VfL Wolfsburg:Zur großen Laufbahn abgebogen

VfL Wolfsburg: Polyvalenter Anpassungskünstler: Ridle Baku im Spiel gegen Arminia Bielefeld.

Polyvalenter Anpassungskünstler: Ridle Baku im Spiel gegen Arminia Bielefeld.

(Foto: Ina Fassbender/AFP)

Der VfL Wolfsburg ist auf Champions-League-Kurs und trifft im Pokal auf Leipzig. Immer mit dabei: Ridle Baku, der in einem robusten Team für jugendliche Spielfreude steht - und es zur EM schaffen könnte.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Ein bisschen Dolce Vita steht Ridle Baku jetzt schon im Gesicht. Er legt ein lebensbejahendes, strahlendes Lächeln auf. "Wir sind hin und wieder in Kontakt", sagt Baku, der sich den Nachnamen desjenigen, mit dem er jetzt hin und wieder in Kontakt steht, kurzerhand als Vornamen in seinen Pass eintragen ließ. Er wirkt stolz, als er davon berichtet.

Vor nicht allzu langer Zeit kannte Ridle Baku seinen Namensgeber nur aus Erzählungen, aber glücklicherweise lassen sich fußballerische Wissenslücken heutzutage schnell per Youtube-Studium füllen. Er sah einen in himmelblau gekleideten Stürmer, der in den 90er-Jahren die Tifosi von Lazio Rom verzückte und später im schwarz-gelben Trikot von Borussia Dortmund die Champions League gewann. Ausschnitte einer Weltkarriere. Hin und wieder sieht man ihn heute bei den einschlägigen Sportsendern im Studio sitzen: Karl-Heinz Riedle, wallendes Haar, der italophone Charismatiker unter den einstigen Kopfballspezialisten.

Zugegeben, von weltmännischer Erhabenheit ist Baku, 22, noch ein Stückchen entfernt. Aber es gibt nicht wenige Beobachter, die auch ihm eine große Laufbahn als Fußballer vorhersagen. Nicht als Torjäger, wie es einst "Kalle" Riedle war. Sondern als wirbelnder Alleskönner.

An einem Wochentag grüßt Baku per Videoschalte aus der Klubzentrale des VfL Wolfsburg, für den er seit September unter Vertrag steht. Mal schaut er mit nonchalanter Selbstsicherheit in die Kamera, dann wieder verdruckst zur Seite. Die Geschichte um Ridle und Riedle rattert Baku fröhlich runter, auch wenn er eine Erklärung für den fehlenden Buchstaben schuldig bleibt. Sein Vater sei schlichtweg "fußballerverrückt", sagt Baku, im Speziellen war er früher verrückt nach "Kalle" Riedle und Rudi Völler. Also rief er seine beiden Söhne so, Ridle und Rudi, und irgendwann wurden sie halt von allen so genannt. Vor drei Jahren hat Ridle seinen Spitznamen offiziell angenommen. Und inzwischen tauscht er sich wie selbstverständlich mit dem Original-Riedle aus, dem Vorbild seines Vaters.

"Der Absprung nach Wolfsburg war perfekt", sagt Baku

Sich anpassen, das kann Bote Nzuzi Baku, der jetzt eben Ridle Baku heißt, besonders gut. Vielleicht kann er das etwas besser als sein Zwillingsbruder Rudi, der in seinem Ausweis immer noch den Vornamen Makana stehen hat und derzeit bei Warta Posen in Polen spielt. Aber wer weiß das schon genau, am Ende entscheiden nun mal auch Nuancen und kleine Fügungen über einen Karriereweg.

Ridle Baku jedenfalls ist bislang immer richtig abgebogen, zuletzt im September bei seinem Wechsel von seinem Jugendklub Mainz 05 nach Wolfsburg. Angeblich zehn Millionen Euro hat man sich seine Dienste kosten lassen, immerhin der teuerste Transfer der Saison in der Autostadt. Und für Baku das erste Mal, dass er seine rheinland-pfälzische Heimat für längere Zeit verlassen hat. "Der Absprung war perfekt", sagt er heute, und tatsächlich könnte die Suche nach Gegenargumenten zu einem aufwändigen Unterfangen werden.

Nach dem 2:0-Heimsieg gegen Hertha BSC am Samstag steht der VfL auf Platz drei in der Tabelle; seit über 700 Minuten ist die Mannschaft von Trainer Oliver Glasner ohne Gegentor, eine vereinsinterne Bestmarke. So etwas schärft das Anspruchsdenken, sogar beim sonst eher verhaltenen Glasner: Im DFB-Pokal sei jetzt der "Sieg" das Ziel, hat der Österreicher letztens angekündigt, womit nicht nur das Viertelfinale am Mittwoch gegen Leipzig gemeint war.

Die Wolfsburger Erfolgsserie wird häufig recht simpel erklärt: Hinten dicht, und vorne richtet es dann der hünenhafte 14-Tore-Stürmer Wout Weghorst. Im Grunde ist diese Analyse auch nicht falsch, allerdings wird sie der Komplexität dieses Teams nicht gerecht. Alle Teile stehen in einer symbiotischen Beziehung zueinander, der VfL ist ein minutiös durchgetaktetes Kollektiv.

Mit einer Ausnahme dabei immer in der Startelf: Ridle Baku, der polyvalente Anpassungskünstler, der am liebsten auf der "Acht" im Zentrum spielt, beim VfL als Rechtsverteidiger in die Saison startete und nun weiter vorne einen formidablen Rechtsaußen gibt. In diesen wechselnden Rollen hat Baku vier Saisontreffer beigesteuert, er ist der drittbeste Torschütze im Kader des VfL. Vor allem ist er aber derjenige, der in dieser Balleroberungsmaschinerie für juvenile Spielfreude und die archaischen Elemente zuständig ist.

"Ich bin ein Instinktfußballer", sagt Baku

Bei Baku geht immer alles ziemlich schnell, auch der Zufall ist ihm stets ein wohlwollender Begleiter. Als Fußball-Bundestrainer Jogi Löw im vergangenen November aufgrund von Verletzungen etabliertes Personal abhanden kam, wurde kurzfristig Baku nachnominiert. Nur eine Handvoll Spiele hatte er bis dahin für den VfL gemacht, jetzt war er plötzlich im DFB-Team. Bei seinem Debüt gegen Tschechien spielte Baku nach ein paar Minuten Eingewöhnungszeit so erquickt mit, als sei er immer schon dabei gewesen. "Ich bin ein Instinktfußballer", sagt Baku, womöglich hilft ihm genau das bei seinen zügigen Akklimatisierungsprozessen.

Bakus Biographie ist auch eine Erinnerung daran, dass sich nicht alles durchplanen lässt

Deutschland - Tschechien

Als sei er schon immer dabei gewesen: Ridle Baku (rechts) bei seinem Nationalmannschaftsdebüt.

(Foto: Robert Michael/dpa)

In den Debatten um Nach­wuchs­leis­tungs­zen­tren, Lauf­dia­gnostik oder Leistungsoptimierung ist Bakus Biographie auch eine Erin­ne­rung daran, dass sich nicht alles durchplanen lässt. Manchmal geht es auch darum, in den entscheidenden Momenten unbekümmert loszurennen. "Das hatte Ridle schon immer drauf", sagt einer, der es wissen muss: Sandro Schwarz, einst Bakus Trainer in Mainz, mittlerweile in sportlicher Verantwortung bei Dinamo Moskau.

Schwarz, 42, kennt Baku schon, seit er noch ein zwölfjähriger Hüpfer war, später verhalf er ihm zum Profidebüt. Ähnlich wie beim Bundestrainer gab es damals Ausfälle zu vermelden, zur absoluten Unzeit, die Mainzer steckten 2018 tief drin Abstiegskampf. Als der Anruf kam, war Baku schon auf dem Weg zum Spiel der U23, an einer Raststätte an der A5 wurde er abgelassen. "Er hatte gehofft, dass das jetzt kein Witz ist", sagt Schwarz. War es nicht. Baku fand sich plötzlich in der Mittelfeldzentrale neben Nigel De Jong wieder, im wegweisenden Heimspiel gegen Leipzig. Baku traf, Mainz siegte. Eine Woche darauf traf Baku erneut, diesmal gegen Dortmund. In einem Fotofinish hielt Mainz die Klasse.

Letztendlich, findet Schwarz, sei die Sache mit Baku ganz einfach. Da sind einerseits seine fußballerischen Stärken: die Geschwindigkeit, der "super erste Kontakt", so der Trainer, noch dazu habe Baku einen "Körper wie ein einziger Muskelstrang". Vor allem aber gelte es, sich immer wieder auf ein neues Niveau anzupassen, wenn man hoch hinaus will. "Er wächst so schnell an Herausforderungen", sagt Schwarz, weil er sich "aufs Wesentliche" konzentriere: Kicken. Anders als andere junge Fußballer ist Baku zurückhaltend in den sozialen Netzwerken, privates hält er lieber privat.

Am Ende der Videoschalte mit Baku geht es darum, ob er sich selbst zutrauen würde, mit Wolfsburg möglicherweise demnächst in der Champions League und mit der Nationalelf bei der Europameisterschaft zu spielen. Die Antwort: Ja, da sei er sich schon ziemlich sicher.

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