Olympia:Warum schauen wir uns das an?

Olympia: Einschalten oder nicht? Die Zuschauer begegnen dem olympischen Spektakel mit ambivalenten Gefühlen.

Einschalten oder nicht? Die Zuschauer begegnen dem olympischen Spektakel mit ambivalenten Gefühlen.

(Foto: AP)

Immer mehr Leute haben es satt, dass Sportler dopen und Funktionäre den Sport für ihre Interessen missbrauchen. Trotzdem freuen sich TV-Sender über gute Olympia-Quoten. Wie passt das zusammen?

Von Thomas Hummel

Was ist der Unterschied zwischen Thomas Bach und Barbara Engleder? Es gibt wohl Dutzende, einer flimmerte in den vergangenen Tagen über alle Kanäle: Der eine verwandelt in seinen Reden selbst stinkende Sauhaufen in blühende Landschaften. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) redet sich die Welt emotionslos und kühl zurecht, wie er und seine Freunde es brauchen.

Die andere spricht vor einem Mikrofon so, wie sie es zu Hause in Eggenfelden gelernt hat. Die Chinesin, die Barbara Engleder im letzten Schuss des Luftgewehr-Finals eine Medaille wegschnappte, nennt sie so grimmig wie augenzwinkernd eine "Matz" (bayerisch für Luder). Zu den Umständen im olympischen Dorf sagt sie: "Es regnet aus der Decke. In der Lobby ist seit Tagen ein riesiges Loch. Wir sind hier, um guten Sport zu machen. Da lassen wir uns nicht durch eine Tropfsteinhöhle aus dem Konzept bringen."

Thomas Bach und Barbara Engleder symbolisieren zwei Pole der Olympischen Spiele. Hier die Funktionäre, die sich dem Profit und der Vorteilsnahme verschrieben haben. Dort eine Sportlerin, so ehrlich und echt, wie ein Mensch nur sein kann. Sie verkörpern auch die teils schizophrenen Gefühle der Zuschauer: Einschalten oder nicht? Mitmachen oder bleiben lassen? Engleder oder Bach?

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Viele Leute haben es satt, wie der Sport von den Mächtigen missbraucht wird, wie diese Doper mehr schützen als verfolgen. Sie ekeln sich bei den Berichten aus Rio de Janeiro oder aus Sotschi, wo einfache Bewohner für den Bau von Sportstätten und Hotels aus ihren Häusern vertrieben wurden. Wo die Reichen Millionen verdienen und die Armen bezahlen. Viele entscheiden sich dann aber doch dafür, den Fernseher laufen zu lassen. ARD und ZDF freuten sich an den ersten Tagen über gute Quoten. Wie passt das zusammen?

Jörg-Uwe Nieland, Doktor am Institut für europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung an der Sporthochschule Köln, hat drei Gründe identifiziert. Erstens: "Wenn die Fackel brennt, verdrängt der Zuschauer die schlimmen Geschichten." Mitglieder des IOC sprachen in Rio schon Tage vor der Eröffnungsfeier, die Spiele möchten bitteschön endlich beginnen, damit die Bilder von schönen, jungen Sportlern die Debatten vertreiben. "Das funktioniert auch", findet Nieland. Zweitens "sind wir süchtig nach Erfolg". Die Menschen gerade in Deutschland interessieren sich für den Wettkampf, wollen ihre Landsleute sehen im sportlichen Streit der Nationen. Deshalb sei auch der Medaillenspiegel so wichtig.

Und drittens entstünden für den Zuschauer keine Kosten. Weder am Fernseher noch im Internet, die Ware Olympia wird durch die Gebührengelder für die öffentlich-rechtlichen Sender abgedeckt. Die muss man zahlen, ob man nun zuguckt oder nicht.

Gunter Gebauer, Professor für Philosophie und Sportsoziologie an der FU Berlin, ist da skeptischer. "Der Sportfan ist bereit zu leiden", sagt er, doch er stelle auch einen gewissen Widerwillen fest, noch hinzuschauen. Zumindest bei einzelnen Sportarten. Gebauer, 72, nennt ausdrücklich die Leichtathletik, die er nicht mehr kritiklos akzeptieren will.

Die tägliche Helden-Produktion

Dabei war er selbst ein ambitionierter Weitspringer, als 20-Jähriger landete er bei 7,30 Meter. Erst der Jahrhundertsprung von Bob Beamon bei Olympia 1968 auf 8,90 Meter hat ihm den Mut geraubt, es einmal ganz nach vorne zu schaffen, er konzentrierte sich fortan auf sein Studium. Die Leistungen heute aber stünden für ihn zu stark unter Manipulationsverdacht.

Wenn bald Usain Bolt seine nächsten Goldmedaillen gewinnen will, dann "schauen die Leute aus Neugier zu, aus Schaulust, ob er es noch einmal schafft", glaubt Gebauer. "Aber die Macht der Bilder führt nicht dazu, dass man den Verstand ausschaltet." Das Misstrauen bleibe.

Auf anderen Ebenen hält er die Olympischen Spiele weiterhin für eine "großartige Angelegenheit". Zum einen aus anthropologischer Sicht: Es sei hochspannend zu beobachten, wie sich die Sportler aus allen Ecken der Welt schlagen, wie sie aussehen, wie sie auftreten, wie sie ihre Aufgaben angehen, was für Typen erscheinen. Nieland nennt es den Faktor "Exotik". Zum anderen gebe es viele Sportarten am Rande des Amateurstatus.

"Der Sport ist für alle da"

Entscheidend für den großen Erfolg Olympias ist aber die tägliche Helden-Produktion. Einen wie den Turner Andreas Toba aus Hannover, der seiner Mannschaft trotz Kreuzbandrisses ins Finale verhalf. Tragische Helden wie Jacob Heidtmann, der deutschen Rekord schwimmt und dann disqualifiziert wird. Aber auch echte Sieger, auf die Deutschland noch warten muss bei diesen Spielen.

"Wenn die Sportler dann so großartig sind und Helden werden, Lichtgestalten, da will man nicht gleich an Betrug denken", sagt Gebauer zu Thema Doping. Da gebe es beim Zuschauer einen inneren Widerstand, denn das wäre halt doch zu bitter. "Ach Gott, wenn die jetzt auch noch dopen, das darf nicht wahr sein." Der Wunsch im Menschen, sich Vorbilder nicht kaputt machen zu lassen, sei sehr groß. "Der Sport ist für alle da, er hat eine utopische Kraft. Die will man sich nicht völlig zerstören lassen."

Ist der Sport also unantastbar? Können sich die Männer in ihren Anzügen jede Unappetitlichkeit leisten, wie die Whistleblowerin Julia Stepanowa unter billigen Vorwänden auszusperren? Ohne dass das IOC-Geschäftsmodell beschädigt wird? Der Druck in Rio de Janeiro ist groß, endlich etwas zu ändern. Jörg-Uwe Nieland nennt die Lage Olympias "dramatisch". Noch deutet sich der Wandel allerdings nur zart an. Denn die Mächtigen des Olymp können sich darauf verlassen, dass ihre Sportler selbst die größten Schweinereien für ein paar Tage überstrahlen.

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