Süddeutsche Zeitung

Ringen:Ausgekocht

WM-Bronze: Frank Stäbler besiegt Gegner und Pfunde - und fährt trotz verpasstem Gold doch noch zu den Olympischen Spielen 2020.

Von Volker Kreisl, Nursultan/München

Bronze hat für manche einen trüben Glanz. Als Medaille ist es die Bestätigung dafür, dass ein Spitzensportler mindestens einen entscheidenden Kampf verloren hat, und ein Spitzensportler will immer gewinnen. Außerdem ist Bronze gar kein glänzendes Edelmetall wie Gold oder Silber. Bronze ist nur eine Legierung.

Der Griechisch-Römisch-Ringer Frank Stäbler ist zwar auch so ein Weltklassemann, den stets mächtiger Ehrgeiz zu Höchstleistungen treibt, der die vergangenen drei Weltmeisterschaften in seiner Klasse gewonnen hatte und sich über eigene Fehler lange aufregen kann. Aber diesmal war die Situation anders. Ebenso wie sein Teamkollege Denis Kudla gewann Stäbler bei der WM in Kasachstan Bronze, und die Legierung glänzte für ihn wie ein Diamant. "Unfassbar", sagte er.

Mehrere Ursachen liegen diesem Gefühlsausbruch zugrunde, eine schwere Vorbereitungszeit, der große Rückstand von 0:5 Punkten im entscheidenden Kampf um den dritten Platz, vor allem aber die Vorteile dieses Sieges: Stäbler ist nun für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifiziert, was wichtiger werden könnte als die meisten seiner Erfolge davor. Denn auch Ringer, die schon drei WM-Titel gesammelt haben, wollen sich abheben von den anderen, und das geht nur durch eine Medaille bei Olympia. Stäbler, das größte deutsche Ringer-Talent des Jahrzehnts, hatte in London 2012 Platz vier belegt. In Rio 2016 war er Siebter, auch weil er sich mehrmals verletzt hatte, unter anderem an einem Finger, und funktionsfähige Finger sind im Greifsport Ringen wichtig.

Dass er nun in Nursultan gegen den Ägypter Mohamed Elsayed nach einer Aufholjagd noch mit 7:5 gewann und mit Tokio planen kann, das entspannt auch seine Vorbereitung für das Olympia-Jahr 2020. Er erspart sich so die Qualifikationsturniere, die in seinem Fall besonders belastend wären und den Formaufbau gestört hätten. Denn Stäbler ist nicht nur Ringer, sondern auch Experte im Abnehmen aller Art. Im langfristigen wie im brachialen Zwei-Tages-Abnehmen, oder auch im verzweifelten Loswerden letzter Pfunde am Morgen. Er ist ein Hochleistungsabnehmer. Das hat mit einer komplizierten Regeländerung zu tun, deren Ergebnis war, dass Stäbler, der normalerweise 75 Kilogramm wiegt, in der Gewichtsklasse bis 67 antreten muss. Dazu hat er mit ayurvedischer Kost über Monate sein natürliches Gewicht auf 71,5 herabgesetzt, die restlichen viereinhalb Kilo schwitzt er in den zwei Tagen vor dem Wettkampf in der Sauna runter. Wenn er aber Pech hat oder zu viel trinkt wie in Nursultan, dann müssen am nächsten Kampftag, vor dem zweiten Wiegen, doch wieder 800 Gramm weg. Das ist ihm gelungen, und überhaupt hat er nicht nur Bronze und Trainingszeit gewonnen, sondern zudem auch neue Erkenntnisse als Abnehmer. Vor dem Achtelfinale, nach dem nur noch der Umweg zu Bronze übrig blieb, war er einer Müdigkeitsattacke erlegen und "platt", wie er sagt. Das Nickerchen vor dem Kampf dauerte dann 35 Minuten, wodurch sein Körper nicht mehr rechtzeitig hochfuhr: "Ich bin einfach nicht aufgewacht." Als er dann wach war, hatte er 0:11 verloren. Schlafen zur Unzeit, dieser Fehler wird ihm wohl nicht mehr passieren.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2019
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