Servus, das reichte ja schon aus. Wenn man in den vergangenen Jahren in das große, graue Funktionsgebäude des Ingolstädter Fußballvereins FC 04 kam, dann war eines garantiert: dass einem schnell ein "Servus" entgegengeschmettert wurde. Dieses Wort, das aus dem Lateinischen (Sklave, Knecht) stammt, grüßend in etwa "Ich bin dein Diener" bedeutet und das schon aus praktischen Gründen der König des Grußes ist - denn die Menschen, mindestens zwischen Weißwurst-Äquator und Südtirol, benutzen es doppelt: um sich willkommen zu heißen und zu verabschieden. Und das passte zur Szenerie im Funktionsgebäude, wo es auch im Profifußball menschelte, wo aber auch stets alles im Fluss war zwischen Kabinentrakt und Café Herzschlag. Bei einem Verein, der es mit Ambition und regionaler Starthilfe in elf Jahren von der Bayernliga in die Bundesliga schaffte und dort unter dem Geschäftsführer Harald Gärtner und dem Trainer Ralph Hasenhüttl die Gegner überraschte und überwältigte.
Doch so zeitlich nah jene rauschhaften Ingolstädter Fußballtage der Saison 2015/16 sind, so fern fühlen sie sich an. Der Österreicher Hasenhüttl wechselte 2016 nach Leipzig, dann nach England, Gärtner ging im März im Einvernehmen, und am Dienstag stand ihr ehemaliger Klub ein paar Momente lang sogar still, er sagte zum Abschied leise "Servus". Nach dem 2:3 in der Relegation gegen den SV Wehen Wiesbaden startet der FCI erstmals seit zehn Jahren nicht mehr in einer der beiden höchsten Spielklassen.
Der Abstieg in die dritte Liga dient nun nur als Startschuss für ganze Servus-Wochen. Es wird einen riesigen Umbruch beim FCI geben, einige Spieler werden gehen, andere, so hofft man, kommen. Manche Mitarbeiter im grauen Gebäude trifft es vermutlich auch, ihr letztes "Servus" wäre ein deutlich bittereres. "Für die Leute tut es mir natürlich immens leid, weil wir wissen, was da alles dranhängt mit dem Abstieg", sagte Mittelfeldspieler Marcel Gaus, er entschuldigte sich.
Ob der gestandene Zweitliga-Kicker selbst bleibt, ist fraglich, weil der Lizenzspieleretat drastisch sinken wird. Die Leistungsträger der abgeschlossenen Saison, Almog Cohen, Sonny Kittel und Dario Lezcano, scheinen ohnehin unhaltbar zu sein. Der Vorstandsvorsitzende Peter Jackwerth drittelte sein Team bereits vor ein paar Wochen: in Spieler ohne Drittliga-Vertrag, mit Ausstiegsklausel oder mit bedingungslosem Vertrag. Das verheißt einige Weggänge, das halbe Team wird er nach der chaotischsten Spielzeit der 15-jährigen Vereinsgeschichte wohl ersetzen müssen. "Der Verein muss sich viele Fehler ankreiden. Wir haben vier Trainer verbrannt, einen Sportdirektor verbrannt, den Geschäftsführer verbrannt", fasste Jackwerth schuldbewusst zusammen.
Erst soll ein neuer Sportdirektor kommen, dann ein neuer Trainer
Der Kader soll nun verjüngt werden, was dafür spricht, dass U21-Spieler dazukommen könnten. Ihre Mannschaft musste ja mitabsteigen, aus Liga vier in Liga fünf. Komplett vorbereitet scheint der Klub auf das Szenario aber nicht gewesen zu sein. "Mal sehen, ob wir den ein oder anderen halten können", sagte Jackwerth. "Die restlichen Spieler und die, die aus einer Leihe zurückkommen, werden die neue Mannschaft bilden." Er ist Optimist, so richtig wahrhaben wollte der Gründervater einen möglichen Absturz wohl nie, auch wenn er von zweigleisigen Planungen sprach, die Scouts sollen mögliche Verstärkungen auf der Liste haben. Die Leihen von Maximilian Thalhammer (Jahn Regensburg), Charlison Benschop (De Graafschap), Romain Brégerie (Magdeburg), Takahiro Sekine (St. Truiden) und Agyemang Diawusie beim Relegations-Gegner Wehen enden im Sommer.
In der aktuell unsicheren Lage dürften alle den Klub verstärken, es stellt sich nur die Frage, ob etwa der Zweitliga-Stammspieler Thalhammer über eine Rückkehr so glücklich wäre. Das in diesen Tagen noch größere Problem: "Noch wissen wir nicht, wer die Mannschaft führt. Welcher Trainer, welcher Sportdirektor. Das ist alles in der Schwebe." Klingt nach einer Heidenarbeit, nun drängt auch noch die Zeit: Schon am 19. Juli startet die dritte Liga, in zwei Wochen wohl die Vorbereitung. Um die konkurrenzfähige Mannschaft zusammenzustellen, soll erst ein Sportdirektor kommen, der Interimsmann Thomas Linke ersetzt. Ein Trainer wird folgen.
Der fast erfolgreiche Feuerwehrmann Tomas Oral, der den FCI erst mit einer Serie in die Relegation brachte, bleibt jedenfalls nicht. "Der Verein muss sich schütteln, er muss sich neu aufstellen in vielen Bereichen. Ich wünsche ihm bei seinen Entscheidungen das glückliche Händchen", sagte Oral, der dann weit weg vom Café Herzschlag in sein Café Leidenschaft zurückkehrt, das er im Frankfurter Nordend betreibt.
Auch wenn der Umstand in diesem Zusammenhang vielleicht überrascht: Um das Spielfeld im Sportpark herum ist in dieser turbulenten Saison etwas gewachsen, die Anhänger standen in den bitteren Wochen zu ihrem Klub und verabschiedeten ihn mit "Einmal Schanzer, immer Schanzer"-Gesängen. "Ich hoffe, dass wir den Zusammenhalt dauerhaft haben", sagte Jackwerth am Dienstag. "Ich habe das Stadion noch nie so erlebt wie heute. Wenn wir das weiter hinkriegen in der dritten Liga, dann können wir auch da wieder angreifen." Es war Jackwerths leises Servus, in der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der zweiten Bundesliga.