Ringen:Auf die harte Tour

In Denis Kudlas Gruppe wurde der Großteil der besten Gegner gelost, umso höher ist sein Bronze einzustufen - er selbst sieht sie als Belohnung seines Willens.

Von Volker Kreisl

Irgendwann schließt jemand die Tür, die 20 Ringer sind unter sich. Es ist ein kastenförmiger riesiger Raum, komplett ausgelegt mit einer Spezialmatte, ein Minikosmos nur für den Zweikampf. Nach kurzem Aufwärmen verkeilen sich je zwei ineinander, nach ein paar Minuten wird die Luft dick und riecht schwer nach Schweiß. Zwischen den Einheiten wird heftig geschnauft, die Ringer sind nass wie Schwimmer, sie tasten ihren Puls, dann geht es weiter, bis am Ende Pfützen auf der gesamten Matte verteilt sind. Dieser Kosmos, diese Halle in Schifferstadt bei Mannheim, ist die Welt von Denis Kudla.

"Meine Eltern hatten nichts - jetzt haben sie eine eigene kleine Firma und ein Haus."

Er ist erst 21 Jahre alt, aber er hat nun für einen Moment wieder die Blicke der Deutschen auf eine immer fremdere Sportart gerichtet. Weit weg von Schifferstadt, in der großen Arena Carioca 2 im Olympiapark von Rio, hat Kudla Bronze gewonnen, die erste Olympiamedaille für seinen Verband seit acht Jahren, und drei Jahre, nachdem das IOC diesen uralten Sport, verkürzt gesagt wegen angeblicher Abbruchreife, aus dem Programm werfen wollte. Er hat seinen Trainer Michael Carl und seinen Sportdirektor Jannis Zamanduridis zu kunstvollen Freudentänzen angestiftet und eine beachtliche Anzahl von Print-, Radio- und Fernsehreportern in die Carioca-Mixed-Zone gelockt. Carl sagte: "Was der Denis hier für einen unbändigen Willen gezeigt hat, ist unbeschreiblich." Kudla wiederholte vor allem das eine: "Ich habe zehn Jahre dafür hart gearbeitet, jetzt bin ich ein Teil der Olympia-Geschichte."

Das mit der harten Arbeit sagen danach alle, aber bei Kudla ist es mehr als ein Reflex, es ist eine Lebenseinstellung. Ringen ist Arbeit, zielstrebige Arbeit war schon immer das Motto seiner Eltern, sie wurde auch zu Kudlas Lebenseinstellung, bereits mit elf Jahren im Internat. Denis Maximilian Kudla ist in Polen geboren und als Dreijähriger nach Dasing bei Augsburg gezogen. "Meine Eltern hatten am Anfang nichts, wir lebten in einer Wohnung ohne Möbel, jetzt haben sie eine eigene kleine Firma und ein Haus", sagt er. Ein Fernseher war aber schon bald da, somit sah Kudla als Siebenjähriger erste Olympiabilder, etwa den Einmarsch der Sportler in Sydney. Die Eltern erklärten ihm: "Das gibt es nur alle vier Jahre, die da schreiben Geschichte, das kann nicht jeder."

Nun, in Rio, am Abend vor dem Kampftag der Ringer bis 85 Kilogramm, schien der ganze Aufwand aber schon umsonst gewesen zu sein. In Kudlas Gruppe wurde der Großteil der zehn weltbesten Gegner gelost. Da habe nur noch Galgenhumor geholfen, erzählt Trainer Carl, "wir dachten: Dann halt auf die harte Tour". Kudla scheiterte im Viertelfinale am späteren Olympiasieger Davit Schakvedadze aus Russland und traf in der Hoffnungsrunde auf den konditionsstarken Iraner Habibollah Akhlaghi, schon in dieser Phase brauchte er das, was ihn auszeichnet. Den stillen, unspektakulären und beharrlichen Kampf im Stehen, die ständige Suche nach einem Halt am Oberarm oder Oberkörper des anderen, um einen Wurf anzusetzen, und das Ermüden und Zurückdrängen des anderen in Passivität, mit anderen Worten: klassische Ringerarbeit.

"Ich geb' einfach alles, so, dass ich am Ende am Kotzen und am Sterben bin."

Mit elf Jahren war Kudla ausgezogen, um Ringer zu werden. Sein Bruder, der bereits deutscher Meister war, hatte ihn zum Probetraining mit ins Leistungszentrum nach Schifferstadt genommen, die Trainer waren sofort angetan. Doch die ersten Jahre im Ringerinternat waren auch hart, sagt Kudla. An den Wochenenden war er oft allein, und was macht man da? Man kann Hausaufgaben machen, man kann seine Wäsche waschen, vor allem aber, erzählt Kudla, kann man auch alleine trainieren: joggen, Turnübungen machen, Rolle rückwärts, Rolle vorwärts, die Technik verbessern, danach Ringer-Videos anschauen. Kudla wurde auf Turniere geschickt, mit 16 kam er erstmals auf ein bedeutendes Podest. Bei der Junioren-EM in Warschau wurde er Dritter, und er arbeitete sich weiter nach oben. Sein größter Erfolg vor Rio war die Silbermedaille bei der Junioren-WM vor zwei Jahren in Zagreb. Insgesamt ist dies normalerweise trotzdem zu wenig für eine Olympiamedaille. Das Ringen ist zwar ein für Laien schwer durchschaubarer Sport, aber er ist weltweit mit am meisten verbreitet. Beim Ringen trifft man auf unberechenbare Top-Gegner aus aller Welt, und mit 21 hat man eigentlich noch zu wenig gerungen, für das Niveau bei Olympia.

Doch als Kudla Akhlaghi niedergearbeitet hatte und nach nur 20 Minuten Erholungszeit schon in den Warteraum für den Bronzekampf gerufen wurde, da ging ihm ein etwas martialischer, aber auf seine Weise logischer Gedanke durch den Kopf: "Ich geb' einfach alles, so, dass ich am Ende am Kotzen und am Sterben bin, vielleicht reicht das für eine Medaille."

Es reichte, weil der Ungar Viktor Lorincz zwar einen Kampf weniger in den Knochen und zwei Stunden mehr Ruhepause hatte, weil er zwar zehn Jahre älter war und weitaus mehr Erfahrung hatte, aber wohl nicht den bedingungslosen Willen dazu, Geschichte zu schreiben.

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