Reitsport:Vier Musketiere und ein Gips

Polo, die Grabosch-Brüder aus Oberbayern, von links: Paul, Anton, Emil, Michl

Könnten auch Alphornbläser sein, sind aber demnächst bei der Polo-EM in Spanien zu sehen: die Grabosch-Brüder Paul, Anton, Emil und Michl (von links).

(Foto: Kim Grabosch/oh)

Die Grabosch-Brüder aus Oberbayern sind Polo-Spieler - und pendeln für ihren Sport an Wochenenden bis nach Paris und zurück. Kommende Woche tritt das Quartett als deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Andalusien an.

Von Thomas Becker

Wer öfter mit dem Auto von Holzkirchen nach Bad Tölz unterwegs ist, der konnte sie sehen, hinter dem Ortsausgang, auf der linken Seite, gleich hinter dem Übungsplatz der Hundefreunde Thann: Reiter, die wie wild über eine Wiese galoppieren und dabei immer wieder Stöcke über den Kopf wirbeln lassen. Könnte Polo sein, denkt sich der Autofahrer und nimmt sich vor, das Ganze demnächst doch mal aus der Nähe zu inspizieren.

Nur: In letzter Zeit rührt sich auf dem Spielfeld des Polo Clubs Bayern lange nicht mehr so viel, und das liegt vor allem an der Familie Grabosch. Die lebt nur ein paar Poloschläge entfernt auf einem drei Hektar großen Areal aus Pferdeställen, Weideplätzen und einem gewaltigen Fuhrpark. Letzterer ist seit gut einem Jahr so oft im Einsatz wie noch nie, denn: Die Graboschs sind nach Frankreich umgezogen. Wenigstens in Teilen. Oder übers Wochenende. Genau genommen ist es: kompliziert. Und das alles nur, weil die vier Grabosch-Brüder im Alter von 15 bis 20 Jahren nun bei der Europameisterschaft im andalusischen Sotogrande an den Start gehen - als Team Germany.

Für Paul, den ältesten der vier Grabosch-Brüder, ist es ein spezielles Turnier: Er steigt mit einem Gips am Bein in den Sattel

Vier Geschwister, die bei einer EM eine Nationalmannschaft bilden? Findet man nicht alle Tage. Der 53-jährige Christopher Kirsch, der schon ein paar Europameisterschaften gespielt hat, soll helfen, die Defizite des Grabosch-Vierers in puncto Erfahrung zu kompensieren. Am Dienstag tritt das Team im Ayala Polo Club gegen den Verlierer der Partie Österreich gegen Italien an. Mit an Bord respektive im Sattel: Paul Grabosch, der älteste der Brüder. Gerade für ihn wird es ein sehr spezielles Spiel werden, nicht nur, weil es seine erste EM ist, sondern weil er mit eingegipstem Stiefel aufs Pferd steigen wird. Vor drei Wochen ist er von einem fremden Pferd getreten worden, als er einem Kollegen helfen wollte: offener Schienbeinbruch. Ausgerechnet jetzt vor der EM, dem ersten großen Turnier nach zwölf Jahren Training.

Normalsterbliche hätten sich mit einem derart maladen Hax gedanklich sofort von der EM verabschiedet, nicht aber die Graboschs: "Wir sind hart im Nehmen", sagt Vater Kim Grabosch, "und schließlich ist sein Papa ja Arzt." Der Mann arbeitet als Zahnarzt. Wer jedoch mal erlebt hat, mit welcher Unbedingtheit er dafür lebt, seinen Söhnen einen Traum zu erfüllen, der zweifelt nicht daran, dass Paul Grabosch am Dienstag auf dem Pferd sitzen wird, mit einem dünnen Gipsverband im Stiefel und einem weiteren außen um den Stiefel, handverlegt vom Herrn Papa. Der sagt: "Ich muss ihn ja davor schützen, dass ihm da wieder einer drauf reitet." Wer die wilde Jagd zu Pferde mal aus der Nähe erlebt hat, dem tut allein schon bei dem Gedanken alles weh.

Die Geschichte des deutschen EM-Polo-Teams 2021 beginnt zwölf Jahre zuvor. Graboschs zweitältester Sohn Anton ist sechs Jahre alt und will unbedingt Cowboy werden - so weit, so normal. Er sieht einen Film über die wahren Cowboys, die argentinischen Gauchos, was das Verlangen nur vergrößert. Vater Grabosch, der selbst mit Pferden aufgewachsen ist, mit Polo aber nie etwas am Hut hatte, erzählt einer Patientin aus Argentinien vom Traum des Sohnes, woraufhin sie ihn prompt in ihre Heimat einlädt. Und so kommt es, dass Grabosch seine Kinder für neun Monate von der Waldorfschule in Daglfing nimmt und mit ihnen nach Argentinien geht, der Heimat der weltbesten Polospieler. Von morgens bis abends arbeiten die Brüder mit Pferden, lernen wahres Horsemanship - und kommen als Polo-Team zurück, nennen sich fortan Los Indianos.

Seit eineinhalb Jahren spielen sie nun statt im beschaulichen Holzkirchen in Europas größtem Polo-Club in Chantilly nordöstlich von Paris: acht Poloplätze, jede Woche ein Turnier, viele Jugendturniere. "Die Jungs spielen Tag und Nacht Polo", sagt Vater Grabosch, "die Pferde werden besser, die Spieler werden besser - das befruchtet sich von selbst."

Das Spiel der Könige ist nur finanzierbar, weil die Familie sich um alles selbst kümmert

Übers Wochenende pendelt er die 900 Kilometer nach Chantilly, wechselt sich am Steuer mit seiner Frau ab, auf der Rückbank die 15, 16 und 18 Jahre alten Söhne, die noch zur Schule gehen. Der 20-jährige Anton hat schon sein Abi und lebt komplett in Chantilly, im Wohnwagen, kümmert sich um die 32 Pferde, für die Grabosch zehn Hektar Land gepachtet hat - und scheint seinen Traum zu leben: "Wenn da eine gute Connection ist, wenn das Pferd mit mir arbeitet, das ist das beste Gefühl überhaupt", schwärmt Paul Grabosch, "und die beste Pflege fürs Pferd ist immer die, wenn man es selbst macht."

Aber wie kann man selbst als gutverdienender Zahnarzt in einem Sport mitspielen, der nicht umsonst als Spiel der Könige gilt? Kim Grabosch sagt: "Wir können das nur, weil wir alles selbst machen." Ohne Groomers, wie die Helfer heißen, die dem Reiter sonst die Arbeit am Pferd abnehmen. Grabosch hat einen Plan: keine 20 000 Euro für ein "fertiges" Pferd zahlen, sondern Ex-Galopper auf Polo trimmen. "Ich kaufe ausgediente Rennpferde. Die kann man keinem normalen Reiter geben, weil sie verrückt sind. Meine Jungs sind auch verrückt, aber tough genug, um sie auf Polo zu trainieren." In der Herde sollen die Galopper wieder lernen, Pferd zu sein - und die Brüder geben sich sozusagen die Klinke in die Hand: "Paul trainiert hier für eineinhalb Jahre zehn Pferde, fängt dann sein Studium an. Danach kommt Anton mit den nächsten zehn Pferden, dann Emil, dann Michl. Hoffentlich ist das der Anfang eines Systems." Und dann sagt er noch diesen Satz, der einen nun so gar nicht mehr überrascht: "Wir lieben Polo, wir leben Polo, wir tun alles für Polo." Sogar einen Stiefel zugipsen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: