Marc Stendera hatte es eilig, er stürmte von der Eckfahne in den Strafraum und warf sich mitten hinein ins streitende Spielerknäuel. Dort schnappte er sich seinen Kollegen Stefan Kutschke, der gerade am heftigsten zankte, und zog ihn weg, ehe er eindringlich auf ihn einredete. "Nicht die Nerven verlieren! Ruhig bleiben!" Das war wohl in etwa die Anweisung, die der Mittelfeldspieler Stendera schleunigst an den Kapitän des FC Ingolstadt 04 weitergab im Duell mit dem TSV 1860 München am vergangenen Samstag. Kutschke erhielt für die Zankerei zwar die gelbe Karte, blieb im Anschluss aber tatsächlich ruhig. Der FCI gewann die Partie 3:1 und spielt nun von Donnerstag (18.15 Uhr) an gegen den VfL Osnabrück in der Relegation um einen Zweitliga-Platz.
Es wirkte in diesem Moment schon so, als tue dieser ehemalige Frankfurter Bundesliga-Spieler den Ingolstädtern ganz gut - gerade in so wichtigen Partien wie gegen die Löwen im Kampf um Rang drei oder nun auch vor der aktuellen Relegationsaufgabe. Vor der Saison kam der damals vertragslose Stendera, 25, dazu, brachte mit all seiner Ruhe Stabilität in die Spielmitte - und kann seine Mitspieler offenbar auch auf Linie bringen, wenn's sein muss. "Ich würde eher sagen, die achten aufeinander", findet Sportdirektor Michael Henke. Er sieht nämlich von seinem Platz auf der Trainerbank aus auch Stendera manchmal zu überschwänglich diskutieren, dann müsse halt Kutschke einschreiten. "Sie machen das mit all ihrer Erfahrung sehr gut."
Mögliche Sommerzugänge haben bereits Zusagen gemacht
Henke, 64, geht durchaus angespannt in die Entscheidungsspiele, "von der Aufregung her ist so eine Relegation wie ein Champions-League-Endspiel", vergleicht der ehemalige Assistent von Ottmar Hitzfeld bei Dortmund und beim FC Bayern. Allzu viele haben in ihrem Leben wohl noch nicht beide Wettbewerbe mitgemacht, Henke stand drei Mal in Finals der Königsklasse und musste in den vergangenen beiden Jahren zwei Relegationsniederlagen gegen Wehen Wiesbaden (damals Co-Trainer unter Coach Tomas Oral) und Nürnberg (als Sportdirektor) miterleben. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dran sind", sagt er - aber nicht nur aus Karma-Gründen: "Wir haben einfach so viel erlebt. Da spielt auch die Erfahrung eine Rolle, die Spieler wie Kutschke oder Gaus gemacht haben, die jetzt schon zum dritten Mal dabei sind."
Kutschke, mit 13 Treffern bester FCI-Torjäger, und Stendera, mit sieben Vorlagen zweitbester Vorbereiter, sind zwei jener Protagonisten, die eine Mannschaft in entscheidenden Spielen zu führen vermögen. Daneben hat der FCI seit seinem Abstieg vor zwei Jahren auch nach und nach einige hoffnungsvolle Kräfte aus dem eigenen Nachwuchsleistungszentrum dazubekommen, die sich in der Startelf festspielten - wie die Außenstürmer Merlin Röhl, 18, oder Filip Bilbija, 21.
In der zweiten Bundesliga hätte der Klub deutlich mehr Möglichkeiten
"Wir haben nach dem Abstieg gesagt, dass wir etwas Nachhaltiges aufbauen wollen. Das versetzt uns jetzt in die Lage, dass wir eine schlagkräftige Mannschaft hätten, egal ob in der zweiten oder dritten Liga", sagt Henke, der seit Wochen für beide Szenarien plant. Mögliche Sommerzugänge haben bereits Zusagen gemacht. Ob sie wirklich kommen, hängt auch von der jeweiligen Liga-Zugehörigkeit ab, allzu viele Transfers seien aber so oder so nicht geplant. Klar ist: In der zweiten Bundesliga hätte der Klub allein durch das um ein Vielfaches höhere TV-Einkommen deutlich mehr Möglichkeiten.
Zudem würden sich manche Spielerverträge erst durch einen Aufstieg verlängern. Und auch Marc Stendera, dessen Arbeitspapier sich durch seine Spielanzahl verlängert hat, hatte kürzlich bei Magentasport seinen Verbleib in der zweiten Liga ziemlich sicher zugesagt, den Verbleib in Liga drei allerdings offengelassen. Nicht nur deshalb, sondern auch, um wieder auf Augenhöhe mit den lokalen Konkurrenten 1. FC Nürnberg und SSV Jahn Regensburg und eine Etage über dem TSV 1860 zu spielen, wäre Henke ein Rückkehr in die zweithöchste Spielklasse wichtig: "Ein Erfolg in der Relegation würde hier was beleben - auch in der Sponsorentätigkeit und im Umfeld. Das Ganze würde wieder nach vorne gebracht."
In den vergangenen Tagen hat der Sportdirektor auch bei den Trainingseinheiten zugeschaut. Er ist angetan von der Arbeit von Trainer Tomas Oral, der eigens noch einmal mental mit den Fußballern gearbeitet habe. Am wichtigsten sei für die Partien gegen Osnabrück: "Wir dürfen die Spannung nicht verlieren, die wir im Spiel gegen Sechzig München hatten." Denn selbst wenn dann mal jemand wie eingangs Kutschke zu sehr unter Strom geriete, gäbe es ja noch Mitspieler auf dem Feld, die helfend einschreiten könnten.