Ringen bei Olympia:Überlebenskampf macht erfinderisch

BESTPIX Olympics Day 10 - Wrestling

Ringen bei Olympia 2012 In London.

(Foto: Getty Images)

Ringen will um jeden Preis olympisch bleiben. Dafür startet der Weltverband nach Jahren des Stillstands tiefgreifende Reformen. Neue Regeln sollen bewirken, dass Taktik weniger belohnt wird - und die Kämpfer im Ring wieder mehr riskieren.

Von Thomas Hahn

Manfred Werner sitzt am Pfingstmontag vormittags schon wieder bei der Arbeit: Aufarbeitung seiner jüngsten Reise als Präsident des Deutschen Ringerbundes (DRB), auf der er zusätzliche Hoffnung eingesammelt hat für seinen angezählten Sport. Seit das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Februar empfohlen hat, die Uralt-Übung Ringen aus dem Programm für die Sommerspiele 2020 zu hebeln, ist die Szene in Aufruhr und macht mit vereinten Kräften Werbung für die eigene Sache.

Der Zuspruch aus Politik und Kunstbetrieb ist groß, auch weil es einige bekannte Leute gibt, die selbst mal Ringer waren und die kulturelle Bedeutung des Kampfes mit bloßen Händen sehr gut in Worte fassen können, allen voran der US-Schriftsteller John Irving. Manfred Werner hat das optimistisch gestimmt, aber natürlich weiß er, dass das alles nichts hilft, wenn die Ringergemeinde nicht wirklich etwas verändert an ihrem Sport. Und genau diese Reformen hat der Weltverband Fila am Samstag in Moskau verabschiedet, und zwar mit sofortiger Wirkung unter der Führung des neu gewählten Fila-Präsidenten Nenad Lalovic aus Serbien, bei dem Manfred Werner ein gutes Gefühl hat, denn: "Er hat sehr viel bewegt."

Es ist schon erstaunlich, wie rege ein alter Verband plötzlich werden kann, wenn es um seine Existenz geht. Wobei fast noch erstaunlicher ist, wie unbeweglich und unnahbar die Fila war, bevor das IOC das Ringen auf seine Streichliste setzte. Raphael Martinetti, ein aufbrausender Schweizer, bis zum vorläufigen Olympia-Aus Präsident, scheint die Geschicke seines Sports zuletzt vor allem mit Gottvertrauen geführt zu haben. Für Entwicklungen und Gedankenlinien anderer kann er sich jedenfalls nicht interessiert haben. Seine Kommunikation mit dem IOC muss spärlich gewesen sein, was kurios ist, weil die Fila-Zentrale in Corsier-sur-Vevey nur 20 Kilometer vom IOC-Sitz in Lausanne entfernt liegt und der Olympia-Status so etwas wie die Lebensversicherung ist für das nicht sehr quotenträchtige Ringen.

"Ich kann's nicht verstehen", sagt Werner. Martinetti konnte seine Gutsherrenart offensichtlich nicht einmal in clevere Sportpolitik packen. "Er war halt doch beratungsresistent, das geht in solchen Positionen nicht", sagt Werner. Wie stur Martinetti ist, zeigte sich auch daran, dass er gegen die außerordentliche Fila-Versammlung mit Neuwahl in Moskau klagte. Vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas kam Martinetti damit nicht durch. Aber wenn er durchgekommen wäre, hätte er seinem Sport damit frontal ins Knie geschossen. Einen Reformkongress zu verhindern, ist nun mal keine sehr hilfreiche Idee im Überlebenskampf einer Sportart, die schon in der Antike olympisch war.

Immerhin, in Moskau hat sich Martinetti zurückgehalten. "Da hat er keinen Zirkus gemacht", wie Manfred Werner es formuliert. Und nun ist also Nenad Lalovic aus Belgrad nicht mehr nur Interimspräsident, sondern richtiger Präsident, gewählt mit 125 Ja- zu sieben Nein-Stimmen, vorerst bis 2014. Nach der bösen Überraschung vom Februar, nach der Martinetti nicht mehr im Amt zu halten war, hat Lalovic sich sofort an die Arbeit gemacht, IOC-Präsident Jacques Rogge und andere Spitzensportpolitiker getroffen und Einsicht gezeigt, was das Zeug hält. Lalovic, 55, stammt aus einer serbischen Diplomatenfamilie, studierte Maschinenbau in Novi Sad und wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann. Zum Ringen kam er, weil sein Sohn damit anfing. Er brachte sich ein, wurde bald Präsident des serbischen Ringerverbandes, assistierte dem langjährigen Fila-Präsidenten Milan Ercegan, der auch aus Serbien stammte, und machte sich allmählich einen Namen als Sportfunktionär.

Lalovic ist ein massiger Mann mit Charisma. Manfred Werner nennt ihn einen "Arbeiter", das Gegenteil von einem Schwätzer. Sein Auftreten zeugt von Selbstbewusstsein, aber ist nicht laut, und er kann sich was einfallen lassen: Nach seiner Wahl schenkte er jedem Delegierten einen Umschlag und sagte, die Person in dem Umschlag sei verantwortlich für den Reformkurs. In dem Umschlag war ein Spiegel. Er sagte: "Ihr seht, wir können nicht vorwärts gehen ohne diesen Plan, ohne eure Hilfe. Ich werde mir den Spiegel in mein Büro hängen, um mich immer an meine Verantwortung zu erinnern. Ich hoffe, ihr macht dasselbe." Und der Reformplan, von dem er spricht, scheint in der Tat dort anzugreifen, wo das Ringen zuletzt eine eher einschläfernde Wirkung fürs Publikum entfaltete.

Die neuen Regeln sollen bewirken, dass die Taktik wieder mehr in den Hintergrund rückt und die Kämpfer mehr riskieren. Vor allem im griechisch-römischen Stil lieferte sich die Elite teilweise ein heilloses Herumgeschiebe. Es gibt keine Gewinnrunden mehr, sondern nur noch zwei Halbzeiten von je drei Minuten Dauer, an deren Ende der gewinnt, der die meisten Punkte hat. Wer passiv ringt, wird härter bestraft, erfolgreiche Techniken werden höher belohnt. Die Unterschiede zwischen Freistil und griechisch-römischem Stil sollen durch die Reformen deutlicher werden. Und abgeschafft ist die seltsame Regel, wonach bei Gleichstand das Los entscheidet, welcher Ringer für die entscheidende Wertung die vorteilhafte Kampfposition einnehmen darf. Nenad Lalovic nennt die Regel abfällig "dieses Casino-System" oder auch "dieses Roulette-System". Es hat ihm offensichtlich nie gefallen.

Das lässt sich ganz gut an. Manfred Werner klingt zufrieden. Auch deshalb, weil ihm in Moskau der Geist unter den Ringerfunktionären gefiel. "Das war ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Aufmarsch, wo man sagt, das ist eine Ringerfamilie." Mit Scharmützeln kämen die Vertreter des bedrohten Kampfsports allerdings auch nicht weiter. Die Lage bleibt schließlich ernst. Am 29. Mai in St. Petersburg muss die Fila das IOC davon überzeugen, dass ihr Sport doch ein Fall für Olympia ist. Die Entscheidung fällt dann im September auf der IOC-Session in Rio. Das Zittern der Ringer ist noch nicht vorbei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: