Rennrodeln:Zurück in den Frühling

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Lang nicht mehr gehabt: Felix Loch bejubelt im Ziel von Igls Laufzeit, Form, Platzierung – und seinen 40. Weltcup-Einzelsieg. (Foto: Matthias Schrader/Ap)

Platz eins: Felix Loch, einst Dauersieger und zuletzt Olympia-Tragiker ist wieder in der Spur.

Von Volker Kreisl, Igls/München

Wer mit einer Geschwindigkeit von 140 Kilometern pro Stunde in einer Schale auf zwei Kufen eine Eisbahn hinunter rattert, der braucht Vertrauen. In seine Lenkfähigkeiten, seine Reaktionszeit, seine Entscheidungen und vor allem auch in seinen Untersatz. Deswegen war es Felix Loch auch so wichtig, kurz vor diesem fabelhaften Saisonstart zu betonen, was sich im Vergleich zu den vergangenen 24 Monaten stark verändert hat: "Ich weiß wieder genau, was unter mir passiert."

Der Berchtesgadener Ausnahmerodler Loch befindet sich schon seit ein paar Jahren in einer schwierigen Phase seiner Karriere. Im ersten Teil der Laufbahn hatte er frei drauflos rodelnd fast alle hinter sich gelassen, aber im zweiten Teil wurde es dann schwierig. Schon vor den Olympischen Spielen in Pyeongchang 2018 fehlte ihm die selbstverständliche Aura des Siegers, er leistete sich Fehler, wohl auch, weil er Familienvater wurde und häufig ins Grübeln kam. Seit zwei Jahren kämpft er um die Rückkehr auf seinen Stammplatz als Rodelprimus, doch die gelang lange nicht. Seit Februar 2019 hatte er keinen Weltcupsieg mehr errungen, und auch der späte WM-Titel 2019 brachte nicht die erhoffte Stärkung des Selbstvertrauens.

Nun ist Felix Loch 31 Jahre alt, und umso überraschender erscheint dieser überragende Einstand in die Saison. Er gewinnt in Innsbruck-Igls, nahezu fehlerfrei, mit mehr als einer Zehntelsekunde vor dem Teamkollegen Johannes Ludwig und dem Italiener Dominik Fischnaller. Loch sagt: "Ich fühle mich sehr, sehr sicher."

Es ist sein 40. Weltcupsieg, und bei aller Vorsicht, die man bei der Einschätzung von Karriere-Spätphasen an den Tag legen sollte, sind Lochs zwei Läufe von Igls eine klare Ansage an die Konkurrenz. Der Olympiasieger von 2010 und 2014 fühlt sich wohl, hat seinen Schlitten im Griff, er ist aus dem Herbst der Karriere ein Stück vorgerückt in seinen zweiten Frühling.

Nachvollziehbar ist dies zunächst deshalb, weil Loch in diesem Sommer pandemiebedingt nichts von dem aufgebürdet bekam, was einem in Phasen knapp hinter dem Zenit Probleme bereiten kann: Termine aller Art, Einladungen, Sponsorenbesuche, TV-Aufnahmen, Interviews und so weiter. Aber diesmal: nichts davon, stattdessen Zeit zum Rodeln. Loch arbeitete an der Athletik und war so oft in der Bahn wie schon lange nicht mehr, "Ich hatte insgesamt rund drei Wochen mehr Trainingstage in diesem Jahr", berichtet er.

Vor allem fand er zurück zu jener anderen Begeisterung, die nicht jeder nachvollziehen kann, die aber einen Teil der Rodler-Existenz ausmacht: das Schrauben. Loch stand wieder häufiger in der Garage, auch zusammen mit dem Schlittenexperten Georg Hackl, und rang um eine bessere und dann noch mal bessere Materialeinstellung. "Ich habe viel am Schlitten gearbeitet, vieles umgestellt, und einiges hat dann gut funktioniert", erklärt er.

Es war somit das Gegenteil der Jahre zuvor. Da hatte Loch unter dem Druck der schlechten Laufzeiten viel riskieren müssen. Er hatte die Kufen immer schärfer und schneller eingestellt, womit die Reibung auf dem Eis zwar abnahm, aber das Fehlerrisiko stieg. Nun steht er erst einmal nicht mehr unter Druck, sondern hat ein stabiles Set-up: "Das Gesamtsystem stimmt", sagt er. Von ganz oben bis unten. Denn, auch das ist ihm wichtig, sein Start zählt wieder zu den schnellsten im Feld, "und das", sagt er, "ist der Grundstein für eine gute Fahrt".

Weil auch andere deutsche Rodler und Rodlerinnen offenbar die Corona-Zeit genutzt haben, können die alte mentale Stärke und der innere Konkurrenzkampf aufblühen. Auch die Frauen schafften, obwohl teils doch sehr beschäftigt, einen Saisoneinstieg ohne Makel. Julia Taubitz (Oberwiesenthal) gewann, die Olympiasiegerin Natalie Geisenberger aus Miesbach, im Mai Mutter geworden, wurde Zweite, und Dajana Eitberger (Ilmenau), im Februar Mutter geworden, kam auf Platz drei. Die Doppelsitzer allerdings blieben hinter ihrem Anspruch zurück. Toni Eggert und Sascha Benecken sowie Tobias Wendl und Tobias Arlt wurden Dritte und Vierte.

Auch sie zählen nicht mehr zu den Einsteigern ihres Sports, sondern geraten allmählich unter Druck, wenn auch noch nicht so wie Felix Loch zuletzt. 2018, auf der Olympiabahn in Pyeongchang, ereilte ihn die bitterste Stunde seiner Laufbahn, als er als Führender im vierten Lauf in der Kurve neun jenen Anfahrtsfehler beging, nach dem er auch gleich hätte aufstehen und aussteigen können, wenn das bei 140 Stundenkilometern möglich wäre. Diese Bahn verzeiht an dieser Stelle keine Fehler, Loch verlor den Rhythmus, schlug rechts und links an. Er fiel nicht nur aus den Podiumsrängen, sondern auch aus seinem sonst so stabilen System aus Kraft, Selbstbewusstsein und der richtigen Technik.

Wie es aussieht, erlangt er das alles gerade wieder.

© SZ vom 30.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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