Rennrodeln:Die Herde streikt

Rodeln: Weltcup

Außer Kontrolle: Der Russe Alexandr Gobatschewitsch stürzt.

(Foto: David Inderlied/dpa)

"Mehr Flug als Kontakt": Der schlechte Zustand der Bahn beim Weltcup in Winterberg provoziert Stürze und einen beispiellosen Boykott der Athleten.

Von Thomas Gröbner, Winterberg/München

Am Ende hat es in Winterberg auch Sieger gegeben, aber das ist zur Randnotiz geworden. Wichtiger waren beim Weltcup an diesem Wochenende die Rodler, die nicht da waren - und jene, die es gesund ins Ziel geschafft hatten.

Denn schon am Freitag gab es einen Aufstand der Athleten gegen die Entscheidung der Funktionäre, die das Rennen starten wollten. Der beste Deutsche, der dreimalige Olympiasieger Felix Loch, verweigerte den Start. Weltmeister Roman Repilow trat nicht an. Die Mannschaften von Österreich und der USA sagten ab, dazu boykottierten alle deutschen Doppelsitzer das Rennen, ein beispielloser Vorgang im Rodelsport in der jüngeren Vergangenheit.

Man habe in der Bahn "mehr Flugphasen als Kontaktphasen zum Eis", sagte Johannes Ludwig aus Suhl, der trotzdem startete - und in Abwesenheit der Favoriten siegte. "Ich bin glücklich, dass ich an den Start gegangen bin, aber ich respektiere auch die Absagen", sagte Ludwig, 34, nach dem Rennen, in dem Teamkollege Sebastian Bley auf Platz drei fuhr, aber hin und wieder auch ein Schlitten ohne Rodler ins Ziel rutschte.

Denn die Bahn in Winterberg war stark lädiert vom Sturm und Starkregen der vergangenen Tage, freiwillige Helfer und auch 16 Trainer standen zuvor in der Eisrinne und versuchten, den Eiskanal einigermaßen zu restaurieren, um ihre Fahrer zu schützen. "Man muss das kritisch hinterfragen", sagte Thomas Schwab, Sportdirektor beim Bob- und Schlittenverband Deutschland. Man habe zu spät reagiert, "den Vorwurf müssen sich die Winterberger gefallen lassen". Schon im Training gab es Stürze und Tränen von verängstigten Pilotinnen, und auch Sportler, die im Starthaus lieber umkehrten. "Ihr müsst das nicht machen", hatte die deutsche Rodlerin Julia Taubitz den aufgelösten Konkurrentinnen geraten. Schließlich hatte sich der Russe Stepan Fedorow zuvor im Training das Bein gebrochen. Das Urteil von Stephan Pieper, dem Bahnchef in Winterberg, hörte sich vor dem Rennen aber so an: "Wir haben eine fahrbare und sichere Bahn." Der italienische Trainer Kurt Brugger meinte gar: "Wir sind zu verwöhnt. Es wird immer ziemlich viel gejammert."

"Eine absolute Frechheit", sagt die Deutsche Julia Taubitz

So wurde der Start in Winterberg auch zur Gewissensentscheidung, die dann seltene Allianzen schmiedete. Die Weltcup-Führenden Toni Eggert und Sascha Benecken hatten zusammen mit den Dauer-Rivalen Tobias Wendl und Tobias Arlt entschieden, hier in Winterberg nicht die Knochen hinzuhalten. "Wir wollen einen fairen Wettkampf", sagte Tobias Arlt. Auch die Winterberger Lokalmatadoren Robin Geueke/David Gamm verzichteten. Weltmeister-Doppelsitzer Benecken fragte in der ARD: "Sind wir bereit, das Vieh zu sein, das in die Manege getrieben wird?" Felix Loch schickte via Instagram hinterher: "Ich liebe meinen Sport und bin immer bereit, an meine Grenzen zu gehen, aber nicht darüber hinaus."

Anders reagierten die Favoritinnen bei den Frauen: Die beste Deutsche, Julia Taubitz, hatte mit ihrer russischen Rivalin Tatjana Iwanowa entschieden, an den Start zu gehen. Trotzdem sagte sie: "Eine absolute Frechheit, was uns zugemutet wird." Für den Boykott hatte sie Sympathien, auch wenn sie sich nicht anschließen wollte, um die Russin nicht kampflos davonziehen zu lassen. "Den Protest finde ich super, Hut ab vor den Sportlern, die nicht fahren."

Auf einer verkürzten Strecke kam sie auf Rang drei, "50:50", sei ihre Chance gewesen, heil herunter zu kommen. Am Ende stürzte bei den Frauen aber niemand, und Taubitz steht nun mit 27 Punkten Rückstand im Gesamtklassement hinter Iwanowa vor dem letzten Weltcup am Königsee am kommenden Wochenende.

"Wenn man sagt, es ist zu gefährlich, dann kann man das Rennen auch einfach mal absagen. Wir Sportler sind nicht wirklich erhört worden", erklärte Taubitz nach dem Rennen.

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