Süddeutsche Zeitung

Kaiserslauterns Aufstieg:Kühe auf stattlicher Flughöhe

Ein Abend der gegensätzlichen Emotionen: Während der 1. FC Kaiserslautern die Rückkehr in die zweite Liga zelebriert, drohen Absteiger Dresden nach dem Pyro-Exzess in den letzten Spielminuten harte Konsequenzen.

Von Christoph Ruf, Dresden

Aus der Totalen betrachtet, waren die Bilder ein wenig skurril, die es unmittelbar nach dem Schlusspfiff des Relegationsspiels zwischen Dynamo Dresden und dem 1. FC Kaiserslautern zu bestaunen gab. Während die rotgekleideten Lauterer Spieler, geschützt von einer Ordnerkette, in einem engen Areal vor ihrer eigenen Fankurve herumtollten und alkoholische Getränke verspritzten, herrschte im Rest des Stadions eine ganz andere Atmosphäre. Gespenstische Ruhe, immer wieder unterbrochen vom Zischen der Feuerwerkskörper, die auf den Rasen geschossen wurden und dort minutenlang vor sich hin loderten.

Im K-Block, dort wo der harte Kern der Dynamo-Fans das Spiel mit Böllern und Raketen an den Rand eines Abbruchs gebracht hatte, ging niemand nach Hause. Auf der gelb leuchtenden Anzeigetafel standen die Worte "Auf Wiedersehen", das konnte durchaus als Aufforderung gesehen werden, doch nun endlich das Weite zu suchen. Denn die - glücklicherweise unbegründete - Angst, es könnte noch zu einem Platzsturm oder Schlimmerem kommen, die war am Dienstagabend überall greifbar.

Erst 45 Minuten nach Spielende gab Dynamo grünes Licht, dass die Pressekonferenz regulär und mit beiden Trainern stattfinden könne. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings noch nicht bekannt, dass gut 30 Dynamo-Fans noch einmal versuchen würden, ins Stadion zu gelangen, wobei sie zwei Ordner verletzten - und man ahnte auch nicht, dass einer der Shuttlebusse mit Steinen beworfen werden würde. Die Polizei hat Ermittlungen eingeleitet.

Unmittelbar nach dem Schlusspfiff strömen Tausende FCK-Fans in die Lauterer Innenstadt

FCK-Trainer Dirk Schuster, der das Team erst wenige Tage vor dem Hinspiel übernommen hatte, zeigte sich "unendlich stolz auf das, was die Mannschaft in den beiden Spielen geleistet hat" und er freute sich besonders darüber, dass sein Team sich "auch vom Publikum nicht hat verrückt machen lassen". Im Übrigen, so der gebürtige Sachse, der Dynamo im Vorfeld als "FC Bayern des Ostens" bezeichnet hatte, könne er sich gut vorstellen, wie es den Angestellten und Fans der Dresdner ergehe, er habe auch deshalb seine Spieler gebeten, die Feierlichkeiten im Stadion etwas gesitteter ablaufen zu lassen, und "erst im Bus die Kuh fliegen zu lassen".

Die wiederum hatte 500 Kilometer westlich längst eine stattliche Flughöhe eingenommen: 7500 Fans der Lauterer hatten beim Public Viewing für eine bis auf den letzten Platz besetzte Nordkurve des Fritz-Walter-Stadions gesorgt, unmittelbar nach Schlusspfiff kamen Tausende Fans in der Innenstadt zusammen. Schließlich wurde bis weit in die Morgenstunden gefeiert, dass der einstige Dauer-Bundesligist nach vier langen Jahren in der Drittklassigkeit ab Juli wieder in der zweiten Liga mitwirken darf.

Eine völlig andere Stimmungslage herrschte hingegen am Mittwochmorgen in Dresden, wo die Niedergeschlagenheit in den Straßenbahnen genauso zu spüren war wie in Cafés und im Bahnhof Neustadt, von dem aus zahlreiche gelbgekleidete Fans, die sich extra Urlaub genommen hatten, zurück ins Umland fuhren. Nur ganz wenige Vereine haben bundesweit in einer einzelnen Region eine solch breite Basis wie Dynamo Dresden in einem weiten Radius um die sächsische Hauptstadt.

Bei einem Spielabbruch wäre es zu einer Sportgerichtsverhandlung gekommen

Zumal bei all den Bildern, die auch in den kommenden Tagen über die Pyro-Exzesse und Böller-Würfe gesendet werden, auffiel, dass auch am Dienstag die übergroße Mehrheit der Dynamo-Fans sich genauso friedlich und zivilisiert verhalten hat wie andere Fangruppen auch. Wer sich nach dem Spiel unter die gelbgekleideten Menschenmassen mischte, die Richtung Innenstadt oder Hauptbahnhof abzogen, nahm wenig Wut und Aggression wahr. Dafür viel Trauer und Resignation. Und die oft geäußerte und wohl auch realistische Erkenntnis, dass ein Team, das inklusive der Relegationsspiele 19 Mal am Stück nicht gewinnen konnte, in der zweiten Liga auch erst einmal nichts verloren hat.

Und dennoch: Über die Ereignisse von Dresden wird zu reden sein. Allein wegen der schieren Masse an Bengalfackeln, die auf den Platz geworfen wurden - übrigens auch von einigen Lautern-Fans, die vor dem Spiel sogar fünf Kanonenschläge gezündet hatten und gegen die die Polizei nun ebenfalls ermittelt, weil sie eine Rakete mitten in Dresdner Zuschauer auf der angrenzenden Südtribüne feuerten.

Als sich die Niederlage abzeichnete und Teile des Dresdner Fanblocks offenbar beschlossen, dass es nun auch egal sei, ob ihr Verein mal wieder als Enfant terrible des deutschen Fußballs dasteht und womöglich mit harten Sanktionen seitens des DFB zu rechnen hat, behielt in Schiedsrichter Daniel Siebert der wichtigste Mann auf dem Platz einen kühlen Kopf. Als nach dem 0:1 durch Daniel Hanslik (59.) auch das entscheidende 0:2 durch Philipp Hercher (90.+2.) fiel und endgültig alle Dämme zu brechen drohten, ließ er das Spiel für sieben Minuten unterbrechen, behielt die Mannschaften aber auf dem Rasen und ließ schließlich noch drei Minuten bis zum Ende der von ihm angezeigten Nachspielzeit weiterspielen.

Nur so konnte der FCK am Dienstag den Aufstieg feiern, der am Mittwoch mit einem Empfang im Rathaus und einer großen Fan-Feier auf dem Stiftsplatz fortgesetzt wird. Bei einem Spielabbruch wäre es zu einer Sportgerichtsverhandlung gekommen. Und vor Ort möglicherweise zu Vorfällen, die man sich lieber nicht ausmalen mag.

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