diese Krankheit anfühlt. So ein Projekt steht nächstes Jahr an, womöglich an Schulen. 2019 jährt sich Enkes Todestag zudem zum zehnten Mal.

Anmerkung der Redaktion: Wegen der wissenschaftlich belegten Nachahmerquote nach Selbsttötungen haben wir uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Dann gestalten wir die Berichterstattung bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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