Süddeutsche Zeitung

Ringer Frank Stäbler:Glaube versetzt Schmerzen

Frank Stäbler, dreimaliger Weltmeister im Ringen, hält trotz seines Alters und einer Verletzung an seinem Plan fest: Zum Karriereende will er Olympiasieger werden.

Von Volker Kreisl

Die meisten Sportkarrieren enden unspektakulär. Ein letztes Spiel, ein finaler Kampf, irgendwo im Alltag des Sports. Vielleicht gibt es noch einen Blumenstrauß, einen Händedruck, Dank an alle, Tschüss. Der Ringer Frank Stäbler plant sein Karriereende anders. Er strebt nochmal nach dem Höchsten, er will's nochmal wissen.

Die Goldmedaille in Tokio, darum geht es, und dafür befindet er sich gerade in einem extralangen Olympia-Anlauf, mit vielen schönen Momenten, aber auch einem Haufen Probleme. Stäbler, 31 Jahre alt, liebt das Ringen und die große Bühne, die die runde Matte seit 17 Jahren für ihn darstellt, auf der er dreimal Weltmeister, zweimal Bronzegewinner und zweimal Europameister wurde, und doch rutscht ihm das, wenn auch mit ironischem Unterton, raus: "Langsam bin ich zu alt für den Mist."

Es ist ja auch nicht ganz einfach, und das seit 17 Jahren. Ringen ist ein spezieller Sport, und wenn man etwas Pech hat, dann beinhaltet er beides: eine Qual und höchstes Glück. Man verbringt vor dem Kampf zwei Tage hungernd, schwitzend und taumelnd in der Sauna - stets in der Hoffnung, dass einen die Waage dann überhaupt antreten lässt. Und wenn der Athlet rechtzeitig zu Kräften kommt, dann ringt und hangelt er sich von einem K.-o.-Kampf zum nächsten, oder er scheidet in irgendeiner Runde aus, weil er auf einen jener wenigen Kämpfer trifft, die ihm eben gar nicht liegen, oder wegen Pechs oder Schmerzen. Trotzdem glaubt Stäbler an Gold. Er sagt: "Wenn ich nur zu einem Prozent zweifle, kann ich mich nicht zu hundert Prozent motivieren."

Mit Atemtherapie: Die Corona-Nachwirkungen hat er überwunden

Seit der Olympiaqualifikation Ende 2019 glüht in Stäbler nun dieser Wunsch nach dem letzten großen Erfolg, und die Hitze lässt nicht nach. In seinem zum Ringer-Raum selbstausgebauten Kuhstall auf dem Bauernhof seines Vaters hat er seitdem trainiert, wenn immer es ging. Sein Partner ist der iranische Flüchtling und hochkarätige Ringer Abdolmohammad Papi, die beiden haben sich täglich gegriffen, gehebelt, herumgerissen und geworfen. Obwohl - auch nicht immer, denn da war ja diese Verletzung, die sich so lange hinzog wie ihr Name: Schultereckgelenkssprengung.

Als Tokio noch im Sommer 2020 stattfinden sollte, hat Stäbler kaum Schmerzen in der Schulter verspürt, doch das änderte sich abrupt nach der Olympia-Verschiebung um ein Jahr. Da war ja plötzlich viel Zeit zur Entspannung, "mein Körper war komplett runtergefahren", berichtet Stäbler. Und, falls die Spiele tatsächlich stattfinden, drängt die Zeit schon allmählich wieder, aber seine Schulter tut ihm trotz aller Behandlungsversuche weiterhin weh.

Immerhin - von Corona ist er kuriert, sagt Stäbler, "diesbezüglich bin ich wieder hundertprozentig fit." Im Winter hatte er sich angesteckt, was ihn mehr als 20 Prozent seiner Leistungsfähigkeit kostete. Stäbler war zwischendurch kaum in der Lage, eine Kerze aus einem Meter Entfernung auszublasen. Ein befreundeter Coach, der sich auf Atemtraining spezialisiert hat, konnte ihm helfen. Eine Stunde am Tag hatte Stäbler an seinen Lungenkräften gearbeitet, nun ist er wiederhergestellt. Es war Glück, die richtige Beziehung und vielleicht half Stäbler auch sein Fernziel, Gold in Tokio.

31 Jahre, das ist nichts, könnte man meinen. Doch in Ringerdimensionen ist man da schon fast ein Rentner. 95 Prozent seiner Gegner, schätzt Stäbler, seien jünger. Und, was er täglich an seinem jüngeren Trainingspartner bemerkt, ist die Tatsache, dass sie auch schneller regenerieren. Das ist ein unschätzbares Plus an einem langen, schlauchenden olympischen Wettkampftag, wie es der 4. August 2021 für Stäbler sein wird. Aber natürlich, wie im sonstigen Leben so verhält es sich auch im Ringen: Das Alter bringt auch Vorteile.

Ein Zustand reinen Bewusstseins, das ist sein Ziel in Tokio

Stäbler hat eine viel größere Trickkiste, als seine jungen, noch unverletzten und kraftstrotzenden Gegner. Er kann spontan auf Situationen reagieren, die Taktik umstellen. Und wer weniger Kräfte hat, der versteht es auch, sich diese einzuteilen. Als junger Ringer könne es einem passieren, dass man schon vom ganzen Drumherum bei Olympia derart in Bann geschlagen ist, dass die Aufregung empfindlich stört. "Dann baut sich zu viel Adrenalin auf, die Muskeln übersäuern und man ist schon nach ein, zwei Minuten platt", weiß Stäbler. Er selber hofft durch seine Erfahrung aufs Gegenteil, "auf einen freien Geist im Wettkampf, einen weiten Blickwinkel, und den Fokus aufs Wesentliche". Und dann auf einen Satori-Moment.

Ein Zustand reinen Bewusstseins, Zen-Buddhisten nennen ihn so, und Stäbler hat ihn wenige Male im Wettkampf schon erlebt, etwa bei seinem WM-Sieg 2015. Alles wird brillant deutlich, kein Zuschauerlärm dringt mehr durch die Konzentration. Die Möglichkeiten im Kampf liegen klar vor einem, alles andere ist schwarz, sagt Stäbler, "du bist hundertprozentig du selbst." Dieser Zustand könnte also den Unterschied ausmachen. Eher kein Satori-Moment ist allerdings die Tortur des Abkochens. Weil seine Gewichtsklasse gestrichen wurde, muss er rund acht Kilo loswerden, was derart anstrengend ist, dass er diesmal, vor seinem letzten großen Kampf, kein Test-Abkochen mehr durchführen wird.

Es bleiben somit doch einige Unwägbarkeiten in Stäblers letztem großen Plan. Immer kleiner ist die Wahrscheinlichkeit in den vergangenen Monaten geworden, dass ihm der Sieg gelingt, aber Stäbler lässt sich nicht beirren, und weil er an den Sieg glaubt, kann er sich täglich motivieren. In seiner Laufbahn hat er ja schon gezeigt, was der Wille alles schaffen kann, und auch jetzt hält er daran fest. Alles bleibt noch möglich, wirklich, bis ganz zum Schluss.

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