Süddeutsche Zeitung

Riesenslalom in Sölden:Entspannt über die Buckel

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Zum Saisonauftakt wird Viktoria Rebensburg Vierte. Die beste deutsche Skirennfahrerin ist zuversichtlich, bald wieder Gejagte statt Jägerin zu sein.

Von Johannes Knuth, Sölden

Als die Skirennfahrerin Viktoria Rebensburg am vergangenen Donnerstag in Sölden eintraf, stellte sie fest, dass der kleine Ferienort in Tirol in diesem Jahr schon wieder ganz anders war. Natürlich nicht Sölden an sich, das lag wie immer zwischen den steilen Hängen der Ötztaler Alpen und sah gemütlich aus. Es war die Ausgangsposition, die sich für Rebensburg vor dem ersten Rennen der neuen Saison verändert hatte, wieder einmal.

Die übrigen deutschen Starterinnen in Sölden verärgern den Alpinchef

Im Oktober 2010, vor ihrem ersten Tagessieg in Sölden, war sie noch als junge Überraschungs-Olympiasiegerin angereist, die zuvor kein Weltcuprennen gewonnen hatte. In den folgenden Jahren schleppte Rebensburg oft ein paar Sorgen zum ersten Winterdienst mit; mal hatte sie sich kurz zuvor verletzt, war erkrankt, hatte das Material des neuen Ausrüsters noch nicht auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. Diesmal reiste sie mit einer nahezu pannenfreien Vorbereitung im Rücken nach Sölden. "Das war sehr entspannt, als ich reingefahren bin. Ich habe es noch gar nicht so sehr glauben können, dass es jetzt wieder losgeht", sagte sie am Wochenende, "gefühlt hat das Weltcup-Finale im letzten März gerade erst stattgefunden." Bei besagtem Finale hatte sie die Weltcup-Wertung im Riesenslalom gewonnen, in jener Übung, mit der in Sölden traditionell die neue Saison eröffnet wird. Rebensburg war jetzt auch die Fahrerin, die seit längerer Zeit wieder als Klassenbeste antrat.

Einerseits verändert sich ein Rennen, wenn einem die Konkurrenz im Vorfeld genüsslich die Favoritenbürde aufschnallen kann. Andererseits blickt die 29-Jährige vom Ski-Club Kreuth längst mit gelassenerem Auge auf den Trubel vor der Saisonpremiere, wenn nicht nur die Fahrer immer angespannter werden sondern auch ihr Umfeld. Rebensburg ließ sich nicht davon beirren, dass Schnee und Kälte die ohnehin steile Gletscherrampe in eine Buckelpiste verwandelt hatten; sie konnte auch verschmerzen, dass nach dem Rennen erst mal die anderen das Podium erklommen: Weltmeisterin Tessa Worley aus Frankreich, die vor Federica Brignone (Italien) und Mikaela Shiffrin (USA) gewann. Rebensburg trennten als Vierte nur fünf Hundertstel vom Podest, nachdem sie im zweiten Lauf fast verunfallt war - da konnte sie zurecht geltend machen, fürs Erste wieder "bei der Musik dabei zu sein". Was nicht nur für diesen Winter gelten dürfte, sondern auch noch ein wenig darüber hinaus.

Regensburg hatte sich nach dem vergangenen Frühjahr eine Ruhepause verordnet; Platz vier im Riesenslalom von Pyeongchang - dank eines Flüchtigkeitsfehlers bei ihren vielleicht letzten Winterspielen - hatte ihrem Gemüt doch zugesetzt. Als sie im Herbst wieder in den Schnee fand, leitete sie aber keine großen Reformen ein, bis auf Olympia hatte sie ja eine starke Saison erlebt, ihr kleines, eigenes Team im Verband hat sich auch längst eingespielt. Jeder, vom Betreuer bis zum Servicemann, habe sich im Sommer gefragt, "was wir noch besser machen können, um den kleinen Schritt voraus zu bleiben", sagte Rebensburg vor Sölden. Eine veränderte Ernährung etwa, um Durchhänger im Winter zu vermeiden, oder ein Zimmer am Stützpunkt in Garmisch, damit Rebensburg sich nach Einheiten dort besser erholt. "Ich bin ja doch schon ein paar Jahre dabei", sagte sie, zwölf Jahre im Weltcup sind es mittlerweile. So langsam, hat sie mal gescherzt, komme sie sich im Team vor wie eine Lehrkraft auf Klassenfahrt, die abends auf die Einhaltung der Bettruhe pocht.

Am Wochenende reiste Rebensburg also als Gejagte nach Sölden. Sie bewältigte den ersten Lauf als Zweitbeste hinter Brignone; im zweiten, in dem Worley, Shiffrin und Brignone sich noch verbesserten, prallte sie auf eine der vielen Bodenwellen im Kurs. "Ich habe schon gedacht, jetzt sind meine Bindung und Ski weg", sagte sie im Ziel. Platz vier war so gesehen ein Mutmacher. Es blieb der einzige für den Deutschen Skiverband in Sölden. Lena Dürr, die Slalomexpertin, hatte in der Vorbereitung zwar vermehrt Riesenslalom-Fahrten geprobt, in Sölden blieb ihr der Zugang zum zweiten Lauf aber verwehrt (38.). Die zuletzt lange verletzte Veronique Hronek (55.) und Andrea Filser (60.) wehte es auf dem extrem schweren Gletscherparcours noch weiter zurück. "Es ist das alte Spiel", fand Alpinchef Wolfgang Maier, "ich weiß auch nicht, was man machen muss, damit die ein bisschen mehr Courage zeigen."

Rebensburg wird also auch in diesem Winter weitgehend allein definieren, ob es gute oder nicht so gute Wochenenden für ihren Verband werden, zumindest im Riesenslalom. Sie ist nicht nur seit zwölf Jahren im Weltcup sesshaft, sondern auch im "besten Skirennläuferinnen-Alter", wie Maier findet. Sie fühle sich, nach manchem Rückschlag, gesund und wohl in ihrem Umfeld sowie mit Chefcoach Jürgen Graller ("macht einen super Job"). Sie hat "schon noch die nächsten Jahre im Kopf", vielleicht bis zur WM 2021. Vom Projekt Gesamtweltcup ist sie etwas abgerückt, sie konzentriert sich auf den Riesenslalom und eine WM-Medaille im kommenden Februar, auch wenn Rebensburg den schnelleren Super-G "nicht hinten runterfallen" lassen will. Die Riesenslalom-Wertung will sie am Saisonende natürlich auch verteidigen. Damit die nächste Anreise nach Sölden ganz ähnlich verläuft wie in diesem Jahr.

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SZ vom 29.10.2018
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