Süddeutsche Zeitung

Reitsport:Nur ab und zu eine gute Nachricht

Ein zurückversetzter Olympiasieger, eine Dressurikone, die nicht zu Ende reiten darf, ein totes Pferd: Beim CHIO in Aachen fällt der Sport hinter die Dramatik der Ereignisse zurück.

Von Gabriele Pochhammer, Aachen

Es reichte. So viel Drama, wie sich in diesem Jahr um das CHIO Aachen rankte, braucht kein Mensch. Erst verbreitete sich die Nachricht, dass das Vielseitigkeitspferd Allstar B aufgrund seiner schweren Verletzung eingeschläfert werden musste. Dann wurde Michael Jung in der Vier-Sterne-Vielseitigkeitsprüfung vom ersten auf den achten Platz heruntergestuft, weil er ein Hindernis nicht korrekt überwunden hatte. Und nachmittags wurde die deutsche Dressurikone Isabell Werth mitten in der Prüfung abgeklingelt, weil ihr Pferd Quantaz aus dem Maul blutete.

Michael Jung auf Chipmunk galoppierte noch als Sieger aus der fast 4000 Meter langen Geländestrecke. Mit nur 1,2 Zeitfehlern hatte der dreimalige Olympiasieger die 25 Hindernisse bewältigt, keiner der 38 Reiter war in der erlaubten Zeit von 6:58 Minuten geblieben. Auf dem Abreiteplatz nahm Jung bereits die ersten Glückwünsche entgegen. Doch durch den Lautsprecher kam die Ansage, die Jury behalte sich eine Überprüfung anhand der Videoaufzeichnungen vor, die Siegerehrung wurde verschoben.

An Hindernis 14, einer schrägen Buschhecke, hatte Jungs Pferd die Ecke so geschnitten, dass die seitliche Grenzflagge umgefallen war. Zweifel kamen auf, ob er das Hindernis überhaupt korrekt überwunden hatte. Die Regel besagt, dass das Pferd mit beiden Schultern innerhalb der roten und weißen Grenzflaggen bleiben muss. Zwei Stunden brauchten die Richter, um festzustellen, dass Chipmunk nicht richtig gesprungen war, dem Reiter wurden 15 Minuspunkte angekreidet. Nutznießerin war Sandra Auffarth auf Viamant du Matz, die nun nachrückte: "Wenn es fair für Michi ist, dass er gewinnt, dann bin ich auch mit Platz zwei zufrieden", sagte sie, "aber wenn es fair ist, dass ich gewinne, umso besser."

Für das Mannschaftsergebnis spielte das keine Rolle. Jung hatte dem Bundestrainer Peter Thomsen, der das Amt Anfang des Jahres übernommen hat, schon zuvor mitgeteilt, dass er sein relativ unerfahrenes Nachwuchspferd Kincandra Ocean Power fürs Team reiten wolle, um Chipmunk, seine Hoffnung für die WM im September, nach einer Trainingspause allmählich aufzubauen. Nach Aufbautraining sah der Ritt allerdings nicht aus, eher nach dem Ziel, unbelastet von Teamverantwortung schnurstracks zum Preisgeld von 33 000 Euro zu galoppieren. Mit Ocean Power wurde Jung nur 25., mit Chipmunk hätte man, trotz Herunterstufung, den Briten den Nationenpreissieg noch entrissen. Manches ist halt eine Frage der Prioritäten. Olympiasiegerin Julia Krajewski trug mit einer ordentlichen Runde zum Teamplatz bei, sie bildet jetzt mit Jung und Auffarth das Kernteam für die WM.

Die siebenmalige Europameisterin Ingrid Klimke lieferte das Streichergebnis, mit ihrer Stute Siena Just do it ist sie sich noch gar nicht einig. Das sah zeitweise wild aus, zweimal wischte das Pferd an einem Hindernis vorbei. Wenn Klimke enttäuscht war, ließ sie es sich nicht anmerken. "Ich habe jeden Tag in Aachen genossen", versicherte sie. Mit dem Doppeleinsatz - sie ritt auch im Dressurteam - hatte sich die 54-Jährige vielleicht doch zu viel zugemutet. Mit Franziskus steht sie jetzt neben Isabell Werth und Quantaz, Frederic Wandres (Duke of Hearts) und Benjamin Werndl (Famoso) auf der Longlist für die Dressurweltmeisterschaft im August in Herning/Dänemark.

Die Dänin Dufour gewinnt alle Dressurprüfungen, zu denen sie antritt

Für Werth endete der CHIO vorzeitig. Im Grand Prix Special am Samstag wurde sie abgeklingelt, weil ihr Pferd Quantaz aus dem Maul blutete. Als die Glocke ertönte, hielt sie ratlos an. Die Chefrichterin marschierte zu ihr, wischte mit einem weißen Taschentuch dem Pferd übers Maul und zeigte die hellroten Blutspuren. Jede Art Blut am Pferd führt zum Ausschluss, damit war auch die Kür am Sonntag für Werth gelaufen. "Er muss sich auf die Zunge gebissen haben", sagte sie. Bei der anschließenden Gebisskontrolle war kein Blut mehr feststellbar, auch nicht bei einer weiteren abendlichen Überprüfung durch den Tierarzt. "Das ist bitter, sagte Werth, "es ist mir noch nie passiert, aber natürlich halte ich die Regel grundsätzlich für richtig." Der Sieg im Nationenpreis wäre auch ohne Werths Missgeschick an die Dänen gegangen, die nun als hohe Favoriten der WM im eigenen Land entgegensehen.

Bundestrainerin Monica Theodorescu war das Lachen trotzdem nicht vergangen. Hinter der Dänin Cathrine Dufour, die in Aachen mit ihren Pferden Vamos Amigos und Bohemien alle Prüfungen gewann, in denen sie startete, wurde Frederic Wandres auf dem Hannoveraner Duke of Hearts Zweiter in der Kür. Der 34-Jährige hat sich systematisch in den letzten beiden Jahren nach oben gearbeitet. Fast wirkt der Reiter ein bisschen groß auf dem kompakten Fuchs, aber der absolviert inzwischen auch die schwierigsten Lektionen in perfekter Haltung und ohne Fehler. Zeitweise wurde Duke of Hearts von der Bundestrainerin selbst geritten, bevor er zu Wandres wechselte. "Deswegen ist er mein Liebling", gibt sie zu, "er ist ein braves Pferd, auch wenn er manchmal mächtig buckelt." Das verkniff er sich in Aachen, und das war mal eine gute Nachricht.

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