Süddeutsche Zeitung

Rennrodeln:Rutschgefahr

Das deutsche Männerteam steckt zu Saisonbeginn in einer Formkrise. Sogar Weltmeister Felix Loch kann diese nicht mehr verdecken - er hat gelernt, in kleinen Schritten auf die großen Ziele hinzuarbeiten: die nächste WM und Olympia 2022.

Von Volker Kreisl

Rodeln, das ist eigentlich immer ein Vergnügen. Nicht nur für die Laien auf ihren Schlitten, sondern auch für die besten Weltcuprodler, obwohl sie jede Bahn, jede Kurve schon kennen. Doch auch sie lieben es, sich im Rhythmus der Kurven zu wiegen wie in der Achterbahn, durch Omegabögen oder Kreisel zu jagen, fokussiert auf die nächste Kurveneinfahrt, beschwingt vom Anpressdruck bei 6 g.

Solchen Spaß haben gerade fast alle Nationalteams, vor allem die Österreicher und ihr 22-jähriger Überraschungsführender Jonas Müller - nicht jedoch die Deutschen, und bei denen wohl insbesondere nicht Felix Loch. Der ist dreimaliger Olympiasieger, 13-maliger Weltmeister, aber eben auch schon Vater zweier nicht immer durchschlafender Kinder und mittlerweile Ex-Dominator, jedenfalls im Weltcup. Weiterhin ringt sich Loch ein Lächeln ab, wenn er im Ziel gebremst hat und aus der Sitzschale steigt. Schon beim Weltcupstart vor einer Woche in Innsbruck musste er mit Rang sechs einen Rückschlag verkraften, und nun ging es auch noch nach Lake Placid im US-Bundesstaat New York, auf eine Bahn, deren Mittelteil zwar Devil's Highway heißt, jedoch eckig und anstrengend ist - und somit eher Teufels Rempelpiste.

Bester Deutscher am Sonntag war Max Langenhan auf Rang neun, Loch wurde nur Zwölfter. Die Umstellung auf das minus 17 Grad kalte Eis war den Deutschen nicht gelungen, und vor allem im ersten Lauf beging Loch viele Fehler, angefangen mit einem langsamen Start. Und obwohl die Saison noch jung ist, stellt sich die Frage, ob Loch rechtzeitig wieder der Alte wird, der mit den schnellen Startzeiten und dem Instinkt, der ihn makellos auf der Ideallinie hielt. Der die Sicherheit zurückgewinnt für die weiteren Aufgaben: die Heimweltcups und die Weltmeisterschaft in Sotschi, Mitte Februar.

Wieder besteht die Gefahr, dass Felix Loch in die typische Falle für formsuchende Rodler tappt, eine Art Ü30-Falle. Schon in den vergangenen beiden Saisons ging das so. Irgendwie fand Loch seine Läufe nicht allzu schlecht, war aber zu langsam. Das lag an den Veränderungen im Alter, vielleicht nachlassenden Kräften, vor allem am Start, aber auch an Schlitteneinstellungen. Die Versuchung war groß, Tempo zu gewinnen, indem er die Kufen runder schliff, womit sie weniger Reibung erzeugten und schneller rutschten, aber eben auch schnell in die falsche Richtung. Loch erzählt: "Da kommen dann kleine Fehlerchen rein, man verliert Hundertstel für Hundertstel, im Ziel sind's dann zwei Zehntel, und man weiß im ersten Moment nicht warum."

Dann droht Teufels Kreis: Immer schlechter werden die Resultate, immer höher wird der Druck, die Kufen noch riskanter einzustellen. Vor allem für Loch, den nationalen Vor-Rodler, der seit 2008 Gold gewinnt, und die Erwartungen seines Verbandes erfüllen will, welcher wiederum kraft Tradition und technischer Überlegenheit den Anspruch hat, dauerhaft zu siegen. Nur, immer höheres Risiko zu fahren, das hat Felix Loch seit zwei Jahren herausgefunden, ist der falsche Weg.

In Peking könnte Loch eine Wunde heilen - und seine lange Karriere abrunden

Er wird zwar im kommenden Frühjahr auch erst 30 Jahre alt, aber weil er schon als Teenager Weltklasse rodelte, weil er mit 20 Jahren Olympiasieger wurde, ist er auch schon lange dabei. Er selber macht sich 30er-Gedanken wie: "Man muss akzeptieren, dass man älter wird, das kann man nicht bestreiten." Und Ältere, die entwickeln Geduld bei den Verbesserungen im Fahrsystem, die gehen kleine Schritte, die konzentrieren sich unter Umständen auf wenige Ziele. Auch Norbert Loch, Bundestrainer und Vater, sagt, auf höchstem Niveau zu fahren, "das geht irgendwann nicht mehr ständig".

Das Männer-Rodelteam befindet sich bereits im Umbruch, die nächste Generation muss aufgebaut werden. Daher hatte Norbert Loch vor diesem Winter einigen Top-Kräften nahegelegt aufzuhören, weil er Jüngeren mehr zutraut: Max Langenhan, 20, etwa, auch der 19-jährige Oberhofer Moritz Bollmann, der bei der internen Qualifikation überraschte. Weil die Jüngeren aber noch Zeit brauchen, weil Felix Loch zugleich seine Formkrisen nicht mehr mit der Brechstange bewältigen will, könnte es noch etwas dauern, bis die Baisse im Männerrodeln vorübergeht.

Felix Loch peilt schließlich ein entfernteres und höheres Ziel an: die Olympischen Spiele 2022 in Peking. Dies wird nicht nur ein Rodelfinale, eine weitere Chance auf eine Olympiamedaille, vielleicht aus Gold. Dies wäre auch, wenn alles gut geht, die Abrundung einer langen Karriere. Und zugleich Felix Lochs Konter gegen die Niederlage von Pyeongchang, die so schwer war, weil er sie selbst verschuldet hatte: Nach drei Läufen führend, hatte er im vierten gepatzt und das Podest ganz verfehlt.

Zunächst aber geht es im aktuellen Weltcup nach Whistler, weit im Westen Kanadas, auf die schnellste Bahn der Welt, wo Loch 2010 erstmals Olympiasieger wurde, wo der Spaß vielleicht zurück kommt.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2019
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