Bundesliga-Relegation:Heidenheim schafft unermüdlich weiter

1. FC Heidenheim - Werder Bremen

In der ersten Phase war da vermutlich nur Trauer und Ärger bei Heidenheim.

(Foto: dpa)

Nach der missglückten Relegation gegen Bremen bleibt beim Außenseiter ein Gefühlsmix zurück: aus Stolz und Enttäuschung. Dem Klub steht nun eine schwierige Phase bevor.

Von Christof Kneer, Heidenheim

Am Morgen danach war Holger Sanwald um halb acht schon wieder im Büro. Aus seinem Büro schaute er hinaus ins leere Stadion, das nun noch leerer war als am Abend zuvor. Am Abend zuvor waren neben mehreren Fußballern ja auch noch ein paar sog. Geister da gewesen, vorübergehend sogar ein paar, die niemand gerufen hatte. Rund 50 Heidenheimer Klubmitarbeiter inklusive einiger Spielerfrauen hatten sich aus den Business Logen mal kurz zum Anfeuern auf die Tribüne geschlichen, was die DFL dem Verein als Verstoß gegen die Coronaregeln auslegen und mit Rüge und/oder Geldstrafe ahnden dürfte. Nun aber, nur ein paar Stunden nach einem verwandelten Elfmeter in der Nachspielzeit, war wirklich niemand mehr da. Holger Sanwald, Geschäftsführer Sport des 1. FC Heidenheim, war mit seinem Gefühlsmix morgens um halb acht allein.

Sollte er sich schrecklich ärgern über die verpasste "Lebenschance", von der Trainer Frank Schmidt vor den Relegationsspielen gegen Bremen gesprochen hatte? Oder sollte Sanwald sich lieber freuen, weil die kleine Stadt, aus der er ebenso wie Schmidt stammt, so viele Komplimente bekam, von jedem Kommentator, jedem Moderator, von den Bremern sogar?

Eigentlich mögen sie das in Heidenheim ja nicht so gern: Wenn man sie lobt, wie im Pokal manchmal die Amateure gelobt werden, deren Mannschaften aus Fliesenlegern und Verwaltungsfachangestellten bestehen. Süß, wie die mitgespielt haben, oder? Und nicht mal verloren haben sie! Andererseits: Sie kennen es ja nicht anders.

"Solche Komplimente kennen wir hier seit Jahren", sagt Sanwald, 53, mit einem Schmunzeln, "schon in der Verbandsliga wurden wir gelobt, wenn wir im Pokal mal dem Regionalligisten Stuttgarter Kickers einen großen Kampf geliefert haben. Wir sind es gewohnt, der Kleine zu sein, das waren wir am Anfang in allen Ligen." Der Regionalligist Stuttgarter Kickers ist inzwischen übrigens in jener Oberliga versunken, in der vor 13 Jahren der Heidenheimer Aufstieg mit dem Trainer Schmidt begann.

Ein klitzekleines Bisschen fehlt

Wenn Sanwald nun versucht, Ordnung in seinen Gefühlsmix zu bringen, dann wird er ähnlich wie der ehrgeizige Trainer Schmidt vermutlich drei Phasen fühlen: Trauer und Ärger über den "Scheißtag" (Schmidt, Phase eins) werden als Nächstes wohl einem gewissen Stolz "über die beste Saison der Klubgeschichte" (Sanwald, Phase zwei) Platz machen. "Dass wir nicht die bessere Qualität als Bremen haben, ist ja jedem klar", sagt Sanwald also am Morgen danach in seinem Büro, "deshalb muss für so einen Traum alles, wirklich alles zusammen passen. Wenn nur ein klitzekleines Bisschen fehlt, dann reicht es nicht."

Eines dieser klitzekleinen Bisschens bestand zum Beispiel darin, dass sich Abwehrspieler Timo Beermann im letztmöglichen Moment verletzte, er wollte nach dem Warmmachen nur noch mal kurz in die Kabine sprinten, als sich der Oberschenkel, dieser Spielverderber, meldete: Zerrung, Ausfall, zwei Minuten vor Spielbeginn.

Hektische Umbauten folgten: Linksverteidiger Norman Theuerkauf musste plötzlich Innenverteidiger spielen, drei Minuten später führte Werder Bremen, nach einem Eigentor von Norman Theuerkauf.

Der Heidenheimer Weg

Am meisten Respekt haben sie in Heidenheim aber vor der dritten Phase. Sie müssen etwas tun, was sie gut können, aber anstrengend ist es halt schon, dieses ständige Schaffen. Jedes Jahr aufs Neue rollen sie den Stein den Schlossberg hoch, wo ihr schickes Stadion steht, sie haben daraus eine eigene Kunstform entwickelt: Obwohl der Stein nicht leichter wird, kommen sie immer höher. "Unsere Entwicklung verläuft in vielen kleinen Schritten", sagt Sanwald, "wir haben nie große Sprünge gemacht. Das scheint unser Weg zu sein: gesundes Wachstum." Als Heidenheim 2014 in zweite zwei aufstieg und Reporter versehentlich das mittelfränkische Heidenheim ansteuerten (das passiert übrigens immer noch), hatten sie den kleinsten Etat der Liga. Inzwischen haben sie den Etat auf 35 Millionen hochgeschafft, "damit liegen wir im oberen Mittelfeld", sagt Sanwald.

Aber nun eben, die Phase drei: "Auf dem Niveau, auf dem wir jetzt angekommen sind, wird es immer schwieriger, den nächsten Schritt zu machen", sagt Sanwald. Auch solche Gedanken sind ihm nachts noch durch den Kopf geschossen: Dass es keinen Automatismus gibt, dass sich die Arbeit auch nächstes Jahr wieder lohnt; dass es ein aufreibender Transfersommer werden dürfte, nach dem bevorstehenden Wechsel von Mittelfeldspieler Griesbeck zu Union Berlin werden auch Angebote für Dorsch, Kleindienst oder Mainka erwartet; und dass die Heidenheimer dennoch als Mitfavorit auf den Aufstieg gelten werden, und das in einer Zeit, in der nichts gewiss ist, außer dass sie wieder den Stein den Schlossberg hochrollen werden.

"Ich weiß schon, was ich auf die Frage nach dem Saisonziel antworten werde", sagt Sanwald: "Ziel eins ist, erst mal die Corona-Krise gut zu überstehen. Ziel zwei ist, eine stabile Saison zu spielen. Und wenn all das optimal passt, können wir gerne wieder versuchen, ein bisschen anzugreifen."

Auch das ist ein Grund, warum die Heidenheimer ihren Frieden mit der Relegation machen werden: Weil sie frische Bilder von einem Standort liefert, an dem etwas vorangeht (dass sog. Fans später den Bremer Bus bewarfen und eine Scheibe demolierten, gefällt ihnen weniger). Aber darauf setzt Sanwald schon: Dass der Klub sich im Verdrängungswettbewerb Profifußball weiter etabliert; dass Spieler wissen, dass man guten Gewissens nach Heidenheim wechseln kann. Rauf auf einen Berg, auf dem sie das Stadion weiter ausbauen wollen, hin zu einem Trainer, der sein Team mit verschmitzter Autorität führt. Auch Frank Schmidt werde jetzt "Zuspruch brauchen", sagt Sanwald, "aber wir kennen ihn ja: Der schüttelt sich und geht dann wieder als Erster voran".

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