Relegation:Frankfurt zürnt wegen Vorgängen um Marco Russ

Eintracht Frankfurt Marco Russ

Nach dem Spiel: Marco Russ verabschiedet sich von den Zuschauern mit seinen Kindern Vida und Moses.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Eintracht-Vorstand Axel Hellmann erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden.
  • Trainer Kovac spricht von Lügen und nennt die Durchsuchungen wegen Drogenverdachts eine "Frechheit".
  • Das Stadionvolk indes feiert den gebürtigen Hessen Marco Russ, der mutmaßlich an Hodenkrebs erkrankt ist.
  • Hier alle Statistiken zum Spiel Frankfurt - Nürnberg.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Wahrscheinlich ist es das Bild, das in Erinnerung bleibt. Kaum ein Zuschauer in der Frankfurter Arena wird die Szene vergessen, in der Marco Russ noch einmal nach Abpfiff des Relegations-Hinspiels zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Nürnberg (1:1) auf den Rasen zurückkehrte. In der einen Hand seinen fünfjährigen Sohn Moses, in der anderen seine dreijährige Tochter Vida.

Beide trugen ein Eintracht-Trikot mit der Nummer vier, auf dem Rücken der Name Russ. Über die kleinen Ohren hatten sie große Kopfhörer gestülpt, denn der Lärm in der Arena war ja nun wirklich ohrenbetäubend. "Kämpfen, Marco, kämpfen!" brüllte unentwegt die Fankurve, ehe sich noch einmal Applaus regte. Und wie stand auf dem Plakat? "Kämpfen & Siegen Marco!"

Es waren die Botschaften des Tages für den 30-Jährigen, der seinen schwersten Kampf noch vor sich hat. Dann nämlich, wenn er sich in Kürze der zwingend nötigen Operation unterzieht, nachdem eine Tumorerkrankung - mutmaßlich Hodenkrebs, da sind sich alle Experten einig - infolge einer Dopingkontrolle diagnostiziert wurde.

Als wäre das nicht schon tragisch genug, trieb der Hauptdarsteller das Szenario unfreiwillig auf die Spitze: Erst unterlief dem gebürtigen Hessen nach einem Freistoß ein Eigentor (43.), dann fing er sich seine zehnte gelbe Karte ein (56.), die für das Rückspiel am Montag eine Sperre bedeutet. "Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Eigentor und seiner Vorgeschichte", sagte Vorstandsboss Heribert Bruchhagen hinterher, "Marco hat bewiesen, dass er in der Lage war, das nervlich zu meistern." Zumal er noch froh sein muss, dass der Tumor in seinem Körper überhaupt erkannt wurde.

"Wir müssen der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) dankbar sein, dass sie uns den Hinweis gegeben hat", konstatierte der sichtlich aufgewühlte Bruchhagen, der so etwas nach eigenem Bekunden "in 30 Jahren noch nie erlebt hat". Ohne den Nada-Verweis, dass eine krankheitsbedingte körpereigene Produktion zum erhöhten Ausstoß des Hormons HCG führen könne, wäre der Spieler nicht sofort zum Internisten geschickt worden. Wie Bruchhagen mitteilte, habe sich der Wert über vier verschiedene Proben - zwei Trainings- und zwei Wettkampfkontrollen - in wenigen Tagen sogar signifikant erhöht.

Die Unterscheidung zwischen Krankheit und Doping sei indes zu spät erfolgt - darauf hoben bei der Eintracht sowohl Vorstandsboss Bruchhagen als auch sein Vorstandsmitglied Axel Hellmann und nicht zuletzt Trainer Niko Kovac in sehr scharfer Form ab. Vor allem der Cheftrainer redete sich auf der Pressekonferenz förmlich in Rage. Die Behörden sind durch das neue Antidopinggesetz seit Dezember vergangenen Jahres dazu verpflichtet, unverzüglich Ermittlungen einzuleiten.

"Nur: Dann bekommt man vom Arzt eine Bestätigung, dass Russ erkrankt ist, und trotzdem kommt immer noch jemand und sagt, ich glaube dem nicht", ätzte Kovac. "Und dann wird auch noch erklärt, der Befund des Arztes sei nicht da gewesen. Das ist eine Lüge, das ist nicht die Wahrheit." Und weiter: "Wie das bei uns im Trainingscamp abgelaufen ist, das war eine Frechheit. So kann man das nicht machen."

"Man hat auf einen Mega-Skandal gehofft"

Drei Beamte durchkämmten am Tag vor dem Spiel nicht nur die Kabine und untersuchten den Spind des belasteten Spielers, sondern kamen außerdem ins Teamhotel - und suchten später noch die Privatwohnung auf. Kovac störte sich vor allem im Rückblick, dass die erste Dopingkontrolle nach dem Derby in Darmstadt drei Wochen zurückliegt.

"Wenn ich zum normalen Arzt gehe und mir Blut abnehmen lassen, dann habe ich in 24 oder 48 Stunden mein Ergebnis. Dann ist es doch merkwürdig, wenn es jetzt so lange gedauert hat." Und: Warum würden die Ergebnisse dann erst unmittelbar vor einem so wichtigen Spiel veröffentlicht, fragte der 44-Jährige. "Ich halte das, salopp gesagt, für schlecht."

"Man hat auf einen Mega-Skandal gehofft", erhob der Jurist Hellmann einen schweren Vorwurf. Anti-Doping-Kommission des DFB, Nada und Staatsanwaltschaft als böse Buben? Die Verschwörungstheorien reichten weit in dieser Nacht, in der in den Hintergrund trat, was Kovac irgendwann sagte: "Wenn man so eine Diagnose erhält, sollte man ihn in Ruhe lassen. Ich weiß nicht genau, wie er sich fühlt, aber mit Sicherheit nicht gut."

In dieser ebenso angespannten wie undurchsichtigen Gemengelage verlor auch der 1. FC Nürnberg den Überblick. Trainer René Weiler ("Ich finde, der Fußball darf nicht hinhalten für irgendwelche Inszenierungen!") und Torwart Raphael Schäfer ("Ich glaube, wenn einer wirklich schwer krank ist, kann er kein Fußball spielen.") zogen ihre unmittelbar nach Spielschluss getätigten Aussagen zurück. Coach Weiler entschuldigte sich noch vor der Pressekonferenz bei Kovac, um klarzustellen: "Es ist pietätlos, dass ein Klub und ein erkrankter Spieler fast dazu genötigt werden, die intimsten Dinge preisgeben zu müssen. Ich wusste nicht, dass der Verein das kommunizieren musste."

Schäfer: "Meine Worte waren dumm"

Kapitän Schäfer ließ über die Pressestelle mitteilen: "Meine Worte waren dumm, dafür kann ich mich nur aufrichtig entschuldigen. Ich habe mich voreilig geäußert, ohne Bescheid zu wissen. So etwas darf mir nicht passieren, das ist absolut nicht in Ordnung." Er wünsche dem Kollegen nun gute Besserung.

Vielleicht ist es ganz gut, dass Russ beim Rückspiel außen vor ist. Die Ausgangslage ist durch das 1:1 - den verdienten Ausgleich besorgte Mijat Gacinovic (65.) - recht eindeutig. "Für uns ist das ein gutes Resultat. Aber es ist noch komplett alles offen", bilanzierte Weiler. Kovac nickte neben ihm anerkennend und versprach kurz darauf: "Wir hissen nicht die weiße Flagge." Es kündigt sich ein harter Kampf an. Dabei dürfte der Fußball wieder in den Vordergrund treten.

Am Donnerstagabend war das in der Frankfurter Arena nicht möglich, wie Kultfigur Alexander Meier zugab: "Der Fußball ist wegen Marco ein Stück zweitrangig gewesen."

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