Rennstall RadioShack-Nissan:Aufstand der Volkshelden

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Sie sind namhafte Radprofis, doch auf ihr Gehalt müssen sie warten: Fabian Cancellara und die Schleck-Brüder vom Team RadioShack-Nissan beschweren sich beim Radsport-Weltverband über Rennstall-Besitzer Flavio Becca. Weil sein Unternehmen angeblich über sieben Millionen Euro Verluste aufweist, droht der Lizenzverlust und Untergang der Mannschaft.

Andreas Burkert

Auch am Freitagmorgen in St.-Jean-de-Maurienne haben sie wieder Plüschteddys erhalten, für ihre Führung in der Teamwertung der Tour de France. Die Souvenirs sind erneut ins Publikum geflogen, und irgendwie passte auch das ins Bild. Denn die in Luxemburg lizenzierte Mannschaft RadioShack-Nissan scheint trotz des schönen Erfolgs in der Spezialwertung abgeschlossen zu haben mit der Tour. Eine Zweckgemeinschaft steuert gerade widerwillig Paris an, so sieht es aus. Denn sie wird es wohl bald nicht mehr geben.

Luxemburgs Radprofi Frank Schleck: Gemeinsamer Protest mit Bruder Andy und Fabian Cancellara soll die unregelmäßige Bezahlung stoppen. (Foto: Getty Images)

Nach der Tour 2011 hatte Teameigner Flavio Becca die spektakuläre Fusion seiner Leopard-Flotte um die Brüder Schleck mit der US-Crew RadioShack des nun mit einer Dopingklage überzogenen Armstrong-Vertrauten Johan Bruyneel betrieben. Gegen den Willen seiner Kapitäne Andy und Frank Schleck. Er wollte "das beste Team der Welt" besitzen, hieß es, bei der Präsentation war Luxemburgs Politik zugegen. Nun droht Beccas Konstruktion der Einsturz. Schon vor der Tour hatte der Weltverband UCI der Agentur dapd die Protestnoten dreier Fahrer wegen unregelmäßiger Gehaltseingänge bestätigt.

Wie angespannt die Lage bei Teameigner Becca wirklich sein muss, legen diese Details nahe: Nach SZ-Informationen handelt es sich bei den Beschwerdeführern keineswegs um Fußvolk des Teams - sondern um die Asse: Luxemburgs Volkshelden, die Schlecks, sowie den Schweizer Fabian Cancellara, der bei der Tour lange das Gelbe Trikot trug. Zudem wandte sich auch der Däne Jakob Fuglsang an die UCI. Dem Vernehmen nach hat mindestens ein Fahrer Beccas Betreibergesellschaft Leopard S.A. verklagt, über eine Privatfirma des Profis.

Mittlerweile machen sogar schon entsprechende Zahlen die Runde: Die luxemburgische Zeitung Tageblatt zitiert aus einem Dokument der Unternehmensprüfungs-Gesellschaft Deloitte, dass in den ersten anderthalb Geschäftsjahren von Leopard S.A. 7.618.109,60 Euro Verlust gemacht worden seien. Daraus folgern die Wirtschaftsprüfer: Wer so hohe Verluste macht, muss von Gesetzes wegen durch den Verwaltungsrat eine Aktionärsversammlung einberufen, die dann über eine mögliche Auflösung abstimmt.

Insider gehen indessen davon aus, dass Flavio Becca die ProTour-Lizenz bald entzogen wird. Er habe sich verheddert in den unendlichen Strängen seiner Kreditlinien, heißt es im Großherzogtum. Die Justiz ermittelt bereits: Verdacht der Unterschlagung von Firmeneigentum. Bei Becca wurden im September 2011 und im Januar 2012 Razzien durchgeführt.

Somit könnte die großspurig annoncierte und alimentierte Supertruppe eher als Lehrbeispiel für die erhebliche Fluktuation der Geldgeber in diesem Metier in die Geschichte eingehen. Auch diese Unbeständigkeit wird häufig angeführt bei den Gründen für das Dopingproblem des Radsports; sie potenziere den Erfolgsdruck. Die Schlecks werden es verkraften, dass ihnen momentan viel Geld zu fehlen scheint; der letztjährige Tourdritte Frank, 32, und sein noch verletzter Bruder Andy, 27, werden auf rund zwei Millionen Euro pro Jahr taxiert. Bei Olympiasieger Cancellara, 31, dürfte es nicht viel weniger sein. Doch die Außenstände summieren sich.

Die Schlecks warteten angeblich oder warten sogar immer noch auf den Gehaltsanteil ihrer Imagerechte, der in Luxemburg gesondert versteuert wird. Sie machen etwa ein Viertel des Gehalts aus. Und da die Teilzahlungen dem Vernehmen nach schon seit der Tour 2011 bis mindestens zweites Quartal 2012 abgegangen sein sollen, dürfte beiden jeweils eine höhere sechsstellige Summe gefehlt haben. Cancellara erhielt bisher sein Gehalt zweimal deutlich verspätet. Verspäteter Gehaltseingang soll bei vielen der rund 80 Teamangestellten die Regel sein.

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Die Frankreich-Rundfahrt ist mehr als nur ein Radrennen: Auf dem weg nach Paris durchqueren die Fahrer herrlichste Landschaften, weite Felder und imposante Berge. Die Zuschauer strömen trotz der vielen Dopinggerüchte weitere an die Strecke - manchmal sogar in eigenartigen Aufzügen.

der Tour

Offiziell ist von niemandem eine Bestätigung zu erhalten. Die Gesprächspartner bitten um Verständnis: Denn öffentliche Äußerungen gäben Becca womöglich Anlass für arbeitsrechtliche Konsequenzen. Ein Mentor einer der drei Topfahrer sagt: "Aber allein ethisch ist das nicht hinzunehmen, so etwas habe ich noch nicht erlebt."

Kurzzeitig im gelben Trikot: Auch Tour-Aussteiger Fabian Cancellara protestiert gegen unpünktliches Gehalt. (Foto: dpa)

Die UCI hat nach dem Fahrerprotest die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young zu Becca geschickt. Er könne zu der Untersuchung nichts sagen, äußert UCI-Sprecher Enrico Carpani, er wisse auch "nichts darüber". Carpani hatte zuletzt die Beschwerden der Fahrer bestätigt. Albert Widgen, 59, Wirtschaftsjurist in Luxemburg und seit Jahren Agent der Schlecks, plädiert ebenfalls für Diskretion.

Aber er erklärt auf Anfrage gern, weshalb er den Verwaltungsrat der Leopard S.A. verließ: "Weil ich mit gewissen Geschäftspraktiken von Herrn Becca nicht einverstanden bin." Derlei Absetzbewegungen nehmen zu, etwa in der Politik des Großherzogtums. Und auch der bisher eher enttäuschende Verlauf der Tour - Frank Schleck ist aus den Top Ten gerutscht und jetzt Zwölfter - dürfte den internen Querelen mit geschuldet sein.

In seiner Heimat gilt der einst für sein Engagement belobigte Becca inzwischen als Skandalnudel. Der Geschäftsmann soll an rund 80 Firmen Beteiligungen halten. Seitdem der Bau eines neuen Fußball-Nationalstadions samt Einkaufszentrum auf Eis liegt, stehen offenbar Kredite und Ausgleichszahlungen zur Disposition. Das beeinflusst offensichtlich auch den Sport. So fehlt der etwa 600.000 Euro teure Catering-Truck des Teams diesmal bei der Tour - der französische Hersteller wartet seit Frühjahr 2011 auf Bezahlung.

"Unsere Ermittlungen in Luxemburg gegen Herrn Becca sind nicht eingestellt, sondern in vollem Gange, das dauert noch einige Monate", sagt Henri Eippers, Justizsprecher im Großherzogtum. Man habe bei den Razzien viele Dinge und Daten mitgenommen; von 180 Rolex-Uhren ohne Belege war auch die Rede. "Das habe ich auch gehört", sagt Eippers.

Was aus dem Team wird? "Becca hat eine Finanzgarantie gegeben, die UCI kann in jedem Augenblick zugreifen", hat Beccas Sprecher Carlo Rock kürzlich gesagt. Ein Teamsprecher erklärte den Zahlungsverzug mit "privaten Gründen", die ausgeräumt seien. Aber wenn Becca doch die Lizenz verlöre, wären sämtliche Fahrer frei. Die Verträge der Schlecks gelten bis 2014, der von Cancellara noch ein Jahr.

Flavio Becca ist zu Beginn der Frankreich-Rundfahrt beim Tour-Prolog in Lüttich gewesen. Über einen Mittelsmann hatte er später zugesagt, anzurufen und sich ausführlich äußern zu wollen. Inzwischen ist Becca auch für den Mittler nicht mehr erreichbar. Am Samstagmorgen meldete sich zumindest Rock noch bei der SZ: Mit dem Team sei alles in Ordnung, "die Mannschaft wird es zu 100% auch nächstes Jahr noch geben."

© SZ vom 14.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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