Ribery und die Zähne:Die Wurzel allen Übels

Probleme mit den Zähnen sollen der Grund für Franck Ribérys hartnäckige Verletzungen sein. Für viele Ärzte ist der Zusammenhang zwischen Gebiss und Sportblessuren nicht neu.

Fabian Heckenberger

War es am Ende wirklich nur ein wenig Watte? Haben ein paar vergessene Fasern im Gebiss von Franck Ribéry das monatelange Getöse um den Bayern-Spieler, seine vielen Verletzungen und hartnäckigen Blessuren ausgelöst? Und ist am Ende wieder mal der böse Mann mit dem Bohrer an all dem Leid und den Schmerzen schuld? Aber der Reihe nach.

Ribery und die Zähne: Watte im Kiefer? Franck Ribéry.

Watte im Kiefer? Franck Ribéry.

(Foto: Foto: Getty)

Mitte der Woche machte die Meldung die Runde, der Grund für die diversen Verletzungen des Franzosen sei gefunden: Nach einer Zahnbehandlung habe der Arzt im Kiefer von Monsieur Ribéry Tamponadenreste vergessen. Die hätten verschiedene Leiden im ganzen Körper ausgelöst (Entzündung der Patellasehne, Nagelbettentzündungen, et cetera).

Der Mittelfeldspieler musste zuletzt dreieinhalb Monate pausieren und gab am vergangenen Wochenende gegen Werder Bremen (3:2) ein 21-minütiges Comeback. Der FC Bayern bestätigt nur, dass eine spezielle Untersuchungsmethode namens Kirlian-Fotografie durchgeführt wurde, mit der anhand von Energieströmen versteckte Entzündungsherde aufgespürt werden. Von vergessenen Wattebäuschen und nachlässigen Zahnärzten wollen sie an der Säbener Straße offiziell aber nichts wissen.

So kurios der Fall auf den ersten Blick erscheint, gar so ungewöhnlich ist es nicht, dass die Ursache von gereizten Patellasehnen, schmerzenden Gelenken und entzündeten Nagelbetten bei Profisportlern auf Zahnprobleme zurückzuführen ist. Torwart Jens Lehmann etwa plagte sich in seiner Karriere lange mit Gelenkschmerzen herum, ehe eine Behandlung mit speziell angepasster Gebissschiene Abhilfe brachte.

Der frühere Nationalspieler Carsten Ramelow fand lange Zeit kein Mittel gegen seine Achillessehnenprobleme. Erst als ihm entzündete Backenzähne entfernt wurden, nahmen die Beschwerden ab. Ein Sprecher der Haranni-Klinik in Herne, die die Profis von Schalke 04 zahnmedizinisch betreut, berichtet von einem ähnlichen Fall: Bei Schalkes einstigem Stürmer Emile Mpenza seien entzündete Zähne der Grund für hartnäckige Muskelschmerzen gewesen. Und auch Bastian Schweinsteigers im Jahr 2007 zum Mysterium angewachsenen chronischen Knieprobleme wurden abwechselnd mit einem Zeckenbiss und einer Entzündung im Kiefer erklärt.

"Gelenkschmerzen und Muskelprobleme können ihre Ursachen an ganz anderen Stellen im Körper haben, und das sind häufig die Zähne", sagt Peter Bärtsch, Ärztlicher Direktor der Sportmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg. "Die Zähne selbst schmerzen gar nicht, rufen aber woanders Probleme hervor."

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"Der Feind in meinem Mund"

Der Münchner Zahnarzt Johann Lechner hat dieses Phänomen in seinem Buch "Der Feind in meinem Mund" beschrieben und fordert einen ganzheitlichen Behandlungsansatz, der das Gebiss in die Behandlung von Schmerzen an anderer Stelle einbezieht. Auch Jochen Gruber, Sportmediziner beim Bundesligisten 1. FC Nürnberg sieht diese Notwendigkeit: "Jeder dritte Patient von mir muss ein Kieferpanorama erstellen lassen."

Das heiße nicht, dass bei jedem Zwicken in der Wade gleich der Bindfaden um den Backenzahn gewickelt werden müsse und das Gebiss an jeder Nagelbettentzündung Schuld sei, betont Gruber. "Aber wenn man die Zähne vergisst, kann es schnell passieren, dass Entzündungen jahrelang unentdeckt bleiben, was im Spitzensport Gelenke oder Muskeln beeinträchtigt."

Im Leistungszentrum Nürnberg werden den angehenden Profis deswegen vorsorglich so früh wie möglich die Weisheitszähne entfernt. Deutschlands einst bekanntester Zahnarzt im Fußballgeschäft, der frühere Schiedsrichter Markus Merk, rief Fußballer regelmäßig dazu auf, nicht nur auf die Zähne zu beißen, sondern sich auch um deren Pflege zu kümmern. "Bundesliga-Kicker, die ihre Zahngesundheit vernachlässigen, setzen ihre sportliche Leistungsfähigkeit aufs Spiel", warnte Merk in einem Vortrag vor der WM 2006.

Die Mahnung gilt nicht nur im Fußball: "Ein entzündeter Zahn ist wie ein Giftspeicher, der den Körper ständig mit Toxinen überflutet", sagt der Düsseldorfer Zahnarzt Martin Jörgens, der bei den Spielen 2008 in Peking im Deutschen Haus die Sportler behandelt hat. Laut einer Studie des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) müssen bei Olympischen Spielen bis zu 40 Prozent der Teilnehmer dentalmedizinisch behandelt werden.

Das Tröstliche an dieser hohen Zahl: Die Athleten begeben sich heute in fachmännische Behandlung. Der frühere brasilianische Fußballer Ramalho dagegen nahm seine Zahnprobleme nicht ernst und schluckte einfach in Eigenbehandlung ein Schmerzmittel. Die Schmerzen im Kiefer nahmen danach zwar ab, doch Ramalho lag tagelang mit Magenproblemen im Bett. Die vermeintlichen Schmerztabletten waren Zäpfchen.

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