Relegation:Das wahre Drama folgt noch

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Vielleicht die beste Bremer Gelegenheit: Milot Rashica bringt den Ball nach einem Fehler von Heidenheims Torwart Kevin Müller (im Hintergrund) vors Tor. Doch auch die Chance verpufft. (Foto: AP)

Der 1. FC Heidenheim kann dank des leidenschaftlich erkämpften 0:0 weiter vom Aufstieg in die Bundesliga träumen. Werder muss erkennen, dass man nicht immer gegen Köln spielen darf.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Den Bremern muss es vorgekommen sein wie der Überfall einer fremden Macht, den sie nur mit viel Glück überlebt haben. Entschlossen, das scheinbar Unmögliche zu schaffen, fräste sich der 1. FC Heidenheim durchs Weserstadion und zwang den SV Werder dazu, am Ende mit einem eher glücklichen 0:0 zufrieden sein zu müssen. Werder, das ist der Verein, der mal Europacupsieger war, Heidenheim der Klub, der noch vor ein paar Jahren in der vierten Liga spielte.

Sollte es wirklich noch eines Beweises bedurft haben, dass Fußball mal für ein klassenlose Gesellschaft stand, in der jeder seines Glückes Schmied ist: das Hinspiel der Relegation zwischen dem Drittletzten der Bundesliga und dem Dritten der zweiten Liga hat ihn erbracht. Möglicherweise kreuzen sich da zwei Vereine auf ihren unterschiedlichen Pfaden, der eine nach oben, der andere nach unten. Entschieden wird's am Montag, zu erwarten ist ein echtes Drama.

"Das war von uns zu wenig, gar keine Frage", sagte Bremens Trainer Florian Kohfeldt bei DAZN. "Der einzige Vorteil, den wir jetzt haben, ist, dass es erst Halbzeit ist. Wir haben am Montag ein Finale." Werder-Stürmer Niclas Füllkrug meinte: "Wir können mitnehmen, dass wir sowieso heimschwach sind und jetzt das Spiel auswärts gewinnen." Heidenheims Coach Frank Schmidt gratulierte seiner Mannschaft "für den ersten Teil. Wir haben von der ersten bis zur letzten Minute eine sehr disziplinierte Leistung gezeigt und hatten sogar am Ende die besseren Chancen".

Der Bremer Bürgermeister hatte am Morgen noch eine Videobotschaft versendet, es zähle jetzt nur der Klassenerhalt von Werder und sonst nichts, sagte Andreas Bovenschulte (SPD) - und ließ am Rathaus die grün-weiße Vereinsflagge hissen. In der Böttcherstraße im Herzen der Altstadt spielte das Glockenspiel, für das Touristen extra anreisen, zu jeder vollen Stunde das Werder-Lied "Lebenslang grün-weiß". Der 1. FC Heidenheim kam dagegen mit einer einzigen Glocke aus, einer Kuhglocke, mit der sie sehr ihrem Dorfklub-Image entsprechend direkt im Stadion Stimmung machten, unterstützt von einer Tröte, die vielleicht mal im Vereinsmuseum landen wird, wenn Heidenheim eines baut. Mehr Rahmen war nicht möglich für diese maximale Zuspitzung, die der Ligafußball zu bieten hat, die Relegation.

Der Erstligist tut sich schwer, wie so häufig in der Relegation

Die Heidenheimer gingen die Sache so an, wie sie es in der zweiten Liga gelernt haben: körperlich, aggressiv, nervtötend für das auf spielen angelegte Spiel der Bremer. Die Gäste pressten auf dem ganzen Platz, eine aufwendige, aber auch effektive Herangehensweise. Die Bremer kamen so in der ersten Halbzeit zu keinem gelungenen Spielzug, die Heidenheimer zu ein, zwei Kontern. Schon nach einer Viertelstunde sah das aus wie ein richtig schlechtes Fußballspiel, wild und zerfahren. Überlebenskampf auf der einen, Spiel des Lebens auf der anderen Seite. Zur Pause hatte Werder drei Viertel des Spiels den Ball gehabt, aber nichts daraus machen können.

"Wir haben Ballbesitz in Zonen, in denen wir nicht gefährlich sind", sagte Marco Bode zur Pause, der einst 101 Tore für die Bremer geschossen hat und heute den Aufsichtsrat leitet, "wir können mit dem Spiel nicht zufrieden sein." Sehr zufrieden hingegen konnte Frank Schmidt, Trainer der Heidenheimer, die Chancen seiner Außenseiter-Elf waren nach den ersten 45 von mindestens 180 Minuten dieser Relegation vollkommen intakt. Das war das Ziel des Zweitligisten beim Erstligisten: So lange wie möglich sollte noch alles möglich sein. Seine Elf mochte spielerisch unterlegen sein, aber Laufleistung, Sprints, Kopfballduelle: Überall da punktete Heidenheim.

Die Geschichte der Relegation ist zwar traditionell reich an Dramen, aber arm an Fußball. Zwar setzte sich bis auf dreimal immer der Bundesligist durch, aber meistens musste er sich dabei durch den Fleischwolf drehen lassen. Das Spiel in Bremen war ein schöner Beleg dafür, warum schon lange kein Bundesliga-Absteiger einfach so durch die zweite Liga zum Wiederaufstieg gepflügt ist, zuletzt zerschellte der HSV eindrucksvoll daran, sich tänzelnd durch diesen Boxring zu bewegen.

Werder kann nicht immer gegen Köln antreten

Und Werder erfuhr deutlich den Unterschied zwischen einer Mannschaft, die ihr Tor mit dem Leben verteidigt und einer Mannschaft, die der 1. FC Köln ist. Auf dem 6:1 im letzten Saisonspiel ruhten viele Bremer Hoffnungen, der Heimfluch war gebrochen worden, dazu fiel ein tropischer Tor-Regen in die zuvor biblische Tor-Dürre im Weserstadion. Kohfeldt vertraute derselben Mannschaft, die in letzter Sekunde die Relegation herausgeschossen hatte, nur den gesperrten Kevin Vogt musste er durch Philipp Bargfrede ersetzen.

Nach einer Stunde dann schien sich auch der Himmel auf den sich anbahnenden Untergang des viermaligen Meisters einzustellen, mit Donner, Blitz und Wolkenbruch bekam das Spiel zusätzliche Unwägbarkeiten: einen glatten Ball und einen sehr tiefen Rasen. Heidenheim wurde noch mutiger, Bremen noch zittriger, das Spiel unberechenbar - aber nicht besser. Mit einem Dreierwechsel versuchte Kohfeldt, Werders Spiel irgendeine Form von Dynamik zu verpassen, Heidenheim brachte Schnatterer, das feinste Füßchen der zweiten Liga. Die Bälle flogen nun wild durch die Strafräume, ins Tor ging aber keiner. Bei Werder flog vor allem Moisander - mit Gelb-Rot vom Platz (87.).

Er wird in Heidenheim fehlen. Am Ende stand alles wieder auf Anfang, am Montag folgt: das wahre Drama.

© SZ vom 03.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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