Rio 2016:Wenn Olympia kippt

2016 Rio Olympics - Closing Ceremony

Übergabe an Tokio: Gouverneurin Yuriko Koike schwenkt die olympische Fahne für die Spiele 2020.

(Foto: REUTERS)

Die Spiele in Rio haben Olympias bekannte Probleme der Kungelei, der Schiebereien und der Manipulation vorgeführt. Aber eines war neu: Die Sportler revoltierten. Das stellt einiges infrage.

Kommentar von René Hofmann, Rio de Janeiro

Unter den Gastgebern war die Nervosität vor Beginn der Olympischen Spiele groß. Viele Brasilianer fragten sich: Schaffen wir es, dem größten Sportfest der Welt eine würdige Bühne zu bieten? Ausgerechnet jetzt, mitten in einer Wirtschafts- und Regierungskrise? Einer trat den Fragen beruhigend entgegen: Marco Balich, einer der olympischen Zeremonienmeister. Sein Versprechen: Sorgt euch nicht! Alle Kritik, alle Probleme werden irgendwann in Vergessenheit geraten; das Einzige, was sich dauerhaft in die Erinnerung senkt, sind die besonderen olympischen Momente - und auch die Rio-Spiele werden, versprach Balich, solche Momente hervorbringen.

Er hat recht behalten. Denn wenn sich 10 000 Athleten in 306 Wettbewerben um 918 Medaillen streiten, sind Triumph und Dramen, Tränen und Jubelschreie programmiert. Und so haben die Olympischen Spiele in Rio sportlich nicht enttäuscht, sondern spannende Wettkämpfe hervorgebracht. Sie haben wieder einmal in Erinnerung gerufen, dass es auch faszinierende Wettbewerbe gibt, bei denen nicht 22 Spieler einen Ball jagen.

Usain Bolt ist auf wundersame Weise zum dritten Mal dreimal vorausgesprintet, Wunderschwimmer Michael Phelps hat weitere sechs Medaillen gefischt. Der 30-jährige Jamaikaner und der 31-Jährige Amerikaner waren - noch einmal - die herausragenden Figuren dieser Olympischen Spiele. Ob sie es aber auch bleiben werden? Bis zur Auswertung der letzten Nachtests aller Dopingproben in einigen Jahrzehnten bleiben alle Siegerlisten vorläufig.

Dauerhaft in die Erinnerung senken wird sich ein anderes Bild von diesem Sportfest, eines, das keinen Sportler zeigt, sondern einen Sportplatz: das Maria Lenc Aquatics Centre, das Schwimmzentrum. Auf seltsame Weise verfärbte sich das Wasser in einem der Becken dort über Nacht - von einem strahlendem Blau zu einem trüben Grün.

Angeblich war bloß bei der Dosierung der Reinigungs-Chemie etwas schiefgelaufen, am Symbolgehalt ändert das jedoch nichts. Das grüne Wasser steht für die Organisationsprobleme, die es in Rio gab; es steht dafür, dass diese Probleme auch die Athleten erreichten - und es lässt sich noch größer deuten, als Sinnbild für das Ganze: Die Spiele müssen aufpassen, dass sie nicht umkippen.

Die Party war teuer

Kungelei, Leistungsmanipulationen, Preisrichterschiebereien: Viele Probleme, die Olympia schon lange hat, waren in Rio erneut zu besichtigen. Das irische IOC-Mitglied Patrick Hickey wurde festgenommen; ihm wird Schwarzhandel mit Eintrittskarten vorgeworfen. Der kirgisische Gewichtheber Isat Artykow ist seine Bronzemedaille schon wieder los; er wurde des Dopings überführt. Beim Boxen wurden etliche Preisrichter heimgeschickt; ihre Urteile hätten "nicht dem erwarteten Niveau entsprochen" heißt es offiziell.

Die Party war teuer. Was der Stadt und dem Land von ihr bleibt, lässt sich noch nicht sagen. Abgerechnet wird erst, wenn die Paralympischen Spiele vorbei sind. Im Moment sieht es so aus, als bliebe sicher nur eines: ein mächtiger Schuldenberg. Aber auch das ist nichts Neues.

Die Entwicklung kann Bach nicht gefallen

Neu hinzugekommen ist bei diesen Spielen ein ganz anderes Spannungsfeld. Eines, das im Kern des Geschäftes ankert: Die Sportler revoltieren. Viele sind nicht länger bereit zu schweigen, wenn ihnen Betrüger begegnen. Der junge australische Schwimmer Mack Horton klagte öffentlich seinen übel beleumundeten chinesischen Rivalen Sun Yang an, die 19-jährige Amerikanerin Lilly King setzte sich neben die bereits in drei Dopinggeschichten verstrickte Russin Julia Jefimowa und sagte: Sie sollte gar nicht hier sein!

Ähnliches wird vereinzelt inzwischen sogar über den Chef gesagt. Nicht wenige Athleten sind zornig darüber, wie Thomas Bach als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees den Skandal um das Staatsdoping in Russland behandelt hat, auf welchen Schmusekurs er zu den Gastgebern der letzten Winterspiele ging und wie offen diese in Rio schon wieder ihre Muskeln spielen ließen. Die von den Wettbewerben verbannte Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa wurde in die Athletenkommission und damit ins IOC gewählt. Sie fand 1365 Unterstützer, was eindrucksvoll zeigt, wie tief der Riss ist, der die Hauptdarsteller spaltet.

Die Entwicklung kann Bach nicht gefallen. Seine ersten Sommerspiele als Präsident waren die ersten Spiele in Südamerika überhaupt: Der gewagte Schritt glückte leidlich. Aber schon in zwei Jahren steht in Pyeongchang das nächste Wagnis an; Südkorea ist in vielen Wintersportarten ungeübt. Im Sommer 2020 geht die Asientour in Japan weiter, 2022 sollen die Chinesen in Peking Wintersport kennenlernen. Der olympische Wanderzirkus rumpelt auf schwierigen Pfaden weiter. Jetzt auch noch mit entzweiten Artisten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: