Rivalität unter Teamkollegen:Bis einer Klopapier klaut

F1 Grand Prix of Bahrain - Race

Lewis Hamilton (re.) und Nico Rosberg: Teamkollegen und Rivalen

(Foto: Getty Images)

Der wichtigste Gegner jedes Formel-1-Fahrers ist der eigene Teamkollege. Das gilt nicht nur für die aktuellen WM-Führenden Nico Rosberg und Lewis Hamilton - die Historie ist voller erbitterter und kurioser Duelle.

Von René Hofmann

Es bestand Gesprächsbedarf. Und das nicht zum ersten Mal in dieser Saison. Vor dem Großen Preis von China an diesem Wochenende in Shanghai (Qualifikation Sa., 8 Uhr/Rennstart So., 9 Uhr) stand im Mercedes-Team eine Videoanalyse des jüngsten Formel-1- Rennens auf dem Programm. Den Großen Preis von Bahrain vor zwei Wochen hatte die Marke dominiert. Letztlich war es nur darum gegangen, welcher ihrer zwei Fahrer gewinnen würde: Lewis Hamilton, 29, oder Nico Rosberg, 28?

Am Ende setzte sich der Brite durch - nachdem er dem Deutschen etliche Male bedrohlich nahe gekommen war. Einmal sogar so nahe, dass Rosberg sich am Funk beschwert und die Teamführung aufgefordert hatte: "Sagt ihm, dass das nicht okay war!" Die aber ließ das Gegeneinander laufen und will das auch weiter so halten, so lange beide eine WM-Chance haben.

Unmittelbar vor dem Saisonstart Mitte März in Melbourne hatte sich Mercedes-Sportchef Toto Wolff schon einmal mit Hamilton und Rosberg zusammengesetzt; dabei waren verschiedene Szenarien durchgesprochen worden. Quintessenz der Gesprächsrunde: Für die Begegnungen miteinander sollten andere Umgangsformen gelten als für die Duelle mit Rivalen aus anderen Rennställen. Das ist ein sehr grobmaschiges Regelwerk. An diesem aber soll sich auch jetzt, nach dem ersten Stresstest in Bahrain, nichts ändern.

"Erst wenn der erste Frontflügel fällt, werden neue Regeln aufgestellt", kündigt Wolff an, weshalb es wenig überrascht, dass sich sowohl Hamilton wie auch Rosberg vor dem vierten Auftritt in dieser Saison betont selbstbewusst geben. "Zweiter zu werden, ist nicht so mein Ding. Ich weiß, dass ich gewinnen kann. Das ist ein wahnsinniges Gefühl", sagt Rosberg. Und: "Ich hoffe, dass es kein Duell gibt und ich vorneweg fahre."

Hamilton bestellte dem meckernden Kollegen nach seinem beinharten Auftreten in Bahrain schon: "Das war ein Rennen für echte Rennfahrer." In der Kolumne, die er für die BBC pflegt, verteidigt er seine Fahrweise vor dem Gastspiel in China nun noch einmal: "Ich durfte keine Schwäche zeigen." Und richtet Rosberg aus, er sei schon "so lange mit ihm und gegen ihn gefahren, dass ich glaube, ich habe genug in der Hinterhand", selbst wenn der unmittelbare Gegner neue Tricks zeige.

Nelson Piquet ließ sogar das Klopapier auf der Williams-Toilette verschwinden

Hamilton und Rosberg kennen sich tatsächlich schon einige Zeit. Sie duellierten sich bereits in Go-Karts. In Monte Carlo sind sie quasi Nachbarn. Sie sind ähnlich alt und gelten als ähnlich ambitioniert. Hamilton wurde 2008, nach seinem zweiten Formel-1-Jahr bei McLaren, Weltmeister. Danach kündigte er umgehend an: Der eine Stern sei ihm nicht genug. Er gedenke, eine Motorsport-Legende zu werden. Den Insignien, die ihn als eine solche ausweisen, jagt er seitdem hinterher.

Rosberg, der seinen Einstand 2006 bei Williams in Bahrain gab und dabei mit der schnellsten Runde des Rennens auffiel, hat stets seinen Vater Keke als Maßstab genannt. Der wurde 1982 mit Williams Weltmeister. Den Triumph errang er mit nur einem Sieg. Wer will, kann Rosberg senior ein "One-Hit-Wonder" nennen, aber das wäre unfair: Er war clever und wusste, dass es manchmal unklug sein kann, mehr als dem Erreichbaren nachzustellen. Sein Sohn muss den Beweis solcher Reife erst noch erbringen, wenn er dem selbst gewählten Maßstab gerecht werden will.

1. Nico Rosberg/61 Punkte, 2. Lewis Hamilton/50 Punkte - so steht es in der WM-Wertung. Rosberg führt, aber wohl nur, weil Hamilton einmal ausfiel. Die jüngsten zwei Vergleiche gewann Hamilton. In Malaysia war er Rosberg im Training, in der Qualifikation und im Rennen in allen Belangen überlegen, in Bahrain entriss er Rosberg, der von der Pole Position aus gestartet und eigentlich mit der besseren Taktik unterwegs war, mit seiner Entschlossenheit den Erfolg. Will Rosberg nicht entscheidend in die Defensive geraten, muss er in China kontern. Er muss.

Alle sind Sensibelchen

Das brächte dem Gegeneinander schon besondere Brisanz, wenn die zwei für unterschiedliche Teams fahren würden. Ein solches Duell in einem Stall aber - das ist wie ein Kampf zweier Schwergewichts-Boxer in einem Ruderboot. "Im Motorsport gibt es nur einen Gegner, auf den man achtet: der Teamkollege." Auf diese Formel hat es Walter Röhrl einst gebracht, der Rallye- Virtuose: "Alle anderen haben bessere Autos, wenn sie schneller sind. Aber wenn der Teamkollege vorne ist, was erzählst du dann?" Dann sieht es schlecht aus.

Die Formel-1-Geschichte ist voller Anekdoten, die erzählen, wie weit manche In-Team-Rivalen bereit waren, bei ihrem Gegeneinander zu gehen. Der Brasilianer Nelson Piquet ließ 1986 das Klopapier auf der Williams-Toilette verschwinden, wenn er wusste, dass sein Teamkollege Nigel Mansell gleich vorbeikommen würde. Er streute, die Frau des Briten sei hässlich. Auf dem Hockenheimring hörte Piquet Mansells Funk mit, und als dieser sich an der Box zum Reifenwechsel anmeldete, bog Piquet zur Garage ab und schnappte sich den Satz Pneus, der für den Kollegen bereitlag. Als am Saisonende weder er, noch Mansell triumphierte, sondern McLaren-Fahrer Alain Prost, sagte Piquet: "Wenigstens ist Prost Weltmeister geworden und nicht dieser andere."

Prost, der kühl kalkulierende Franzose, duellierte sich 1988 und 1989 bei McLaren mit einem anderen impulsiven Brasilianer: Ayrton Senna. Die beiden zogen ebenfalls alle Register. Dass sie sich in den entscheidenden Rennen gegenseitig von der Strecke drängten, zeigte der ganzen Welt: Hier ist keiner bereit, einen Millimeter nachzugeben. Doch hinter den Kulissen wurde ebenso unnachgiebig gerangelt.

Prost hegte den Verdacht, Motorenlieferant Honda würde Senna bevorteilen. Seine Angst ging so weit, dass er Jean-Marie Balestre, den damaligen Präsident des Automobil-Weltverbandes, einen Franzosen, dazu brachte, den japanischen Konzern in einem offenen Brief aufzufordern, Fairplay walten zu lassen. Schließlich wurde gelost, welchen Motor Prost erhielt und welchen Senna. "Es war ein bisschen Paranoia dabei", hat Teamchef Ron Dennis in einem Rückblick einmal gesagt.

Rennfahrer geben sich gerne martialisch und unerschrocken. Im Grunde aber sind sie Sensibelchen: Jeder will das Gefühl haben, dass sein Team bedingungslos hinter ihm steht. Nur hinter ihm.

Jedes noch so kleine Detail ist wichtig. Manchmal ist auch etwas Paranoia dabei

Das führt dazu, dass jedem noch so kleinen Detail schnell eine gewaltige Bedeutung zukommen kann. Mark Webber, damals 33 Jahre alt und ein gestandener Rennfahrer, stapfte beim Großbritannien-Grand-Prix 2010 wie ein trotziges Kind in aller Öffentlichkeit mit dem Fuß auf, nachdem ihm Red Bull 25 Minuten vor Beginn der Qualifikation die einzige verbliebene Version eines neuen Frontflügels vom Auto geschraubt und sie Sebastian Vettel zugesprochen hatte. Dabei hatte der Australier nach Testfahrten zuvor beschieden, er spüre mit dem Teil gar keinen Unterschied.

Die Rivalität zwischen Fernando Alonso und Lewis Hamilton 2007 bei McLaren ging so weit, dass der Spanier nach dem Reifenwechsel in der Qualifikation so lange mit dem Losfahren zögerte, bis der hinter ihm wartende Hamilton keine schnelle Runde mehr drehen konnte. Auslöser des Disputs war die Petitesse gewesen, wer von den beiden an jenem Wochenende in den Genuss eines minimalen strategischen Vorteils kommen sollte.

Die Konsequenzen der Aktion dagegen waren gewaltig: Alonso wurde von den Rennkommissaren hart bestraft. Er überwarf sich mit Teamchef Ron Dennis. Am Ende der Saison verließ er den Rennstall im Streit. Und Weltmeister wurde in jenem Jahr kein McLaren-Fahrer, sondern - um einen Wimpernschlag - Kimi Räikkönen im Ferrari. Da half auch alles Reden nichts.

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