Süddeutsche Zeitung

Ringen:Wenn ein Ringer auf Zuruf verliert

  • Bei der U23-Weltmeisterschaft im Ringen verliert der Iraner Alireza Karimi-Machiani nach Zuruf seines Trainers.
  • In der nächsten Runde hätte er gegen einen Athleten aus Israel antreten müssen. Iranischen Sportlern aber ist es verboten, gegen Israelis anzutreten, weil das Regime den Staat Israel nicht anerkennt.
  • Der Präsident des Ringer-Verbandes hatte den Boykott kritisiert. Nun ist er zurückgetreten - und deutet an, dazu gezwungen worden zu sein.

Von Paul-Anton Krüger

Rasoul Khadem hat sein Leben dem Ringen verschrieben, in seinem Heimatland Iran eine der populärsten Sportarten. In seiner Kindheit in Maschhad wurde er von seinem Vater trainiert, 1991 gewann er bei den Jugendweltmeisterschaften Gold. Seine Karriere krönte er mit den Weltmeistertiteln in den Jahren 1994 und 1995 sowie dem Olympiasieg 1996 in Atlanta im Freistil-Kampf der Gewichtsklasse bis 90 Kilogramm. 2012 wurde er technischer Direktor der iranischen Nationalmannschaft und Cheftrainer der Freistil-Ringer. Im Januar 2014 wählte ihn der Iranische Ringer-Verband zu seinem Präsidenten; vor zwei Monaten wurde er einstimmig in dieser Position bestätigt.

Nun, berichten Staatsmedien, habe er sich "zurückgezogen". Khadem selbst deutete an, dass er zum Rücktritt gezwungen worden sei. "Manchmal ist Rücktritt der beste Auftritt", schrieb er am Mittwoch laut der Nachrichtenagentur Isna in einer Presseerklärung - auf den Grund geht er darin nicht ein.

Schon einmal musste Karimi-Machiani in einem ähnlich Fall einen Kampf verloren geben

Khadem hatte jedoch den Boykott der Islamischen Republik gegen Sportler aus Israel kritisiert - eine Ungeheuerlichkeit für iranische Verhältnisse, gehört die Feindschaft zu dem offiziell nur als "zionistisches Gebilde" geschmähten Land doch ungebrochen zu den ideologischen Grundfesten des Regimes. "Einen Athleten zu zwingen, eine Niederlage hinzunehmen, oder die ganze Nacht herumzulaufen, um ein ärztliches Attest zu bekommen, ist nicht richtig", kritisierte er und forderte von der iranischen Regierung eine "grundlegende Lösung des Problems".

Auslöser der aktuellen Kontroverse war ein Kampf bei der U23-Weltmeisterschaft im November in Polen. Der Iraner Alireza Karimi-Machiani lag im Achtelfinale gegen seinen russischen Gegner Alikhan Zhabrailov, den späteren Sieger des Turniers, mit 3:2 Punkten in Führung. Dann aber rief sein Trainer Hamidreza Jamschidi ihm zu, den Kampf zu verlieren. Beim ersten Mal schüttelte Karimi-Machiani noch den Kopf, beim zweiten Mal ließ er sich von seinem verdutzten Gegner durch den Ring wirbeln, um schließlich mit 3:14 Punkten zu verlieren.

Der Grund für den Zuruf: Der nächste Gegner wäre Uri Kalaschnikow aus Israel gewesen. Iranischen Sportlern aber ist es verboten, gegen Israelis anzutreten, weil das Regime den Staat Israel nicht anerkennt. Schon einmal, im Jahr 2013, musste Karimi-Machiani deswegen einen Kampf verloren geben. Auf Instagram postete er ein Video, wie er im Dunklen eine Straße in Polen entlangläuft, die Kamera auf den Boden gerichtet. "Stille ist die letzte Festung, ihr könnt uns unser Recht nicht nehmen", lautet der Text des Liedes, das im Hintergrund läuft.

Später äußerte sich Karimi-Machiani doch noch in einem Interview mit Isna: "Ich habe monatelang hart trainiert, um eine Goldmedaille zu gewinnen, und ich hätte locker gewinnen können", sagte er. Zwar verstehe er die Position seiner Regierung gegenüber Israel, aber "ist es nicht auch Unterdrückung, wenn unsere Regierung erneut meine harte Arbeit untergräbt?", fragte er.

Irans Oberster Führer Ali Khamenei belobigte Karimi-Machiani in einer Erklärung dafür, den Kampf verloren gegeben zu haben. Wer das Verbot durchbricht, muss mit ernsten Konsequenzen rechnen: Im August waren zwei Fußballer von der Nationalmannschaft suspendiert worden, weil sie für den griechischen Klub Panionios Athen gegen Maccabi Tel Aviv angetreten waren. Ehsan Haji Safi entschuldigte sich und durfte wieder spielen. Der Kapitän der Mannschaft, Masoud Schojaei, wurde zunächst ausgeschlossen. Im Januar bat er Nationalcoach Carlos Queiroz, ihn für die Weltmeisterschaft wieder zu nominieren; der Nationale Sicherheitsrat sollte seinen Fall beraten.

Karimi-Machiani wurde vom Internationalen Ringerverband UWW für sechs Monate gesperrt, sein Trainer für zwei Jahre. Eine Entscheidung, ob Irans Ringer für ein Jahr von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen werden, steht noch aus. Auch die Fußballer hatten offenbar ähnliche Konsequenzen befürchtet.

Khadem, der Ringer-Chef, wusste, welchen politischen Wirbel seine Äußerung verursachen würde. Er war Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees, Stadtrat in Teheran und wurde als möglicher Sportminister gehandelt; sein Bruder Amir Reza, auch ein Ringer, war Parlamentsabgeordneter und Vize-Sportminister. Im Verband traten nach dem Rückzug des Präsidenten geschlossen die Funktionäre zurück. "Khadem hat sich für das Ringen geopfert, und nachdem er zurückgetreten ist, hat es für uns keinen Sinn, im Amt zu bleiben", sagte einer. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Staatsführung deswegen von ihrem Israel-Boykott abweicht. Khadems Karriere dürfte ohnehin beendet sein.

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SZ vom 02.03.2018/chge
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