Reitsport:Eine Tortur für die Pferde endet

Guido Klatte

Im Springreiten wird die Unsitte von zu engen Gamaschen und Bandagen verboten.

(Foto: Jan Woitas/dpa)
  • Um Pferde dazu zu bringen, höher zu Springen, ziehen Reiter die Bandagen und Gamaschen überstramm an.
  • Diese Unsitte verbietet die Internationale Reiterliche Vereinigung nun.
  • Doch erst 2022 gilt das Verbot zum Schutz der Tiere für alle.

Von Gabriele Pochhammer

Die Erkenntnis, dass Sportler erfindungsreich sind, wenn es darum geht, bessere Resultate zu erzielen, ist nicht dem Pferdesport vorbehalten. Aber nur hier trifft es ein Tier, das nicht gefragt wurde, ob es noch höher springen will. Auch wenn die Dopingregeln strenger sind als im Humansport, auch wenn sich eine ganze Abteilung im Weltverband mit dem Tierschutz befasst, entdecken Reiter doch immer wieder neue Methoden, mit denen sie ihre Pferde von den bunten Stangen fernhalten.

Eine wurde jetzt auf der Generalversammlung der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) in Montevideo verboten: die Unsitte, durch übertrieben stramme Bandagen und Gamaschen an den Hinterbeinen die Pferde dazu zu bringen, höher zu springen und den Kontakt mit dem Hindernis auf jeden Fall zu vermeiden. Aufmerksame Zuschauer am Abreiteplatz konnten es in den letzten Jahren immer häufiger beobachten: Ein Helfer zieht mit einem energischen Ruck noch schnell den mit elastischem Verschlüssen versehenen Beinschutz nach, dann geht's ab in den Parcours.

Ja nichts berühren!

Man kann sich vorstellen, dass eine überstramm angezogene Bandage die Bewegungen verändert und damit auch den Ablauf über dem Hindernis. Nicht ohne Grund heißen die Hinterhandgamaschen in Reiterkreisen "Zuckis". Ihre Wirkung konnte man besonders gut bei den jungen Hengsten beobachten, die auf den Auswahlschauen, Körungen genannt, auch über Hindernissen ihre guten Gene beweisen müssen.

Manche kamen dann hektisch hereingetrabt, bei jedem Tritt das Bein krampfhaft fast unter den Bauch gezogen. Über dem Sprung machte manches Pferd dann fast einen Handstand-Überschlag, um ja nichts zu berühren. Natur und Tortur waren hier nicht mehr auseinanderzuhalten.

Als Erster verbot der Holsteiner Verband, die Nummer eins unter den Springpferdezuchten weltweit, vor einigen Jahren die Gamaschen. Man hatte einen Ruf zu verlieren, schließlich sollte es nicht heißen, die Holsteiner springen nur gut mit dubiosen Hilfsmitteln. Andere Zuchtverbände folgen diesem Beispiel. Schließlich wurden die Zuckis bei Springprüfungen für junge Pferde verboten.

Brandbrief gegen die Hinterhandgamaschen

Im gehobenen Sport erfreuten sie sich weiterhin großer Beliebtheit. Zwar werden inzwischen alle Pferde nach dem Parcours kontrolliert, stichprobenartig auch vorher. Manchmal lassen die Stewards die schlimmsten Exemplare abnehmen. Aber Sanktionen gab es so gut wie nie. Im vergangenen Sommer nun verfasste John Roche, in der FEI verantwortlich ist für den Springsport, eine Art Brandbrief, in dem er das Verbot der strammen Hinterhandgamaschen und -bandagen aus mehreren Gründen forderte.

Sie verfälschten den sportlichen Wettbewerb, wie jedes leistungssteigernde Equipement; sie verfälschten sogar die Zucht. Denn Hengste, die wie vielversprechende Vatertiere über die Sprünge setzen, sind ohne Gamaschen auf einmal nur ganz normale Mitteleuropäer, um deren Gene sich kein Züchter reißt. Internationale Parcoursbauer beklagten sich, dass es kaum noch möglich sei, das Feld innerhalb des Regelwerks auseinander zu bekommen, weil zu viele Pferde fehlerlos blieben, und somit die Starterfelder im Stechen viel zu groß seien. Beim Stuttgarter Weltcup am vergangenen Wochenende erreichten 16 von 40 Reitern das Stechen, von denen die letzten vier ohne Preisgeld nach Hause fahren mussten.

"Mag sein, dass einige Pferde jetzt anders springen als vorher"

Die FEI hat am Dienstag auf ihrer Generalversammlung nun strenge Regeln erlassen für die Ausrüstung, die sich am Hinterbein eines Springpferdes befinden darf. Erlaubt ist mehr oder weniger nur ein Schutz des Fesselgelenks, der keine eigene Funktion hat. Damit sollen Verletzungen durch Anstoßen oder auch die Hufeisen verhindert werden. Diese einfachen Schutzkappen dürfen nur höchsten 16 Zentimeter breit sein, sie dürfen keine eingebauten Druckpunkte enthalten und müssen, wenn überhaupt, ganz weich gepolstert sein. Die Regel gilt ab 2019, vorläufig nur für Ponyreiter, ab 2020 für Junioren und Junge Reiter - und erst ab 2022 für alle.

Widerstand gab es aus den Reihen der Reiter so gut wie gar nicht. "Wir wussten, dass das kommt," sagt Ludger Beerbaum, "wir hatten Zeit, uns umzustellen. Mag sein, dass einige Pferde jetzt anders springen als vorher." Also nicht mehr so spektakulär wie früher, was sich natürlich auf ihren Marktwert auswirkt. Befürchtungen, dass die Zuckis auch schwächeren Reitern und Pferden Erfolge ermöglichen, kann Bundestrainer Otto Becker nicht teilen. "Ich bin überzeugt, dass dieselben Reiter nach wie vor vorne stehen werden", sagt er. Ob das auch für die Pferde gilt, ob es einen völlig neuen Sport gibt, wird man sehen. Oder ob alles so bleibt, weil sich findige Geister schon längst was Neues ausgedacht haben.

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